Ganz kalt

Kalt

Zu den schlechteren Ideen gehört es, sich in ein offenes Cabrio zu setzen und bei minus zwanzig Grad längere Strecken zu fahren – da dürften selbst bei heutigen Cabrios die Heizungen schon Probleme zu bekommen. Wenn aber eine solche Heizung de facto nicht existiert und dann das Wetter noch nicht einmal sonnig ist, dann ist die Freude daran sehr, sehr klein.

Torrence und Émile sind zu Beginn der Erzählung auf dem Weg nach Ingrannes. Von Paris aus fährt man dabei in Richtung Süden in Richtung Orléans, allerdings nur einhundert Kilometer, so dass es dabei nicht wärmer werden dürfte. Ingrannes ist ein Dorf, damals dürfte es zwei- vielleicht dreihundert Einwohner gehabt haben. Der Ort liegt inmitten des Forêt d’Orléans.

In dem großen Wald gibt es noch kleinere Gehölze, weshalb man ihnen auch Namen gibt: Zum Beispiel »Wald des Gehängten Wolfs«. Was für ein schöner Name – poetisch und gruselig zugleich. Fast noch schöner ist, dass sich Simenon dieses Gehölz nicht ausgedacht hat. Man schaue auf der Karte nach »Bois du loup pendu«.

Überraschender bei der Gelegenheit war für mich, dass es in Frankreich eine gewisse Vorliebe für gehängte Wölfe gibt. Es wäre maßlos übertrieben, zu sagen, dass es zahllose Straßen sind, die den Name »du loup pendu« tragen. Aber es sind mehr, als ich jemals erwartet hätte.

An dem Morgen hatten sie in der Agentur einen Anruf bekommen. Eine Frau flehte sie gerade zu an, zu ihr zu kommen. Sie hätte eine Leiche im Schuppen am See entdeckt, die Polizei könnte sie nicht rufen und ihr Mann dürfte auch nicht erfahren, dass sie angerufen hätte. Dabei sagte sie nicht, dass ihr Mann für den Tod des Mannes – vermutlich Jean Marchons – verantwortlich wäre; aber durch ihr Verhalten vermittelte sie den Eindruck, dass es so wäre. Sie sollten kommen und gibt eine kleine Beschreibung:

»Maison du Lac, bei Ingrannes, im Wald von Orléans ... Die Leute hier halten es für ein Schloss, sie nennen es Château du Lac.«

Das ist so eine Sache mit der Urteilskraft: Die Leute halten das Haus nicht nur für ein Schloss, sie halten den Teich auch für einen See.

Kühler Empfang

Marie Dossin war so ihre Klientin geworden und aufgrund der Dringlichkeit froren sich Émile und Torrence auf der Fahrt die Nasen ab. Neben der gewissen Kühle, die wetter- und fahrtbedingt waren, gab es noch eine andere Kühle: Die der Menschen, mit denen sie sprachen. In Ingrannes suchten sie den Gasthof auf und versuchten, Informationen aus der Wirtin herauszukitzeln. Als Profis hätte das kein Problem für sie sein dürfen, aber es sah fast so aus, als würden die beiden Privat-Ermittler mehr erzählen als die Wirtin. Immerhin wussten sie danach, wo sie weiterzufahren hätten.

Dachten sie.

Sie drehten ihre Runden durch den Wald und kamen erst nach mehreren Versuchen bei dem Haus an. Sie wurden von einem großen, unfreundlichen Hund begrüßt, der keine Anstalten machte, sie hineinzulassen. Der Hausherr gesellte sich aus der Richtung des Waldes dazu, war aber nicht viel freundlicher. Er sähe, erklärte er den beiden Detektiven, weder einen Grund, sie hineinzulassen, noch ihre Fragen zu beantworten. Seine Frau wäre im übrigen krank und läge im Bett.

Die Situation konnte von Émile gerettet werden. Er fabulierte munter los, dass sein Chef – Torrence – sich für malerische Umgebungen interessieren würde und der See und der Schuppen, das wären ja sehr schöne und malerische … So kommen sie rein und können die Gegend ein wenig inspizieren. Insbesondere den Schuppen und dort entdeckt Émile, dass ein Haken, an dem man jemanden aufhängen kann, dafür in der letzten Zeit genutzt worden war. Es gab also eine Leiche. Fragte sich nur wo.

Eiskalt verdächtig

Der Hausherr verhielt sich abweisend und wenig kooperativ. Ein Arzt bescheinigte der Ehefrau eine gewisse Verrücktheit. Der Diener des Hausherren schien die Ermittlungen sabotieren zu wollen. Die anderen Dorfbewohner waren erkennbar auf der Seite des Schlossherren. Die verzweifelte Ehefrau versuchte die Detektive zu überzeugen, dass der Mann umgebracht worden wäre. 

Wenn das nicht die Stunde der Ritter unter den Detektiven war, dann wird es eine solche Stunde danach nie wieder gegeben haben.

In dieser zweiten Erzählung des Zyklus zeichnet sich die Rollenverteilung klarer ab. Torrence weiß nicht, wer der Chef der Agentur ist. Das weiß nur Émile, da er der Chef der Agence O ist. Der wiederum spielt aber allen vor, dass Torrence sein Chef wäre. Da dieser manchmal sehr begriffsstutzig ist, muss der Schnelldenker Émile ihm seine Pläne unterjubeln oder in seinem Namen durchziehen. Da Torrence nicht eingeweiht ist, hat ihm Émile dann aus den Patschen zu helfen, in die er seinen »Chef« gebracht hat. Als »Team« kann man das nicht bezeichnen.

Zusammengefasst: schöne Atmosphäre, gut lesbar – ein wenig vorhersehbar.