Gut Altenkamp

Ein Blatt nach dem anderen


Pünktlich um 17 Uhr betrat ein Herr die Bühne und fing an, die Interpreten vorzustellen. Der Blick ins Publikum hatte ihm das Gefühl gegeben, dass es überflüssig wäre, sich selbst vorzustellen. So wie die meisten Besucher:innen untereinander vertraut waren, so war der Conférencier kein Unbekannter ... und umgekehrt. Wir waren eingedrungen in eine kleine, traute Runde.

Eingefunden hatten wir uns im Gut Altenkamp. Als Ortsunkundiger hätte ich gesagt, dass das in der Nähe von Papenburg ist – aber genau genommen ist es ein Stadtteil. Dabei handelt es sich um ein historisches Herrenhaus im niedersächsischen Papenburg, das im städtischen Besitz ist. Es besticht durch seine barocke Architektur und weitläufige Gartenanlage. Letztere haben wir aufgrund von aufkommendem Regen nicht inspizieren können. Heute wird das Gut als Kulturzentrum und Veranstaltungsort genutzt, in welchem regelmäßig Ausstellungen und kulturelle Events stattfinden.

Der vorgesehene Raum war gut gefüllt. Die Formulierung soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich trotzdem um eine sehr private Veranstaltung handelte. Wäre schon schön gewesen, wenn mehr gekommen wären, um dem Künstlerduo zu lauschen.

Das Gespann

Das Duo bei diesem Auftritt bestand aus Ulrike Schwab und Tobias Hoffmann. Das wird an der Stelle deshalb erwähnt, weil es wohl auch andere Konstellationen gibt, wenn man dem Internet glauben darf. Aber darf man das? Da sind wir beim Thema: Entweder ist die Schauspielerin bei dieser Veranstaltung »Opfer« einer falschen KI- oder Suchmaschinen-Anfrage geworden. Deshalb musste der unbekannte Conférencier vor Beginn das kleine Begleitheft korrigieren: Nein, es war keine Opernsängerin, die uns an diesem Abend Simenon präsentieren sollte

Stattdessen war es die gleichnamige, äußerst vielseitige Thüringerin, die vor die vor einem Publikum aus vorwiegend Papenburger:innen trat. Die Schauspielerin und Regisseurin hat sich in der Kölner Theaterszene mit innovativen Projekten einen Namen gemacht, darunter der Theater HörParcours »Macbeth in den Städten« und das Opernprojekt »lovesongs for heim@t«. Gemeinsam mit Bettina Eberhard gründete sie die Künstlergruppe Ulbe-Produktion, die »Kohlhaas. Protestspiele. Köln. Kalk.« realisierte. Neben ihrer Theaterarbeit war sie sowohl in Fernseh- wie auch in Kino-Produktionen zu sehen.

Darüber hinaus konnte man ihr sowohl im Radio wie auch im Fernsehen als Sprecherin lauschen. Ein weiteres Betätigungsfeld der Schauspielerin sind Sprecherinnenrollen in Hörspielen. Eines – »Mutterseelenallein« – war 2014 für den Juliane-Bartel-Medienpreis nominiert. Carambolages wurde von Ulrika Schwab im Jahr 2007 mitgegründet und hat sich dem Metier die des Literaturkonzertes verschrieben. 

Tobias Hoffmann gilt laut dem bekannten Jazz-Journalisten Wolf Kampmann als der derzeit beste Jazzgitarrist Deutschlands. Der Gitarrist ist bekannt für seinen eigenwilligen Stil, der Jazz, Blues, Surf und Noise verbindet und für seinen charakteristischen Fender-Twang-Sound. (Hat man nicht viel mit Gitarren zu tun, muss man das meines Erachtens nicht wissen: Der Fender-Twang-Sound ist ein musikalischer Fachausdruck für einen obertonreichen, klingelnden Gitarrenton, der typischerweise mit E-Gitarren erzeugt wird. Vielleicht braucht es ja mal jemand für die 16.000-Euro-Preisfrage bei »Wer wird Millionär«.) 

Der gebürtige Remscheider hat zahlreiche Alben veröffentlicht, darunter mit seinem Tobias Hoffmann Trio und der Band Expressway Sketches, und trat auf vielen internationalen Jazzfestivals auf. Er ist mehrfach preisgekrönt, gewann unter anderem zweimal den Neuen Deutschen Jazzpreis, erhielt 2015 den ECHO Jazz als bester nationaler Gitarrist und 2016 den WDR Jazzpreis in der Kategorie Improvisation. 

Und er ist Professor für Jazzgitarre an der Hochschule für Musik in Trossingen. Und. Und. Und.

Der Vortrag

Carambolages – »Ein Abend mit Georges Simenon«

Carambolages – »Ein Abend mit Georges Simenon«

Tobias Hoffmann spielte seine Stücke, die entweder ganz für sich standen oder übergingen in den Vortrag von Ulrike Schwab, und so wie ein Soundtrack die Lesung wirkten. Wer sich durch den vorangegangenen Absatz gekämpft hat, ahnt, dass es sich bei der Präsentation um Jazz handelte. 

Nun höre ich aus dem Genre durchaus Verschiedenes, deshalb wäre es vermessen zu behaupten, dass das für jeden etwas war. Für mich war es eine interessante Variante, die von den üblichen piano à bretelles-Klängen abwichen, mit denen sonst gern die Szenen, die sich um Maigret und Paris drehen, unterlegt werden. Dabei war es nicht nur interessant, zuzuhören, sondern auch zu sehen, wie der Musiker mit seinem Instrument agierte. Hier war es ein Vorteil, dass man so nah und auf Augenhöhe – zumindest mit dem Gitarren-Akteur – war.

Aus meiner Perspektive war die Musik das Vergnügen, konzentriert war ich bei dem, was Ulrike Schwab vortrug. Das möge man mir verzeihen. Wie es sich gehört, verstehe ich an der Stelle auch keinen Spaß. Den hatte ich aber. 

Das lag zum einen an der Auswahl der Texte und insbesondere an dem Maigret, den sie gewählt hatte. »Maigret und der Verrückte von Bergerac« war in der Tat eine gute Wahl, spannend und auch ein wenig amüsant. Auf diesen Text wurde sich von der literarischen Seite von Ulrike Schwab konzentriert. Bei diesem Kennenlernen Simenons wurde man also nicht mit verschiedenen Texten von konfrontiert, sondern nur mit dieser einen Geschichte. 

Abwechselnd gab es Ausschnitte aus der Maigret-Story zu hören, Passagen aus »Simenon auf der Couch« und anderen Texten über Simenon. Damit gab es sowohl eine Annäherung an die bekannteste Figur des Schriftstellers wie auch an den Menschen Simenon, seine Ansichten und seine Herangehensweise an seine Arbeit. Dabei hatte die Schauspielerin anschauliche Aussagen des Autors gewählt, die deutlich machten, wie seine Romane, seine Figuren entstanden. 

Im Vortrag war klar zu unterscheiden, in welcher »Welt« wir uns gerade befanden. Ich war kurz geneigt zu formulieren, dass zu erkennen war, ob wir es mit »fiktiven Geschichten« oder den »realen Bekenntnissen« befanden, aber da Simenon ja gern mal etwas dazu erfand, glaube ich, dass das die passendere Aussage ist. Der angenehmen Stimme von Ulrike Schwab folgte man gern. So wurde es auch für jemanden, der die Texte und Aussagen kannte, nie langweilig.

Bei einer Lesung haben die Vortragenden etwas vor sich liegen. Ulrike Schwab hatte Blätter vor sich, von denen sie las. War sie am Ende eines Blattes, nahm sie es und ließ es auf den Boden gleiten. Irgendwie eine lässige Attitüde … (Wobei ich mich fragte, hebt sie das später wieder auf und bringt es in die richtige Reihenfolge? Die Frage blieb ungeklärt …)

Carambolages: Ulrike Schwab und Tobias Hoffmann
Carambolages: Ulrike Schwab und Tobias Hoffmann

Zusammenspiel

Jazz ist oft auch Improvisation. Der Jazz-Gitarrist ist so bekannt und ausgezeichnet für seine Improvisationen. Andererseits waren die Übergänge zwischen der Vorlesenden und dem Vorspielenden so smart, dass einem das fast unwahrscheinlich vorkam, dass an diesem Abend frei gespielt wurde. Die Antwort ist einfach: Hat er nicht. Die Antwort von Tobias Hoffmann auf diese Frage war, dass sie geübt und geprobt hätten. 

Außerdem würden sie – große Überraschung – das Programm schon seit vierzehn Jahren spielen. Ungeheuerlich, dass sie so lange unter meinem Wahrnehmungsradar fliegen konnten! Die Erklärung dafür ist, dass sie häufiger – und das gilt auch für andere Aufführungen von Carambolages – auf kleineren Veranstaltungen wie der Papenburger auftreten. Größere Auftritte sind eher selten.

Das sympathische Duo bekam am Ende einen verdienten langen, ausdauernden Applaus vom Publikum.