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Exaktheit
Da sich Simenon hin und wieder Straßen- und Ortsnamen ausgedachte, dachte ich mir, dass er sich die Freiheit vielleicht auch bei Büchern erlaubt. Umso überraschter war ich gewesen, dass von den drei in »Sonntag« genannten Autoren, zwei existieren und die Existenz des dritten Autoren zumindest sehr wahrscheinlich ist.
Émile Fayolle hatte sich auf den Weg nach Marseille gemacht, um dort eine Wasserpumpe zu kaufen. Zumindest war es das, was er seiner Frau erzählte und er passte schon auf, dass dies halbwegs plausibel war. Der Mann hatte den richtigen Zeitpunkt abgepasst, so dass seine Frau gar nicht erst auf die Idee kommen würde, mitfahren zu wollen. Der eigentlich Zweck der Reise war es, sich schlau zu machen, wie man am besten jemanden mit Gift um die Ecke bringen könnte. Das Ziel war besagte Ehefrau, insofern hätte es den Herzschlag nur erhöht, wenn Émile sie bei der Reise dabeigehabt hätte.
Wahrscheinlich zurecht wäre sein Aufenthalt in einer Bibliothek in Cannes oder Nizza aufgefallen, weshalb er sich für Marseille entschieden hatte.
Charles Leleux
In dem Werk »Das Gift, seine Eigenschaften und seine Wirkungen« setzte sich der Autor mit berühmten Vergiftungen – Simenon schreibt von Arsen-Vergiftungen – auseinander. Aus diesem Werk zog Émile die Gewissheit, dass ein Giftmord eine smarte Methode war, um Menschen um die Ecke zu bringen, da er nur zufällig entdeckt werden würde … oder durch großen Pech. Er wähnte sich auf dem richtigen Weg.
Der Autor Charles Leleux war kein Toxikologie, sondern Rechtsanwalt und praktizierte in Paris. In der französischen Nationalbibliothek sind vier Werke von ihm verzeichnet. Drei von denen haben rein gar nichts mit Giftmorden zu tun, was man von dem vierten – »Le Poison à travers les âges« – nicht behaupten kann. Das Buch erschien 1923 und hatte über 300 Seiten. Erstaunlich, wie lange sich dieser Schmöker gehalten hat, denn auch wenn die Geschichten von Simenon zeitlos sind, spricht einiges dafür, dass die Geschichte eher in der Zeit spielt, in der sie Simenon erschuf, denn in der Vorkriegszeit.
In dem Eintrag zu dem Autoren in der Nationalbibliothek ist vermerkt, dass der Rechtsanwalt 66 oder 67 Jahre alt wurde und 1943 verstarb.
Roger Douris
Fassbarer, wie man an Bild oben sieht, ist das Werk von Roger Douris. Der Mann war Professor für Pharmakologie in Nancy gewesen und damit ein Fachmann, der die Substanzen nicht nur aus Gerichtsakten kannten, sondern selbst zusammenmixen konnte – wenn er gewollt hätte. In einem eigenen Kapitel führt er alles Wissenswerte über Arsen-Verbindungen aus.
Zumindest das, was Émile brennend interessierte, wie zum Beispiel:
Toxische Mengen. – Im Allgemeinen bewirkt die Einnahme von 0,2 Gramm Arsensäure eine sehr starke Vergiftung, die in wenigen Stunden (zehn bis vierundzwanzig Stunden) zum Tode führt.
Vor geraumer Zeit habe ich an der Stelle einen alten Artikel hervorgegraben, in dem es es um die Verwendung von Arsen in den Krimis ging. Tenor war gewesen, dass Simenon sich um die Tatsachen nicht wirklich kümmerte. Denn mit purem Arsen lässt sich niemand umbringen. In dieser Geschichte bekommt man ausführlich geschildert, worum man sich zu sorgen hat. Man muss sich die entsprechende arsenhaltige Verbindung suchen, um sein Opfer erfolgreich um die Ecke zu bringen. Außerdem, wie man sieht, gilt es auch die Zeiten zu beachten, die das Gift braucht, um zu wirken.
Von dem Band gab es zwei Ausgaben: Die erste Ausgabe erschien 1934, eine zweite Ausgabe ist in der französischen Nationalbibliothek für 1951 verzeichnet und erschien damit elf Jahre vor dem Tod des Autoren, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches kurz vor seinem 70. Geburtstag gestanden haben dürfte.
In welcher Ausgabe Émile nun geblättert hat, sei einmal dahingestellt. Der Handlungsspielraum des Romanes lässt sich damit aber für eine Zeit nach 1934 festlegen.
F. Schoofs
Der dritte im Bunde erregte die Aufmerksamkeit von Émile mit dem Buch »Gesamtdarstellung der toxikologischen Chemie« (im Original: »Précis de chimie toxicologique«). Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Mann namens Frans Schoofs handelt, ist sehr groß, da es durchaus Literatur in dieser Richtung von dem gleichnamigen Mann gegeben hat. Nur findet sich weder in der belgischen noch in der französischen Nationalbibliothek ein Titel, der der einer Gesamtdarstellung nahe kommt. Er wird von Simenon als Professor der Medizinischen Fakultät von Lüttich genannt, der schon emeritiert worden war. Da ich keine Geburtsdaten gefunden habe und die bekannten »Frans Schoofs« sich mehr mit Tischtennis und Esperanto beschäftigt hatten, will ich nicht ausschließen, dass sich Simenon hier nur einen Namen geschnappt hat.
Es ist schließlich auffällig, dass bei den anderen beiden Autoren eine Genauigkeit vorhanden ist, die er bei dem dritten Autoren missen ließ.
Zuhause
Kurz nach seinem Aufenthalt in Marseille war Émile bei Dr. Chouard. Da dieser nicht anwesend war, hatte er Zeit in dessen Bibliothek zu stöbern. In dieser fand er einen Band mit dem schlichten Titel »Gerichtsmedizin«. In diesem Werk, dessen Autor nicht genannt wird, fand der angehende Verbrecher viel genauere Informationen, um einen Giftmord mit einem arsenbasierenden Stoff zu begehen, als in den Werken in Marseille. Außerdem bestätigte ihn das Werk darin, dass es für einen unvoreingenommenen Arzt schwierig wäre, herauszufinden, dass es sich um eine vorsätzliche Vergiftung handeln würde.