Giftfläschchen

Susann Hahn

Arsen


Immer wieder stellt sich die quälende Frage: »Wie bringe ich den Kerl um?« Das richtige Gift sollte ein ambitionierter Mörder schon gewählt haben. Liest man klassische Kriminalromane, wird der Anfänger geradezu mit der Nase in Arsen gestupst. Es könnte auf die Idee kommen, es wäre eine Empfehlung. Hier ist einmal notiert, warum dieses Element keine gute Idee ist.

Erst einmal ist da das Problem der Beschaffung. Nehmen wir an, dass Sie sich für einen gutgeplanten Einbruch in ein chemisches Labor entschieden haben. Nachdem Sie den handwerklich sicher nicht ganz einfachen Akt des Schlüsselklaus für das Gebäude hinter sich gebracht haben und nun in dem Raum stehen, egal ob klein oder groß, geht es auf die Suche nach dem richtigen Stoff. Haben Sie schon »Die Wahrheit über Bébé Donge« gelesen? Dann könnten Sie jetzt auf die Idee kommen, Arsen zu benutzen.

Plastisch hat Simenon die Symptome der Vergiftung, unter denen François Donge litt, in dem Roman geschildert: Eine unbestimmte Übelkeit überkam den Mann, es wurde ihm ganz heiß, Schauder durchliefen und Krämpfe packten ihn … Ist es das, was Ihnen für Ihr Opfer vorschwebt?

Wo nur das Arsen (As) finden? Wenn sich ein Laborgehilfe bei der Beschriftung nicht vertan hat, werden Sie in dem Labor nicht fündig werden. Vielleicht wird Ihnen nun selbst schlecht! Nachdem Sie sich mühsam der Schlüssel bemächtigt haben, stellen sich bei Ihnen ähnliche Symptome wie bei einer Vergiftung ein. Sie haben mit kaltem Schweiß zu kämpfen und vor den Augen verschwimmt Ihnen alles.

Der erhobene Zeigefinger

Die Oberlehrer können jetzt den Zeigefinger heben und ausrufen: »Mit einem ordentlichen Chemieunterricht wäre das nicht passiert!«

Wonach Sie suchen müssen, ist Arsenik (As2O3). Reines Arsen bringt nicht um (es sei denn, Sie verzehren es kiloweise – aber wer tut das?). Das Oxidationsprodukt von Arsen indes hat es in sich.

Sie können durchatmen, es besteht noch Hoffnung, dass Sie den Stoff finden werden. Aber hoffentlich sind Sie im richtigen Labor! Nicht in jeder Chemiker-Bude findet sich Arsenik. François besaß eine Gerberei und zu dessen Handwerkzeug gehört dieser Stoff. Er wird zur Konservierung von Tierbälgen, Fellen und Ähnlichem benötigt. Bébé musste nicht lang suchen.

Sie finden das weiße Pulver eventuell auch in Laboren, die sich mit der Herstellung von Schädlingsbekämpfungsmitteln oder der Farbherstellung beschäftigen. Suchen sie nach einer Flasche, welches durch einen schicken Schädel, der für sich spricht, gekennzeichnet sein sollte.

Exakt getroffen

Die Symptome, die von Simenon in dem Roman geschildert wurden, treffen hundertprozentig zu. Kehren wir die Betrachtungsweise einmal um: Sie vermuten, Sie könnten Opfer eines Arsenikanschlages werden. Wir haben ein paar Empfehlungen für Sie: Arsenik wird normalerweise in Flüssigkeiten aufgelöst – meiden Sie Getränke! Dies scheint Ihnen nicht realistisch?

Gut, wir haben »Empfehlungen« geschrieben, dann haben wir mindestens noch eine in petto. Sie können sich als sogenannter »Arsenikesser« versuchen. Dazu sollten Sie regelmäßig Arsenik einnehmen und langsam die Dosen erhöhen. Wir wollen nicht verschwiegen, dass es unangenehme Nebenwirkungen hat. Auf lange Sicht führt diese Vorsichtsmaßnahme zum Tode, akute Anschläge lassen sich bei ausreichendem Training durch die Vorsorge überleben. François hätte den Mordversuch seiner Ehefrau durchaus souveräner überstehen können – mittelfristig wäre Bébé allerdings ohne Nachhilfe Erbin der Hälfte der Firma der Gebrüder Donge geworden.

Dieser Beitrag erschien erstmals 2003 im »Simenon-Jahrbuch« der Simenon-Gesellschaft. Er wurde für die Veröffentlichung an dieser Stelle leicht überarbeitet.