Briefe

Offenbarung und Höflichkeit


Diese Sache mit dem Briefe schreiben ist eine hochinteressante Sache. Ich kann mich an einige Bücher erinnern, die ich gelesen habe, in denen letztlich nur Briefe ausgetauscht werden. Bei den Briefen von Gide und Simenon hat man das Gefühl, dass beide an den Sätzen gefeilt hat und nicht einfach drauflosgeschrieben hat. Ich frage mich ernsthaft, ob später mal Briefwechsel aus diesen heutigen Zeiten veröffentlicht werden?

Obwohl ich ein sehr positiv eingestellter Mensch bin, habe ich die Befürchtung eher nicht. Wer sollte noch wem Briefe schreiben und einen Meinungsaustausch suchen, als Künstler, Politiker oder Wissenschaftler? Emails werden schon anders formuliert, anders geschrieben als Briefe – mir geht es zumindest so, als jemand der früher viele Briefe geschrieben hat, und sie haben wirklich nicht den gleichen Stil, nicht die gleiche Wirkung wie meine Emails von heute. Am ehesten, und das klingt jetzt vielleicht ein wenig verrückt, sind diese Beiträge hier, Briefe, die aber an niemanden gezielt gerichtet sind. Das Einzige, was die Beiträge hier mit Briefen gemein haben, ist die Frage, ob sie gelesen werden. Da kann man sich nie so ganz sicher sein. Oft werden sie nur überflogen, manchmal nicht beachtet und weggeworfen.

Aber es ist eine Wohltat einen guten Brief zu lesen, so wie es eine Wohltat sein kann, einem guten Gespräch zu folgen. Mir fiel das übrigens vor nicht allzu langer Zeit auf, als ich ein Gespräch von Letterman und Obama folgte. Man muss Obama nicht mögen, um zu realisieren, dass man es mit einem Menschen zu tun hat, der sich die Zeit nimmt, über seine Antworten nachzudenken, der klug und abwägend antwortet. Es friert einem, wenn man dann daran denkt, wer aktuell im Weißen Haus sitzt und noch nicht einmal seine Kommunikation per Twitter richtig im Griff hat. Könnte man sich einen Briefwechsel zwischen Obama und Trump vorstellen, der das Niveau erreicht und hält, dass der Briefwechsel von Gide und Simenon hat?

Rollenverteilung

Auf der einen Seite haben wir den Intellektuellen in Gide und auf der anderen einen Handwerker, als der sich Simenon versteht. Selbiger betont (zum Beispiel in diesem Brief), dass ihm Intelligenz Angst macht. Simenon sieht sich als jemand, der mit seinen Geschichten etwas anrührt, wie Teig oder Möbel, und das mit einer gewissen Routine. Gide hatte im letzten Brief nach der Methode Simenons gefragt – und Simenon gibt zu verstehen, dass er versucht, in Routinen zu leben. Simenon glaubte, dass ihn diese Routinen davor schützen, die Fähigkeit zu schreiben, nicht zu verlieren. Da klingt auch ein wenig Angst mit, nach dem Motto – heute bin ich später aufgestanden, deshalb ist dies und das misslungen…

Im Teenager-Alter hatte der »kleine Sim« schon klare Vorstellungen, wie sein Leben aussehen soll, was er wann erreicht haben wollte. Das hat nie geklappt, wenn ich das mal vorwegnehmen darf, aber das hatte Simenon auch selbst erkannt. Seine Ziele waren auch nicht eben bescheiden (Minister, wollte er eine zeitlang werden.)

Das Leben ist nicht so planbar, wie man sich das als junger Mensch vorstellt. (Ich beispielsweise war schon an den verschiedensten, sehr weit von meinem Zuhause entfernten Orten gewesen – aber aus irgendwelchen Gründen wollte ich als Neunzehnjähriger unbedingt nach Mauritius. Heute frage ich mich, warum? Vielleicht müsste ich hinfahren, um das herauszubekommen…)

Von diesen Vorstellungen weg, schildert Simenon seine Entwicklung als Schriftsteller. Die Maigret-Krimis, die er auch hier als Halb-Literatur bezeichnet, dienten ihm zu Geld verdienen. Das Geld sollte ihm ermöglichen, die »richtigen« oder wie es mittlerweile heißt, die »großen« Romane zu schreiben.

Meerschweinchen

Simenon schreibt in dem Brief davon, dass er sich zwei Jahre zuvor mit Keyserling in Darmstadt getroffen hätte. Gide sagte das wahrscheinlich was, einem Teil der Leserschaft wird auch sofort nicken, und vor sich hinmurmlen: »Ach ja, der Keyserling!« Mir ging das leider nicht so, ich musste erst einmal nachschlagen, um wen es sich denn handeln könne.

Seinen Lebensmittelpunkt in Darmstadt hatte ein Keyserling und der trug den vollständigen Namen »Hermann Alexander Graf Keyserling«. Er war Philosoph und hatte sich sowohl mit seinem »Reisetagebuch eines Philosophen« und »Das Spektrum Europas« einen Namen gemacht. Keyserling hatte Simenon eingeladen, um ihn zu studieren. So konstatiert Simenon nicht nur, dass der bekannte Philosoph von ihm wohl enttäuscht gewesen sein muss, sondern auch, dass er sich wie ein Meerschweinchen unter Beobachtung gefühlt hat. (Bei der Gelegenheit habe ich nicht nur was über diesen Philosophen gelernt, sondern auch, dass Meerschweinchen bis in das 20. Jahrhundert hinein in Europa auf der Speisekarte standen.)

Interessant wäre gewesen, zu erfahren, was sich Simenon von diesem Besuch erwartet hat und was er mitgenommen hat. Man fährt ja nicht einfach zu einem wildfremden Menschen, um sich begutachten zu lassen – zumindest nicht, um eine solche Beobachtung von einem Philosophen vornehmen zu lassen.

Der Spielführer

Nach achtzehn Kriminalromanen bin ich es leid – ich fühle mich stärker und lasse den Spielführer – also Maigret – weg.

Einen großen Teil des Briefes erklärt Simenon Gide, wo er seine Schwächen sieht. Interessant finde ich, dass Simenon seine Schwächen genau erkennt und das er weiß, woran er zu arbeiten kann. Er stellt fest, dass es ihm noch nicht gelingt, mehrere Personen in einem Roman zu führen und zu formen. Mit der Hauptperson würde es ihm sehr gut gelingen, nur mit den anderen Figuren funktioniert das noch nicht so gut.

Ein wenig Lob ist auch drin, denn er sagt, er wäre mittlerweile ganz gut darin, seinen Figuren die richtigen Worte in den Mund zu legen, so dass ein Arber auch wie ein Arbeiter spricht und ein Fabrikant wie ein Fabrikant – mal was Beispiel genommen. Dafür hätte er aber auch fast sein ganzes Leben gebraucht, um das einigermaßen hinzubekommen. Er hat ein Ziel:

Bevor ich jedoch die großen Romane schreibe, die ich vorhabe, will ich die handwerklichen Mittel meines Meters voll beherrschen...

​Er hat weiter an sich gefeilt und dann hat er aber wohl Lust auf ein wenig Erholung bekommen, denn er schrieb ja weiter Maigrets und bekam ein ganz guten Rhythmus hin.

Simenon gibt auch zu, dass er – was das Schreiben angeht – kein sehr geduldiger Mensch ist. Acht Tage würde er für einen Kriminalroman benötigen, dann müsse der fertig sein. Er hätte sich schon ein wenig gesteigert, klopft er sich auf die Schulter, und halte schon mal zwölf bis fünfzehn Tage. Aber sein Ziel, da ist er auch recht optimistisch, dass er es erreicht, wäre das Schreiben eines Romans, bei dem er sich einen Monat Zeit lässt.

Schließlich gibt es noch ein wenig Information für Gide darüber, warum er selbst »La Marie du port«[RDMVH] für einen beispielhaften Roman hält. Er ist der Meinung, dass dies sein einziger Roman sei, den er bisher geschrieben habe, bei dem er objektiv und neutral geblieben wäre.

Ein sehr interessanter Brief, ein sehr langer dazu, in dem Simenon wertvolle Einblicke in die Entstehung seiner Werke gibt und vor allem, wie er sie selbst wertet. Simenon hat auch probiert Gide zu lesen (seine Romane). Er schreibt zwar, dass er in ein Stimmungstief gekommen wäre, als er ein Buch von Gide gelesen habe. Nach Gide Tod gibt Simenon aber zu, dass er es nicht geschafft habe, ein Buch von ihm zu lesen. Das war doch sehr höflich von Simenon, wo Gide doch schreibt, er würde alle Bücher von Simenon quasi verschlingen.

Dann schauen wir mal weiter, was Gide dazu einfällt, der noch im gleichen Monat antwortet.