Unterschrift

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Bemerkenswert an den »Intimen Memoiren« finde ich, wie wenig das schriftstellerische Schaffen eine Rolle spielt. Zwar werden hin und wieder Werke erwähnt, die in dieser und jener Schaffensperiode entstanden sind. Über eine Erwähnung hinaus geht es nicht hinaus. Das trifft auch im Großen und Ganzen auf seine Verhandlungen mit Verlagen und Filmstudios zu.

Eine Ausnahme scheint da die Verfilmung von »Sieben Kreuzen in einem Notizbuch« zu sein, welches unter dem Titel »A Life in the Balance« verfilmt werden soll. Der Film, in dem unter anderem Anne Bancroft und Lee Marvin mitspielen, kam 1955 in die Kinos. Da sieht man, welche Zeiträume zwischen der Idee eines Studio-Chefs für die Verfilmung und der Sicherung der Rechte und der eigentlichen Realisierung eines Streifens liegen können. Was diesen Verfilmung angeht, habe ich keine Indizien finden können, dass er es jemals bis nach Deutschland in ein Synchronstudio geschweige denn in ein Kino geschafft hat.

Simenon erwähnt in einem Satz, dass die Adaption eigentlich in Paris spielen sollte, aber in Mexiko gedreht wurde. Daran können leichte Zweifel aufkommen, wenn man sich die Besetzungsliste anschaut. Da sind die beiden Amerikaner in den Hauptrollen, aber der Rest der Besetzung dürfte aus Mexiko (oder aus Lateinamerika) stammen. Ein weiterer Sargnagel sind die Namen der Figuren, die beispielsweise mit María Ibinia, Paco Gómez und Jorge Trevino nicht gerade sehr Französisch tönen.

In den Erinnerungen geht es aber an erster Stelle um das Persönliche: Sein Auftreten in Hollywood, welches sehr ungewohnt für ihn war. Simenon hat sich um seine Verträge immer ohne Beistände gekümmert. Sein Englisch saß aber nicht so, dass er es sich zugetraut hätte, zu verhandeln. Das übernahm Denyse für ihn, die im Englischen sattelfest war, allerdings – das räumt Simenon ein – war hier die Situation anders, denn er verhandelte nicht mit dem Chef, sondern mit einem Anwalt, dessen Job es war, für Studios günstige Verträge auszuhandeln. Dreißig Jahre und eine Trennung später ist Simenon weiterhin der Meinung, dass Denyse die Herausforderung gut gelöst hatte. Die Liebe ging jedoch nicht so weit, dass er ihr auch seine Geschäftsangelegenheiten in Europa übergeben hätte – die behielt er in eigenen Händen.

Erst die eine, dann die andere

Gleich am ersten Abend legte ich Wert darauf, die Situation mit D. klarzustellen

Die Situation war das Verhältnis von Simenon zu seinen drei Frauen. Einfach war es mit Tigy. Da war nichts Sexuelles mehr. Mit Boule sah es anders, und deshalb sah die Klarstellung derart aus, dass er Denyse erklärte, wer würde vor dem Schlafengehen noch zu Boule verschwinden, weil sie allein sei. Er schlief mit seiner Geliebten und kehrte dann zu seiner Lebensgefährtin zurück. Die erkundigte sich, ob es zu Sex gekommen sei und als er bejahte, wollte sie gern »an die Reihe kommen«.

Nun ja.

Die neuen Verhältnisse würden dafür sorgen, dass es für Boule und Georges ein wenig schwieriger wurde. Der Mietvertrag in Tucson lief bald aus und Madam Kingham wollte ihr Haus wieder in Besitz nehmen. Ein Umzug stand an und diesmal war es Tigy, die das neue Zuhause aussuchte. Boule war ihr dabei eine Hilfe.

Tumacácori

Die Interstate 19, die von Tucson in Richtung Mexiko führt, folgt – mit ein wenig Abstand – dem Verlauf des Santa Cruz River. Kurz hinter Rio Rico trennen sich die beiden, aber dann steht auch schon vor der mexikanischen Grenze. Eher nach Mexiko hin, denn nach in Richtung Tucson findet sich ein kleiner Ort mit dem Namen Tumacácori. Es ist die Rede von ein paar verstreuten Häusern. Es gab ambitionierte Projekte, zumindest wenn man sich die Gegend auf der Karten anschaut, aber während die Straßen schon vorhanden sind, sieht es mit der Bebauung immer dünn aus.

Wahrscheinlich hat sich ein Spekulant da vertan, das wäre nicht das erste Mal. Heute gehört Tumacácori ein National Historical Park. Auf der Webseite dessen gibt es neben einem interessanten Video, welches die Gründe für die Gedenkstätte begründet, auch weiteres Informationsmaterial, in welchem unter anderem auch die Geschichte des Landstriches erzählt wird. In einer dort veröffentlichten Publikation wird ausführlich darauf eingegangen, wie das Land in dieser Gegend zu Spekulationsobjekten verkamen und dabei viel Kultur zerstört wurde, ebenso wie das Leben vieler Farmer. Man reibt sich die Augen, wenn man das liest und mitbekommt, dass sowohl Kongress wie auch der Oberste Gerichtshof sich nicht mit Ruhm bekleckert haben, den durchsichtigen Machenschaften zu beenden. Schlussendlich mussten immer die gehen, die nicht viel hatten.

Die Spekulanten hatten sich, wie man mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nimmt, verspekuliert und mit Beginn der Depression fielen auch die Bodenpreise. An dieser Stelle kommt Talbot T. Pendleton ins Spiel, der in jüngeren Jahren Football gespielt hatte, anschließend Geld mit Öl in Texas gemacht hatte und dann auf den Trichter kam, dass es eine gute Idee wäre, eine schöne Ranch zu haben. Er kaufte mit Geschäftspartner das Land der vorherigen Besitzer auf (da haben wir jetzt aber kein Mitleid, das waren ja Spekulanten!) und kümmerte sich fortan um Rinder und Pferde.

Benötigte Pendleton Geld, so verkaufte er ein wenig Land. Auf seiner Showcase Ranch, er hatte nicht die Einzige in der Gegend, aber seine gehörte zu den bekanntesten, trafen sich die Leute, die Rang und Namen hatten – Stewart Granger und John Wayne werden namentlich erwähnt, und Georges Simenon.

Einer seiner Gäste war George Simenon, der berühmte belgische Kriminalromanautor. Während Simenon mit seiner Sekretärin in Pendletons umgebauter Gestüts-Stall lebte, schrieb er eine Novelle über wohlhabende Sozialisten, die während einer Überschwemmung auf der Ostseite des Santa Cruz River gefangen waren. Er nannte den Roman »The Bottom of the Bottle« (Original: »Le fond de la bouteille«, dt: »Am Maultierpass«). Es war kein schmeichelhaftes Porträt.

Interessant ist die Formulierung »Sekretärin« für Denyse, die genauso korrekt wie unkorrekt ist. Außerdem wird als Vermieter Pendleton ins Spiel gebracht, den Simenon wiederum nicht erwähnt.

Das Haus, welches Tigy ausgesucht hatte, war verhältnismäßig klein – für Simenonsche Verhältnisse. Drei Schlafzimmer plus ein Esszimmer und ein Bad. Boule, Marc und Tigy sollten dort einziehen. Unweit davon lebten die Vermieter, eine Familie, welche Simenon mit »W.« abkürzt. Wie weit der Besitz reicht, war nicht für ihn nicht zu ersehen – es hätte keine Zäune gegeben. Und ob es sich bei »W.« um den alten Football-Spieler handelte (der zu der Zeit um die vierzig gewesen wäre), ist den Erinnerungen nicht zu entnehmen. Simenon beschreibt ihn als »jung«, was aber, wenn jemand Mitte siebzig ist, ein relativer Begriff ist. 

Er selbst wohnte mit Denyse in dem erwähnten ehemaligen Stall, welcher »Stud Barn« genannt wurde. Aber auch dieses Gelass wird nicht als luxuriös beschrieben.

Die Menschen gaben sich nett und waren gastfreundlich. Man besuchte sich gegenseitig und es wurde von einem Rancher zum nächsten gefahren. Das konnte hin und wieder über Tage gehen.

Auf der anderen Seiten war dort Getier zu finden, wie zum Beispiel Klapperschlangen. Eine gewisse Vorsicht war angebracht. Bemerkenswert ist auch die Erinnerung daran, dass Simenon mit einem Gewehr auf eine Tarantel schoss und die so groß war, dass man sie mehrfach durchlöchern konnte. Nach dem sechsten Schuss schaute sie immer noch böse, war aber eigentlich schon »Brei«, wie Simenon beschreibt, trotzdem gab er ihr den Rest mit dem Gewehrkolben. Es hörte sich nicht so an, als wäre das wirklich notwendig gewesen.

Wenig erfreulich war der Fund von Schwarzen Witwen im Haus. Mit Waffengewalt war da nichts auszurichten. Es mussten die Kammerjäger gerufen werden, um Frieden im Haus zu schaffen.

Eine andere Gefahr mag ich nicht ernst nehmen, wenn es so wäre, wie beschrieben:

In Stud Barn waren wir völlig abgeschieden, und man erzählte uns, dass manchmal Gefangene aus dem Zuchthaus in Yuma, dem sichersten der Vereinigten Staaten, ausbrachen und versuchten, koste es was es wolle, die mexikanische Grenze zu erreichen.

Es müsste sich um ziemlich desorientierte Häftlinge handeln, wenn sie probiert hätten, etwa 400 Kilometer (Luftlinie) bis Stud Barn zurückzulegen, um sich von dort auf den Weg nach Mexiko zu machen. Wo es doch von Yuma bis zur Grenze gerade mal zwanzig Kilometer sind.

Was immer man Simenon da erzählt hat, das Gefängnis in Yuma wurde 1909 geschlossen – also fast fünfzig Jahre zuvor – und das neue Staatsgefängnis wurde Florence. Dieses liegt nördlich von Tumacácori. Wer dort ausbrach und in Richtung Mexiko wollte, der hatte zweihundertfünfzig Kilometer zu überwinden, bis er an der mexikanischen Grenze war und passierte dabei Tumacácori.

Verwechseln sollte man dieses Gefängnis übrigens nicht mit dem Bundesgefängnis Florence. Das liegt in Arizona und wird gern als »Alcatraz in den Rockies« bezeichnet, ist also ein richtiges Hochsicherheitsgefängnis für Schurken, die sich Simenon sein Lebtag nicht ausgedacht hatte.

Gutmenschen

Es gab noch andere Menschen, die versuchten, den Augen der Gesetzeshüter zu entkommen. Illegale aus dem Süden, die durch die Wüste aus Mexiko kamen und ihr Glück in den Vereinigten Staaten suchten. Sie passierten auch an dem Haus der Simenons vorbei, oft durstig und hungrig. Anfangs waren sie noch skeptisch, aber später gaben sie den Menschen Brot, Bier und Thunfischdosen. Wenn sie nicht da waren, deponierten sie es auf der Veranda, die sie offen stehen ließen. Schlechte Erfahrungen machten sie nie.

Als einmal der Sheriff auf der Suche nach den Einwanderern vorbei kam, und diese waren noch nicht lange fort, zögerte Denyse nicht lang und log dem örtlichen Gesetzeshüter vor, dass sie nur schemenhaft Mexikaner gesehen hätte und verwies zudem in eine andere Richtung. Simenon war ehrlich verblüfft, wie gut seine Geliebte lügen konnte und gab zu, dass er es nicht auf diese glaubhafte Art hinbekommen hätte.