Unterschrift

Seite 340


Es erscheint mir ein Vorteil zu sein, sich mit dem Leben von Simenon nicht großartig auszukennen, wenn man sich der »Intimen Memoiren« annimmt. Vielleicht bekommt man nicht ganz so oft Kopfschmerzen vom Schütteln des eigenen Hauptes, wenn man den Ausführungen des Meisters folgt. Das folgende Kapitel lässt interessante Abschweifungen zu.

Es heißt immer, dass es sich um intime Memoiren handelt und mit der Titelgebung hat Simenon überhaupt gar nicht gelogen, denn sehr persönlich geht es in dem Buch allemal zu. Was nicht bedeutet, dass keine Auslassungen existieren und Simenon Sachen verschweigt.

Nun, am Ende von Kapitel 32, habe ich nachgeschaut, wie viele Abschnitte mich noch erwarten, bis es an die Briefe geht: 41. Hätte ich ein Kapitel früher diesen Aspekt betrachtet, hätte ich mich über eine Douglas-Adams-würdige Zahl freuen können. So verbleibt zu vermelden, dass ich also noch einiges an Stoff vor mir habe – was ich auch schlicht an der Seitenzahl erkennen hätte können, denn die Briefe von Marie-Jo nehmen den kleineren Teil ein.

Von Kaninchen und Mäusen und Fröschen

Mir ist klar, wie das mit dem Schwangerschaftstest heutzutage funktioniert. Dass ich mir ernsthaft Gedanken gemacht hätte, wie es früher gewesen ist, kann ich nicht sagen. Da musste erst ein memoirenschreibender Kriminalschriftsteller kommen und bezüglich der Schwangerschaft von Denyse verkünden:

Es würde kein Kaninchen mehr entscheiden, wie früher. Auch kein Frosch.

Er führt noch ein wenig aus, dass Kaninchen-Test die Geduld der Testenden forderten, denn die Ergebnisse standen erst nach ein paar Tagen zur Verfügung und die Einführung der Froschtest wäre eine Verbesserung gewesen, da man schon am nächsten oder übernächsten Tag wusste, ob das Spermium einen Treffer gelandet hatte.

Man testete seit 1927 auf Basis der Aschheim-Zondek-Reaktion an Mäusen, ob eine Schwangerschaft vorliegen könnte. Dabei wurde Urin von potenziellen Schwangeren jungen, weiblichen Mäusen injiziert. Nach ein, zwei Tagen konnte man in der Maus nachschauen, ob die Hormone einen Eisprung ausgelöst hatten. Dieses Nachschauen bedingte den Tod des Mediums, welches dazu obduziert werden musste. Ebenso verhielt es sich bei dem Friedman-Test, bei dem Ähnliches an einem jungen Kaninchen ausprobiert wurde.

Ein wenig später kam man auf den Frosch: Auch hier kam es durch das Injizieren von Urin zu einer Reaktion – weibliche Frösche begannen zu laichen. Das entdeckte der britische Forscher Lancelot Hogben und er nutzte als »Testmaterial« Krallenfrösche. Diese wurden später übrigens im Deutschen auch »Apothekerfrösche« genannt, und das war ganz der Tatsache geschuldet, dass sie Schwangerschaftstestfrösche waren.

Erfreulich für die Testenden war, dass sie dazu den Frosch nicht umbringen mussten und man, nach einer gewissen Pause, wieder an ihm testen konnte. Für die Frösche war es insofern vorteilhaft, da sie weiterleben konnten und es soll vorgekommen sein, dass man die Tiere wieder in die Tiere entließ. Die Tests standen ab den 40er-Jahren zur Verfügung. 

Eine Verfeinerung des Tests gab es durch Carlos Galli Mainini. Der entdeckte, dass ein Test mit männlichen Fröschen viel effektiver war und man die Ergebnisse nach drei bis vier Stunden in den Händen hielt, was eine deutliche Beschleunigung war. Das Prinzip war identisch, allerdings können die Herren unter den Fröschen dem Eindruck der Hormone den Fröschen nicht widerstehen und anhand der Samenflüssigkeit war schnell zu erkennen, ob eine Schwangerschaft vorlag oder nicht. Was die Verbesserung angeht, hatte Simenon recht  – die Verbesserung bestand jedoch hauptsächlich darin, dass man die Fröschinnen in Ruhe ließ und die Frosch-Herren der Schöpfung bemühte. Als Gattung waren die Apothekerfrösche 1949 noch voll im Spiel.

Erst in den den 60er-Jahren gab es eine Entlastung für die amphibischen Gesellen und immunologische und hormonelle Test wurden eingeführt.

Zu den amüsanteren Episoden der Schwangerschaft zählt die Anekdote, in der Simenon Denyse beim Kauf von Umstandskleidung unterstützte. Er kannte sich besser aus, hatte er eine Schwangerschaft aktiv mitbetreut. Er suchte ein Kleid aus, und als ihm langweilig wurde, schaute er interessiert in der Umkleidekabine nach, wie weit Denyse war.

Ich erblickte den nackten Hintern einer Frau, die ihre Schuhe wieder anzog, und ich ab ihr einen fröhlichen Klaps.
»Nun?«
Ein erzürntes, vor allem aber verblüfftes Gesicht drehte sich zu mir, ein unbekanntes Gesicht.

Der alte Schwerenöter suchte nach einigem Stammeln schnell das Weite, und die Rettung nahte in Form von Denyse, denn so erkannte die Frau, dass es sich wohl um eine Verwechslung handelte. Ein wenig irritiert bin ich, warum eine nackte Frau sich Schuhe in einem Geschäft für Umstandskleidung anzieht – das erschließt sich mir vielleicht später einmal.

Scheidung

Marc nahm die Nachricht des kommenden Geschwisterchens erfreut auf und wünschte sich einen Bruder. Es gab nahezu eine fünfzigprozentige Chance, dass sein Wunsch eintraf und bekanntermaßen hatte er das Glück. Boule reagierte ein wenig verstört, wie schon beim ersten Kind – denn erneut musste sie erkennen, dass sie in der Priorität von Simenon aufstieg. Blieb noch Tigy, die es gleich fragte, ob er daran denken würde, sich scheiden zu lassen. Simenon verneinte in der Situation und führt aus, dass er nie ein Anhänger der Ehe und des Gelübdes ewiger Treue gewesen wäre. Treffender konnte er das nicht formulieren. Trotzdem versprach er Tigy in der Situation, sich nicht scheiden zu lassen. Simenon kümmerte sich aber und ließ prüfen, was es denn bedeuten würde, wenn ein Franzose und eine Kanadierin, beide unverheiratet, ein Kind in den USA bekommen würden. Es wäre, um es vornehm auszudrücken, zumindest nicht unproblematisch gewesen. Weshalb er doch noch einmal bei Tigy antanzen musste und ihr eröffnete, dass es ohne Scheidung nicht gehen würde.

An der Stelle der Geschichte führt Simenon ein kurzes Intermezzo ein und berichtet von einem Treffen mit seinen geschätzten Freund Jean Reno. Reno wünschte sich, so es ein Junge wurde, Pate zu werden; wäre es eine Tochter, würde gern seine Frau Dido die Patenschaft übernehmen. Reno, den Simenon als Genie ansah, hatte seine Frauengeschichten übrigens auch nicht ganz im Griff. Eigentlich war er noch mit Catherine Hessling verheiratet, aber da das Heiraten in Amerika so leicht war, hatte er sich neuverheiratet, ohne geschieden worden zu sein. Das brachte einigen Trubel mit sich, wenn er nun nach Frankreich reiste, wo er als Bigamist ausgeschrieben war.

Während dessen war Simenons Anwalt damit beschäftigt, einen Weg zu finden, eine Scheidung zu initiieren, die in allen Ländern bestand hatte: Das war nicht einfach, zumal er gegenüber Tigy versprochen hatte, die Schuld auf sich zu nehmen. Ganz so großmütig, wie das Angebot im ersten Augenblick klingt, ist es nicht gewesen, gab es die erwiesene Untreue nun auch noch in Form eines heranwachsenden Kindes. Tigy wird sehr gefasst geschildert und so kann man über ein Gespräch anlässlich der bevorstehenden offiziellen Trennung lesen:

»Eines Tages, Georges, wirst du zu mir kommen und mich bitten, dich zu trösten...«
Im Augenblick war ich ihr wegen dieses Satzes böse, antwortete aber nicht. Er sollte mir noch oft ins Gedächtnis kommen.

Die Probleme auf seiner Seite waren sicher erheblich, allerdings lernt man als Memoiren-Leser:in auch noch die Seite von Denyse kennen. Diese stammte aus einer gutbürgerlichen und vor allem katholischen Familie. Ihre Taktik war es, ihren großen Bruder Roger einzuladen und ihm in dem Brief nichts zu verraten. 

Bei seiner Ankunft sah er, warum er kommen durfte und sollte. Überraschend für die beiden, war er weder empört noch wütend – ein wenig Drama hatte man schon erwartet. Aber was nicht war, konnte noch werden. Die erste Zeit verlief wirklich gut. Er vergnügte sich hervorragend, schaffte es mit seiner prächtigen Laune beinahe eine religiöse Zeremonie der Einheimischen zu sprengen.

Die Explosion erfolgt zum Ende seines Besuchs hin. Irgendwann realisierte er, dass seine Schwester nicht nur unverheiratet schwanger geworden war. Sie hatte einen verheirateten Mann »verführt«. Ihr Einwand, sie würde schließlich ein Kind bekommen, wischte Roger mit den Worten beiseite, dieser hätte auch eine Frau mit einem Sohn. Der Abschied war nicht so friedlich, wie auch ein später geschriebener Brief verdeutlich. Simenon erwähnt, dass sein Schwager auch Tigy geschrieben hätte, verrät aber nicht, was in dem Brief stand. Vielleicht war es eine Entschuldigung.

Das Kapitel schließt mit der Schilderung eines Restaurant-Besuchs: Während sie aßen, kam ein Indianer und verkündete, dass Gefahr bestünde. Denyse ließ sich die Situation erklären. Sie meinte zu Simenon:

»Wie müssen sofort wegfahren. Der rote Berg ist bedeckt, wie sie sagen. Das bedeutet, dass jeden Augenblick ein Wolkenbruch niedergehen wird, begleiten von einem starken Wind.«

Sie machten sich auf den Weg nach Hause, denn dieses Szenario bedeutete Unheil in Form von Hochwasser. Es war ein Rennen mit den Wassermassen. Den ersten Übergang konnten sie schon nicht mehr nehmen, der war überflutet. Letztlich gewann Simenon das Rennen gegen den Fluss, denn sie erreichten Tumacacori vor der Flut.