Pont Neuf/Quai de la Mégisserie – mit dem Hauptsitz von »Belle Jardinière«

Der Anzug des Toten


Die Spurensicherung der Bremer Polizei hatte die Habseligkeiten des Mannes, der sich – Maigret war mitschuldig daran – in seinem Hotelzimmer erschossen hatte, eingesackt und zur Auswertung gegeben. Da er die passenden Vollmachten hatte, kam der Pariser Polizist schnell an die Ergebnisse der Untersuchungen der Spuren und hatte Glück: Er wurde verstanden!

Der Labormitarbeiter sprach Französisch und so konnten sich die beiden verständigen.

Was wusste Maigret: Der Pass des Mannes war auf Louis Jeunet ausgestellt. An bestimmten Kennzeichen hatte Maigret erkannt, dass das Dokument nicht echt war. Also war es nicht sehr wahrscheinlich, dass es sich um einen Jeunet handeln würde. Im Koffer, den der Kommissar ausgetauscht hatte, befand sich ein Anzug, der von besserer Qualität war, als der, den der Verstorbene getragen hatte. Durch einen Vergleich des Kleidungsstückes mit der Kreidezeichnung war ersichtlich geworden, dass der »gute« Anzug eine andere Konfektionsgröße hatte – er konnte vom Toten nicht angezogen werden.

Das bessere der beiden Kleidungsstücke stammte aus Lüttich von einem Schneider – darauf deute das Etikett hin –, zu dem anderen Anzug wurde Maigret mitgeteilt, dass …

»Der Anzug stammt von La Belle Jardinière in Paris und ist zu fünfzig Prozent aus Baumwolle, also von minderer Qualität. [...]«

Selbst mit meinen übersichtlichen Französisch-Kenntnissen sprach mich der Name des Geschäftes unmittelbar an. Vermutlich würde ich davon ausgehen, dass ein solches Geschäft weniger mit Kleidung als vielmehr mit Gartenzubehör zu tun hat. Da aber nicht vorgeschrieben ist, dass der Name eines Geschäftes unmittelbar mit seinem Geschäftsbetrieb in Zusammenhang zu stehen hat, nahm ich es mit einem Schulterzucken hin. Hat man das richtige Konzept, kann man sich solche Flausen erlauben.

Und was immer man sagen möchte: Das richtige Konzept hat das Geschäft etwa hundertfünfzig Jahre lang gehabt. Nicht nur Pariser:innen der Mittelschicht schätzten und liebten die Firma, sie hatte einen Ruf in ganz Frankreich.

Die Anfänge

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Place Clichy – mit einer Filiale von »Belle Jardinière«

Credits: Public Domain

Pierre Parissot war schon im Geschäft mit den Stoffen. Er hatte in den 1820er-Jahren eine Firma im Faubourg Saint-Antoine. Seine Kunden werden hauptsächlich Schneidergeschäfte gewesen sein und wie ihm da der Gedanke gekommen ist, seiner Kundschaft billige Konkurrenz zu machen, bleibt wohl sein Geheimnis.

Er eröffnete ein Geschäft auf der Île de la Cité in der Nähe des Blumenmarktes. Und damit haben wir eine mögliche Inspiration für den Namen des Geschäftes, das ist jedoch nur eine Vermutung. Dort verkaufte er konfektionierte Ware zu festen Preisen. 

In der Zeit begann die Industrialisierung und die wusste der Geschäftsmann für sich zu nutzen. Fünfzehn Jahre nach der Gründung des Geschäftes (1824) besaß die Firma schon 190 Filialen, zwanzig Jahre später waren es etwa 130 mehr. Diese wurden nicht von dem Unternehmen selbst betrieben, sondern verkauften nur die Ware. Heute würden wir es Franchise nennen.

Parissot hatte einen Nerv getroffen.

Gute Lage

1861 verstarb der Gründer des Geschäftes und die Leitung ging auf seine Neffen über. In dieser Zeit änderte sich nicht nur die Kultur des Einkaufen, sondern auch die Stadt erlebte Umbrüche. Mit diesen mussten die neuen Chefs des Unternehmens klarkommen.

Dass »La Belle Jardinière« nicht der Platzhirsch in dem Geschäft bleiben würde, war den Unternehmern klar. Ist etwas lukrativ, so gibt es bald Wettbewerb. In diesen Jahren entstanden viele Kaufhäuser, deren Namen Paris-Besucher:innen heute noch geläufig sein werden: »Le Printemps«, »Le Bon Marché« und »La Samaritaine« seien als Beispiele genannt. Der Unterschied zwischen dem »La Belle Jardinière« und den Neuankömmlingen: Der Platzhirsch blieb Spezialist, während die neuen Kaufhäuser Allrounder waren, in denen man alles kaufen konnte, was einem in den Sinn kam.

1173 Jahre vor Pierre Parissot hatte ein anderer Mann eine Idee: Landericus von Paris, seines Zeichens Bischof, gründete ein Hospital auf der Stadtinsel in unmittelbarer Nähe einer Kirche, die später weltberühmt werden sollte. Das Gotteshaus kennt man unter dem Namen Notre-Dame de Paris, das Krankenhaus unter dem Namen Hôtel-Dieu. Letzteres breitete sich über die Jahre immer weiter auf und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen die Stadtväter auf die Idee, dass ein Neubau entstehen müsse. Nun wurde nicht das alte Hospital abgerissen und an der gleichen Stelle ein neues errichtet, sondern man baute erst ein neues Gebäude, ehe man das alte abriss. Ein cleveres Vorgehen, wenn es um eine solche Institution geht. Blöd für die Parissot-Nachfolger war, dass das neue Krankenhaus an der Stelle entstehen sollte, wo ihr Hauptgeschäft stand.

Die Unternehmer entschieden sich, die Insel zu verlassen (Platz wäre dort wahrscheinlich sowieso nicht gewesen), und stattdessen am Seine-Ufer am Quai de la Mégisserie einen Neubau zu wagen.

Das 1867 eingeweihte Gebäude ist auch heute noch an der Stelle zu finden.

Niedergang

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Werbung von 1927 aus der »L'Illustration«

Credits: Public Domain

Schulen, die Schuluniformen vorschrieben, ließen sich von dem Unternehmen diese herstellen. Und während des Ersten Weltkrieges konnten Offiziere der französischen Armee wie auch Alliierte ihre Uniformen in dem Kaufhaus erwerben.

Werbung von dem Unternehmen war überall zu finden. 1953 wurde bei der Tour de France ein neues Wertungsreglement eingeführt und damit auch ein bisher nicht vergebenes Trikot. Gesponsert wurde das neue Trikot von »La Belle Jardinière« und somit bekam es die Farbe grün. Fünfzehn Jahre unterstütze das Unternehmen das Fahrradrennen und so wurde die Bezeichnung und die verwendete Farbe Tradition. Obwohl die folgenden Sponsoren andere Corporate Designs hatten, blieb die Farbe für das Trikot des ersten Sponsors. (Hier gab es nur eine Ausnahme: In einem Jahr gab es das »rote Trikot« – das wurde aber unabhängig vom Sponsor im darauffolgenden Jahr zurückgenommen.)

In den 1930er Jahren begannen Pariser Boutiquen damit, Kleidung zu verkaufen, die den Kollektionen der Haute Couture nachempfunden war. Auch Modeschöpfer legten sich weitere Standbeine neben dem Edel-Geschäft zu. Sie verkaufte »einfachere« Versionen ihrer Kreationen, die in Masse hergestellt wurden.

In den 1950er-Jahren nahm dieses Geschäftsmodell Fahrt auf. Zu dem Zeitpunkt wurden solche Kollektionen von Kaufhäusern vermarktet und damit wurde es für Industriefertiger, wie es »La Belle Jardinière« trotz des schönen Namens nun einmal war, unattraktiver. Das, was bei dem Unternehmen geboten wurde, fand sich auch zu gleichen günstigen Preisen – aber vielleicht ein wenig schicker – anderswo.

In der Folge liefen die Geschäfte immer mieser und schließlich gab das Unternehmen 1972 auf.

Schatten

In einigen Gegenden hierzulande gibt es immer noch Leute, die »in den Konsum« gehen, wenn sie meinen, dass sie in den Supermarkt gehen. Und wenn wir was im Internet suchen, sagen viele (vielleicht auch die meisten), sie würden etwas »googeln«. Der Begriff wird die Suchmaschine, so unwahrscheinlich uns das erscheinen mag, sich auch überdauern. 

Dieses Glück hat »La Belle Jardinière« nicht. In den ersten Jahren wurde es noch vermisst, so wie mancher nostalgisch auf Telefonzellen schaut, aber wer heute in Paris nach Spuren dieses Geschäftes sucht, wird sich gewiss nicht auf das kollektive Gedächtnis verlassen können. Die neuen Geschäfte dieser Art produzieren auf die gleiche Weise, nur nicht in Frankreich, und agieren global: H&M und Primark sind Nachfolger der französischen Firma.

Mehr als verblasste Werbung von »La Belle Jardinière« und ein Gebäude, was an der Seine thront, aber den Namen schon seit fünf Jahrzehnten nicht mehr trägt, wird man als Nachlass in Frankreich nicht mehr finden.