Über die Story

Das war mal ein dickes Buch! So oder so ähnlich kann man den Roman auch zusammenfassen. Allerdings würde das dem Wälzer nicht gerecht werden. Eines kann man aber schon fragen? Warum hat denn Simenon nicht zwei Romane daraus gemacht? Denn heutige Autoren machen das gerne so: wenn der Erste beim Publikum angekommen ist, kann man den Zweiten nochmal nachschieben. Wenn nicht, dann halt nicht.

Gut, aber Simenon macht das nicht. Ein Thema, ein Buch.

Michel Maudet ist so ziemlich am Ende. Da hat er eine nette Frau, die für ihn ihr behagliches Leben aufgegeben hat, und deren Eltern er versprochen hatte, dass er für seine Frau sorgen könne (in dem Sinne, dass er ihr einen angemessenen Lebensstandard bieten könne), und was stellt sich dann heraus?

Sie waren keine fünf Monate verheiratet und besaßen schon nicht mehr viel, was noch einigermaßen wertvoll gewesen wäre. Linas goldene Uhr war zwei Wochen nach ihrer Ankunft in Paris versetzt worden. Danach hatten sie zu einem Spottpreis den Smoking verkauft, den Michel sich für die Hochzeit hatte anfertigen lassen.

Linas Mantel, ein molliger Tuchmantel ...

An der Stelle breche ich die Aufzählung ab, denn sie geht noch ein bisschen fort. Schon an dieser Stelle bekommt man den Eindruck, Maudet ist ein Hochstapler, zumindest hat er die Ehrlichkeit nicht gepachtet. Ihm ist aber mittlerweile bewusst geworden, dass sich etwas tun muss. Da erfährt er von einem Freund, dass Dieudonné Ferchaux einen Sekretär sucht. Das wäre es doch, denn Maudet weiß aus der Presse, dass Ferchaux jemand ist.

Ferchaux ist, wie es heute so schön heißt, aus Funk und Fernsehen bekannt. Vor Jahren begaben sich die beiden Brüder Ferchaux nach Afrika, um ihr Glück zu versuchen. Sie eroberten den Urwald und errichteten Handelsstationen, waren sich dabei nicht zu schade, die Eingeborenen wo es ging, übers Ohr zu hauen. Aber nicht nur das: Dieudonné Ferchaux brachte bei einer Expedition drei Eingeborene um, die er im Verdacht hatte, gegen ihn zu meutern. Bei der Wahl der Mittel war er nicht zimperlich, er schmiss ihnen Dynamitstangen hinterher. Es hätte keinen interessiert, was er dort im Urwald trieb, aber: es herumzuposaunen, war wohl nicht der richtige Weg. Denn auf dem Weg nach oben, macht man sich immer Feinde. Auch die Ferchauxs.

Sein Bruder lebte die meiste Zeit des Jahres in Frankreich, besaß Häuser und Schlösser, gehörte dem an, was man die Elite nennt. Kein gesellschaftliches Ereignis ohne Frankreich-Ferchaux. Der verschrobene Bruder war für Geschichten gut, man hatte was zu lachen. Auch er war reich, aber er lebte seinen Reichtum nicht und fühlte nur in Afrika richtig wohl. Aber von dort musste er fliehen, weil ein kleiner Kolonial-Beamter zu seinem Feind wurde. Dieser regte sich zuerst über falsche Waagen auf, später kam er auf die Geschichte mit den Negern. Der Staatsdiener tat alles, um Ferchaux das Leben schwer zu machen. Mit Erfolg.

In dieser schwierigen Zeit drehte es Maudet so, und anders kann man es nicht nennen, dass er als Sekretär bei Dieudonné Ferchaux angestellt wurde. Der junge Mann hat keinerlei Scheu, Fähigkeiten anzupreisen, die er nicht hat, und ist sich nicht zu schade, seine Frau zu verleugnen. Er zieht bei dem verschrobenen Alten, der in der Nähe von Caen in einem Haus wohnte, welches man nicht komfortabel nennen konnte, ein – seine Frau Lina ohne einen Francs in einer Gastwirtschaft lassend.

Die Situation spitzt sich mit der Zeit zu. Der jüngere Bruder dringt seinen Bruder, entweder auszuwandern und unternimmt Schritte, ihn für verrückt erklären zu lassen. Aber Dieudonné lässt sich davon nicht beeindrucken – er!, der Afrika überlebt hat. Es ist aber wohl nur Dummheit und maßlose Selbstüberschätzung, denn bald kommt es zum Haftbefehl und der alte Mann ist auf der Flucht.

Maudet ist ihm dabei behilflich und seine Frau anfangs mit dabei. Sie verstecken sich in Dünkirchen und warten die Entwicklung ab. Damit beginnt eigentlich schon der zweite Roman…

... und dieser spielt in Panama. Maudet hatte sich zu der gemeinsamen Flucht mit Ferchaux entschlossen, seine Frau zurücklassend. Er war mittlerweile wer, so glaubte er zumindest, denn er war als Sekretär von dem alten Ferchaux bekannt geworden. Der Ruhm nützte ihm in Panama nicht viel, zumal er nicht sagen durfte, dass der alte Mann, den er betreute, der Mann war, der im Urwald Dynamitstangen auf Eingeborene warf. Er war des alten Mannes überdrüssig geworden. Anfangs, in Frankreich, da hatte er ihn vergöttert. Später kam Neid hinzu, denn der Mann schaffte es, sich auch bei seiner Frau Lina einzuschmeicheln und dann entdeckte Maudet, dass Ferchaux von ihm abhängig war. Ferchaux, der sich entschlossen hatte, seinen Memoiren zu verfassen, hielt damit seinen Sekretär immer wieder hin. Wenn der in die Stadt wollte, hieß es, er müsse jetzt Teile seiner Memoiren diktieren.

So ein Leben will Maudet nicht führen, er hatte sich von seinem Sekretärs-Posten bei Maudet viel, viel mehr versprochen – Ruhm, Ansehen und Reichtum. Mit einem flüchtigen Mörder, der nur von dem lebte, was er auf der Flucht mitnehmen konnte, mit dessen zweifelhaften Taten man sich noch nicht einmal rühmen konnte, war das nicht zu erreichen. Das ist das Ende…

Die Ferchauxs existierten wirklich, ein großer Teil dessen, was Simenon erzählt, basiert auf Fakten. Den Aufstieg und den Fall, wie er sich in Wirklichkeit ereignete, beschreibt Simenon in seinem Vorwort.