Alfred Sisley – »Lavandières à Moret« (1888)

Schnell auf Abwegen


Der Besitzer der Agence O ist da nicht so: Wenn die eigene Auftragslage dürftig ist, dann kann man sich auch um Fälle kümmern, für die man kein Mandat hat. Die Fälle müssen herausfordernd sein, das versteht sich. Im charmanten Moret-sur-Loing wurde ein Verbrechen verübt, dass diesen Kriterien entsprach. Die Detektive machen sich auf die Socken.

Rufen wir uns kurz in Erinnerung, was passiert? In der kleinen Stadt Moret-sur-Loing fand man die Leichen von zwei Männern, die vermutlich in der gleichen nächtlichen Stunde erwürgt worden waren. Das Rätselhafte darauf war, dass sie in zwei Gasthöfen logierten, die sich direkt gegenüberlagen. Sie bewohnten in den Unterkünften Zimmer mit der gleichen Nummer und sie hatten auf den Meldezetteln die gleichen Namen vermerkt. Das ist so merkwürdig, dass es die Aufmerksamkeit von Emile erregte. Er war damit nicht allein, Hobbydetektive aus der ganzen Umgebung stürzten sich auf dieses Verbrechen und meinten, sie könnten es von Terrassen und Gaststuben der beiden Etablissements lösen.

Das Örtchen und der Maler

Moret-sur-Loing liegt unweit von Fontainebleau an der Loing, welche kurz hinter dem Ort in die Seine mündet. Auf der Karte findet man die Ortschaft südöstlich von Paris und östlich des Waldes von Fontainebleau. Seine Ursprünge hat der Ort zu alten römischen Zeiten. Im späten 11. Jahrhundert wurde das Gebiet Teil der Kronendomäne und gewann damit insbesondere an strategischer Bedeutung. In der Stadt finden sich noch einige Bauwerke, wie zum Beispiel Stadtmauern und Tore, die im Mittelalter entstanden sind. Ich nehme an, dass die Geschichten in den 20er- oder 30er-Jahren spielen soll: Zu der Zeit hat Moret etwa 2.500 Einwohner gehabt. Simenon spricht von einem Dorf, aber die Gegebenheiten sind schon kleinstädtisch.

Offenbar war die Umgebung sehr inspirierend für Maler, es gibt eine Reihe von Gemälden, die den Ort abbilden – normalerweise das Ufer der Loing und des Loing-Kanals. Der Impressionist Alfred Sisley, eines seiner Gemälde ziert diesen Artikel als Aufmacher, hatte sich derart in das Örtchen verguckt, dass er uns gleich mehrere Bilder hinterließ. Er wählte dabei auch ein Motiv, das auf Postkarten sehr beliebt war – Frauen, die in dem Loing-Kanal ihre Wäsche wuschen. Sisley war in den Augen vieler malender Zeitgenossen nicht so erfolgreich gewesen, wie er es verdient hätte. Anfangs konnte Sisley, der aus England stammte, noch auf die Unterstützung seiner Familie zählen. Nachdem diese verarmte und ihn nicht weiter bezuschusste, wurde es finanziell recht düster. Kann man noch von Erfolg sprechen, wenn man als Kreativer davon nichts mehr mitbekommt? Man fing erst nach dem Tod von Sisley an, das Werk des Impressionisten zu schätzen.  

Zwielichtige Recherche-Ergebnisse

Kaum haben sie den Wald von Fontainebleau durchquert, entdecken sie das reizende Dorf am Ufer des Loing. Auf beiden Seiten der Hauptstraße schwingen die Schilder von Gasthäusern in der hellen Morgensonne. Links ist es das Écu d’Or. Rechts das Cheval Pie.

Die Konstellation, die Simenon beschrieb, war schon interessant. Deshalb galt meine erste Recherche der Frage, ob die beiden genannten Gasthäuser »Écu d’Or« und »Cheval Pie« existiert haben oder existieren. Definitiv kann man sagen, dass heute keine Spuren in dem Ort von diesen Lokalen zu finden ist. In einem kleinen Städtchen wie diesem gibt es nicht besonders viele Hauptstraßen. Wenn man die Straße, die aus Richtung Fontainebleau virtuell abfährt, fallen einem auch keine Plätze ins Auge, von denen man sich vorstellen könnte, dass sie es ein könnten. Vielleicht war es früher einmal anderes, weshalb ich nach Artefakten im Internet suchte.

Mancher erinnert sich vielleicht noch daran, dass der Vorläufer des Euro »Ecu« hieß. Der Name stand für »European Currency Unit«, stieß aber bei vielen Beteiligten auf wenig Gegenliebe. Den Kritikern klang er zu französisch oder weckte Assoziationen, die nicht vorteilhaft schienen. Helmut Kohl beispielsweise mochte den Begriff »Ecu« nicht, weil er in der Aussprache an das deutsche »eine Kuh« erinnern würde (Quelle: Die Presse).

Den Franzosen war die Begrifflichkeit vertrauter. Im Französischen stand der »Ecu« für das Wort »Taler« und die goldenen Taler kann man heute noch bei Münzensammlern erwerben, die Preise sind – wenig überraschend – happig.

Die erste Münze dieser Art wurde 1263 herausgegeben und bestand aus Gold. 1640 folgte ein Silber-Ecu, der Goldtaler war also etwas besonderes. Der Begriff »Ecu« wurde bis in die 1920er-Jahre für die Fünf-Frans-Münze verwendet. Der Name des Gasthaus spielt sicher auf »Goldtaler« an, was für sich ein sehr solider und erfolgsversprechender Name ist. Zumindest für den Betreiber der Gastwirtschaft, denn wenn Taler flossen, dann in Richtung Gast zu Wirt.

Überrascht war ich, dass der Begriff in einem ganz anderen Kontext auftauchte: Es handelt sich dabei auch um einen Stummfilm aus dem Jahr 1908 und gilt als einer der ersten Pornofilme überhaupt. Auf diese Art und Weise hat er es auch zu eigenen Einträgen in Filmdatenbanken und sogar in der Wikipedia geschafft. In einem Review auf IMdb heißt es:

Es ist witzig, wenn man bedenkt, dass einer der ersten Pornofilme die gleiche Art albernen Aufbau aufweist, wie die Filme die später folgten. (IMdB)

Diesmal nicht

Bei anderen Gelegenheiten hatte Simenon Gegebenheiten beschrieben, die existierten. In dieser Geschichte war das offenbar nicht der Fall. Es bleibt eine nette Idee, die sich Simenon ausgedacht hat, um uns einen verzwickten Kriminalfall zu servieren. Wer in der Nähe von Fontainebleau ist, der sollte einen Abstecher nach Moret-sur-Loine wagen. Es scheint hübsch dort zu sein.