Sommerfrischler auf Mörder-Suche
Frankreich bewegte ein aufsehenerregender Fall, aber man hatte die Agence O nicht herangezogen, bei der Lösung zu helfen. Die Polizei wollte das selbst regeln. Émile und seine Kollegen hatten aber zu der Zeit keinen Klienten, der sie beschäftigten wollte – darum gab es keinen Grund, seine Nase nicht in diesen Fall zu stecken. Schließlich war bestes Wetter und da konnte man einen Betriebsausflug in eine schöne Gegend starten.
Zwei Gasthöfe, zwei Morde
Eine klassisch-vertrackte Situation für die Polizei und die Öffentlichkeit: Moret, der Tatort wird im Titel der Erzählung schon verraten, liegt in der Nähe von Fontainebleau und dessen ausgedehnten Wäldern. Die Tatorte befanden sich in zwei Gasthöfen – dem »Cheval Pie« und dem »Écu d’Or«, die beide nebeneinander am Ufer der Loing lagen – eine sehr malerische Umgebung und ein ideales Ziel für Sommerfrischler aus Paris. Die Kombination aus Mord und schöner Natur zog ungleich mehr Leute an, darunter diverse Freizeit-Detektive. Zur Freude der Wirte, die komplett ausgebucht waren, und zum Ärger der Polizei, die sich in der Arbeit behindert sah.
Man hatte in den beiden Gasthöfen zwei alte Männer ermordet aufgefunden. Die Ermordeten wohnten in den Gasthäusern jeweils im Zimmer 9, dass sie sich gewünscht hatten. Sie kamen am gleichen Tag an und hatten nur kleines Gepäck. Der besondere Clou: Ein jeder von ihnen hatte sich bei seinen Wirten mit dem Namen Raphaël Parain gemeldet und behauptet, er stamme aus Carcassonne. Sie sahen sich nicht einmal sehr ähnlich.
Man veröffentlichte Bilder von ihnen, aber die Polizei kam einer Lösung des Falls nicht näher, weil keiner der Hinweise hilfreich war.
Wie die anderen Sommerfrischler begaben sich Torrence und Émile in neugieriger Erregung nach Moret. Ein wenig naiv waren die beiden zu glauben, sie würden ein Gastzimmer bekommen – sie mussten zusammen in einem Dienstmädchen-Zimmer nächtigen. Noch leichtgläubiger wären sie gewesen, wenn sie erwartet hätten, dass die Inspektoren der Kriminalpolizei sich freuen würden, von Privatdetektiven Hilfe zu bekommen.
Der kleine Unterschied
Wie waren die Unbekannten nach Moret gekommen? Die Taxifahrer konnten sich nicht erinnern, am Bahnhof konnte man auch keine Auskunft geben. Sie waren erwürgt worden, kurz hintereinander. Sie hatten gut gespeist, aber nur einer von ihnen trank einen Schnaps. Der andere war abstinent und Dr. Paul lieferte dafür nach der Autopsie eine Erklärung: Der Abstinenzler litt unter einer Leberkrankheit. Glücklich wären die Polizisten gewesen, wenn sie die Information weitergebracht hätte. Niemand kannte einen Raphaël Parain aus Carcassonne, auch nicht in Carcassonne.
Nicht nur für Freizeit-Detektive, Profi-Detektive und Polizisten war der Fall ein gefundenes Fressen. Dieser erlesenen Riege schlossen sich auch Journalisten an, denn eine solche Story war für jeden Leser interessant. Dieses Interesse ging weiter über Frankreich hinaus, auch internationale Pressevertreter wie der Engländer William Norton waren vor Ort und recherchierten ausführlich, um im besten Falle den einheimischen Ermittlern in der Lösung des Falles zuvorzukommen.
Es gab noch jemand, der den beiden Privatdetektiven sofort ins Auge fiel: Irène Séquaris. Die junge Dame war freundlich, schien jedoch nicht an diesen Ort zu passen. Sie war damit beschäftigt, Briefe über Briefe zu schreiben – Émile interessierte, was sie denn an wen mitzuteilen hatte – und was sie den lieben langen Tag tat. Ihre Spaziergänge an den Ufern des Loing erweckten nicht den Eindruck, als ob sie der Entspannung dienten.
Amüsante Idee
Bei den Fällen, die Simenon sich für die Maigret-Neben-Ermittler ausdachten, habe ich oft das Gefühl, dass die Storys ein wenig konstruiert wirken. Es gibt einen interessanten Ausgangspunkt, an dem man sich denkt: »Hast Du nicht gesehen, was wird denn das werden?«, auch der Teil der Ermittlung ist meistens plausibel. Jedoch macht die Auflösung nicht richtig Spaß.
Die Erzählung kommt mit einer amüsanten Idee, was den Fall angeht, daher und sie wird plausibel aufgelöst. Von den bisher von mir gelesenen Geschichten aus der Agence O ist es die, die mir am besten gefallen hat. Jetzt bin ich fürchterlich gespannt, ob die folgenden Storys dieses Niveau beibehalten (oder sich noch steigern).
Schön auch hier, dass Simenon es nicht versäumte, Charaktere aus seinen Maigrets unterzubringen: diesmal den Gerichtsmediziner Dr. Paul.
Amüsant finde ich das Titelbild mit dem Hund, welcher in der Tat mit der ganzen Geschichte gar nichts am Hut hat. Die Wahl für dieses Titelbildes fiel, bevor mir die Handlung bekannt war: Die Assoziation ist ganz klar: Würger = gruselig = Hund fürchtet sich. Heute bin ich ganz abgeklärt, wenn solche Situationen im Fernsehen gezeigt werden, und schaue auf mein Tablet. Hinter dem Sessel zu verstecken, wie als Kind oder als eine Decke über den Kopf zu ziehen, scheint nun keine Option mehr zu sein, bei der man seine Würde bewahrt.