Bildnachweis: - Screenshot aus der Verfilmung
Aus der Zeit gefallen
Das Wort, dass wir suchen, hat eine Länge von elf Buchstaben und bringt zwanzig Punkte beim Scrabbeln. Eine Erklärung im Kreuzworträtsel wäre, dass der gesuchte Gegenstand hilft, nicht aus einem Auto zu fallen. Jeder von uns weiß, worum es bei den Begriff geht! Schließlich nutzt solch ein Gefährt jeder hin und wieder.
Sie liegen goldrichtig, wenn sie »Wagenschlag« tippten. Haben Sie nicht? In dem Fall geht es Ihnen so wie mir. Mir wäre der Begriff für eine Autotür (oder Wagentür) nie in den Sinn gekommen.
Trotzdem fand ich ihn der Übersetzung aus dem Kampa-Verlag, die letztes Jahr erschien, und stutzte. Beim vormaligen Lesen dachte ich: »Da steigt der Maigret aus dem Auto« und hatte dem Wort keine weitere Beachtung geschenkt. Diesmal entfachte es Neugierde: »Interessant, ob das sich um ein Methode zum Verlassen eines Fahrzeugs handelt, die ich nicht kenne und ein wenig spezieller ist?«
Allen, die jetzt zweifelten: In ein Auto wird durch einen Wagenschlag genauso zu- oder ausgestiegen, wie durch eine Autotür.
Charme durch Seltenheit?
Die üblichen Wörterbuch-Verdächtigen im Internet besagen, dass das Wort ein Schattendasein in unserem Wortschatz fristet. »Wagenschlag« wurde nach Angabe des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache in den fünfziger Jahren am häufigsten verwendet.
Die Wortverlaufskurve zeigt an, dass es danach steil bergab ging. In den Siebzigern war der Begriff existent und schaffte es in eine Reihe von Publikationen. Heute wird »Wagenschlag« vermutlich nur noch verwendet, wenn jemand über seine Verzweiflung schreibt, die aus blöden Wörtern in Kreuzworträtseln entspringt. Da bei der wissenschaftlichen Auswertung als Korpus nicht der Kreuzworträtsel-Wortschatz verwendet wird, was nebenbei gesagt ein interessanter Ansatz wäre, ist das Wort in den Niederungen der Nutzung angelangt. Es wird in den nächsten Jahren in die »Rote Liste der aussterbenden Worte« aufgenommen und nur noch in der ZEIT verwendet werden.
Mit der oben erwähnten Kurve ergibt sich ein Anhaltspunkt, warum das Wort von Hansjürgen Wille und Barbara Klau derart übersetzt wurde. Befremdlicher ist, den Begriff in der Übersetzung des Diogenes-Verlages zu finden. Diese stammte von Annerose Melter aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. 1998 gab es eine »Renovierung« des Texte und in dem hatte ich nachgeschlagen.
Heutzutage gilt »Wagentür« ebenso als veraltet. Der Begriff verschwand in den letzten Jahrzehnten wie sein Synonym. Eine steile Karriere legte indes der Begriff »Autotür« hin. Wenn die Bestrebungen zum Schutz des Klimas dem Auto nicht den Gar ausmachen, wird es eine Weile so bleiben.
Die Quelle
Ein Blick in das Original ist da hilfreich. Simenon schrieb:
Neveu, qui attendait, ouvrit la portière de la voiture.
Übersetzt: Der wartende Neveu öffnete die Tür des Autos. Simenon hatte den schlichtesten aller Begriffe gewählt. Er präzisierte, dass es sich bei der Tür um die eines Fahrzeugs handelte. Andernfalls wäre es zu Frage gekommen, wie »Wo war er gerade hineingegangen?« und »Was hatte er gemacht?«
Resümee
Mir fällt ein Fazit schwer. Einerseits lebt »der Maigret« heute davon, dass er sich der Zeit entzieht und nicht modern ist. Mit Worten, die aus der Zeit gefallen sind, kann das unterstützt werden. Legitim ist in meinen Augen, Lesende zu einer Pause zu zwingen und sich mit dem Aufgenommenen zu beschäftigen.
Auf der anderen Seite ist es so, dass diese Unterbrechung nicht aus dem Original kommt. Sie ist mit der Übersetzung ins Spiel gekommen. Wie zuvor angeführt, war Simenon in seinem Text daran gelegen, an der Stelle eindeutig zu sein.