Sevre nantaise

15 Kilometer


Der Vergleich, fand ich, war bestechend. Da gab es einen Ort, der nicht existierte, zumindest nicht an der beschriebenen Stelle, und er tauchte als Name oft auf der Landkarte auf: So wie bei uns Neustadt. So erklärte ich Saint-Symphorien zum Neustadt der Franzosen. Nun weiß ich, dass der Heilige wie ein Nobody wirkt geht, wenn man es mit Saint-Hilaire vergleicht.

Doktor François Mahé, trauriger Titelheld eines Romans von Simenon, wohnte in dem kleinen Ort. Als Leser:innen bekommen wir kleine Brotkrumen als Spur vorgeworfen und können uns daran machen, zu erkunden, wo der Arzt leben könnte.

Mein erster Versuch startete über den Kartendienst von Google. In den Sucherergebnissen tauchten die verschiedensten Varianten von Saint-Hilaire auf und mich beschlich das Gefühl, dass es nicht der Durchmarsch werden würde, den ich mir erhofft hatte. Ich hatte keine Lust, die Ergebnisse auf der Karte zu prüfen. Die französische Wikipedia gab preis, dass es 48 Gemeinden in Frankreich gibt, die den Namen tragen – nicht mitgezählt wurden dabei die Ortschaften, die früher mal existierten (plus fünf) und die Ortschaften, bei denen der Ortsname nicht mit »Saint-Hilaire« begann (plus 10). 

Natürlich hätte ich die Liste von oben nach unten abarbeiten können, aber diese systematische Arbeitsweise ist mir nach Feierabend nicht gegeben. Stattdessen war ich nun interessiert zu erfahren, wer dieser Saint-Hilaire war, der das Auffinden der Ortschaft derart vermieste. 

Saint-Hilaire

Der Vater ist Gott. Der Sohn ist Gott. Der Heilige Geist ist Gott.

Der Vater ist nicht der Sohn (und umgekehrt). Der Heilige Geist ist nicht der Vater (und umgekehrt). Der Sohn ist nicht der Heilige Geist (und umgekehrt).

Die Trinität. Eine Einheit.

Die Mehrheit der Christen sagt, dass das so ist. Ob mir die Anhänger der Theorie das plausibel erklären können oder es nur ein Grundsatz ist, der im Paket enthalten ist, steht auf einem anderen Blatt. Ein paar Gruppierungen innerhalb des Christentums sind nicht dieser Meinung. 

Arius, ein Kirchengelehrter der Frühzeit des christlichen Glaubens, vertrat die Auffassung, dass die Dreifaltigkeit dem Monotheismus widersprechen würde. Demnach wäre es ein Unding, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist auf der gleichen Stufe stehen würde. Er begründete das damit, dass es eine Zeit gegeben hätte, in der Jesus noch nicht existiert hat. Der Gelehrte ging so weit von einer Irrlehre zu sprechen. Auf einem Konzil wurde vereinbart, dass das Bekenntnis von Nicäa verfasst – der Tenor war: Dreifaltigkeit Top, Arianismus Flop. Die, die vorher nicht daran glaubten, waren nicht gewillt, ihre Sichtweise aufzugeben. Das barg einigen Konfliktstoff.

Als Außenstehender könnte ich mit den Schultern zucken und sagen, das sind doch nur Petitessen. Was interessiert es, wenn sich die Gelehrten darüber streite? Der Streit wurde aber in die Mitte der Gesellschaft getragen – der gemeine Bürger hatte ein Auge auf die Frage und wollte wissen, woran er war. Das Seelenheil stand auf dem Spiel. Keiner wollte vor den Schöpfer treten und gesagt bekommen: »Du bist der Meinung, wir drei sind eins? Tja, dann mal tschüss! Der Kollege in der unteren Etage nimmt sich deiner an.«

Constans war Kaiser des weströmischen Reiches und Constantius, sein Bruder, herrschte über den östlichen Teil. Beide wollten eine Klärung des ganzen und riefen die Bischöfe zusammen. Im Westen saßen die Anhänger der Trinität, im Osten hing man eher der Theorie von Arius an. Es wurde eine Synode in Serdica, dem heutigen Sofia, organisiert. Die Reisezeiten dürften beachtlich gewesen sein und ich verrate nicht zu viel, es kam nicht viel rum. Die geistlichen Führer aus dem Osten waren nicht gewillt zu konferieren, so lange Athanasius von Alexandria und Markell von Ankyra anwesend war, die man früher ausgeschlossen hatte. Jede Fraktion zog sich in eine Ecke zurück, die einen in den kaiserlichen Palast, die anderen in die Stadtkirche – und exkommunizierten sich gegenseitig.

Der Herrscher des Westens wurde ermordet. Sein Bruder mochte mit ihm nicht einer Meinung sein, was die Trinität anging, aber das ging nicht! Also wurde der Usurpator von Constantius angegriffen und vom Thron vertrieben. Nun hatte er den Osten und Westen wieder vereinigt und setzte durch, dass man die Trinität zu überdenken habe. Also: Dreifaltigkeit Flop, Arianismus Top.

Um 315 n. Chr. herum wurde ein gewisser Hilarius von Poitiers geboren. Über die frühen Jahre des Mannes ist nicht allzu viel bekannt. Bei ihm handelt es sich um den ersten Bischof von Poitiers, dessen Name überliefert wurde. Dieser hatte auch eine Meinung zu dem Streit, der schon vor seiner Geburt begann, und äußerte diese Constantius. Der Kaiser verstand keinen Spaß in Religionsfragen oder er mochte keine Kritik: Er verbannte den Bischof in den fernen Osten, was zur damaligen Zeit irgendwo in der Türkei war. Hatte Constantius gehofft, dass er damit den Kritiker ruhig gestellt hätte, so sah er sich getäuscht. Hilarius machte weiter, verfasste Schriften und Stellungnahmen. Die angestammten Geistlichen betrachteten das Tun des Fremden mit Argwohn. Der Kaiser kam zu dem Schluss, dass es vielleicht besser wäre, wenn er ihn in seiner Nähe hätte. Da hätte er den Theologen zumindest unter Kontrolle.

Die Anweisungen bezüglich seiner Rückkehr waren offenbar unkonkret. Deshalb wählte Hilarius einen Heimweg, der ihm die Gelegenheit gab, Land und Leute kennenzulernen und sie mit Predigten gegen den Arianismus auf den rechten Weg zu bringen. Dafür ließ er sich viel Zeit.

Irgendwie wurde er dann auch zum Heiligen, Ortschaften wurden nach ihm benannt und in der Nähe von Zürich feiert man in einigen Gemeinden Fest zu seinen Ehren.

Das mit seiner Reise und dem kulturellen Austausch, das rechne ich ihm hoch an. Die Geschichte mit der Trinität ist mir im besten Fall gleichgültig. Aber dass er mir mit seinen Aktivitäten, eine eindeutige Identifizierung des Heimatortes von Monsieur Mahé vermasselt hat, kann ich nicht gutheißen.

Eine kleine Unterbrechung

So viele Unklarheiten! Mir brummte der Kopf ganz ohne Pastis und andere alkoholische Getränke. Ein Ort, der sich nicht auffinden lässt, dann noch die Sache mit der Trinität – ich bin dankbar, dass ich dazu nicht Stellung beziehen muss – und hinzu kam eine unklare Formulierung in der Übersetzung hinzu. Die wurde aus alten Diogenes-Übersetzungen in die Ausgabe des Atlantik-Verlages eingeschleppt:

Dabei war es schön auf der Insel, genau wie ihm sein Freund Gardanne, der Maler von Sèvre Nantaise, versichert hatte.

Amerikanische Eltern geben ihren Kindern oft komische Namen. Hierzulande schütteln wir den Kopf und keiner käme auf die Idee, sein Kind »Philadelphia Schmidt« oder »Kairo Schulze« zu nennen. Da diese Marotte um sich greift, war ich extra vorsichtig. Aber ich kann mit einiger Sicherheit festhalten: Es gibt niemanden, der Sèvre Nantaise heißt.

Wenn »von« vor einem Eigennamen steht, gehe ich davon aus, dass es sich um eine Person handelt. Beispielsweise »der Maler von Alain Delon« oder »die Malerin von Madonna«. Bei »Sèvre Nantaise« handelt es sich um einen Fluss. Meines Erachtens würde »der Maler der Sèvre Nantaise« runder anhören. Vielleicht erhöht mich jemand …

Die Mischung macht's

Gern würde ich sagen: »Er hat es wieder gemacht!«. Schaut man sich jedoch die Chronologie an, ist »Die Ferien des Monsieur Mahé« vor »Sonntag« erschienen. Um die Leser zu verwirren, nimmt man eine Ortschaft, die den Namen eines Heiligen trägt und schon ist sichergestellt, dass irgendwo in der Nähe ein Ort dieses Namens zu finden sein wird. Das hat mit Saint-Symphorien hervorragend funktioniert und auch mit Saint-Hilaire hat Simenon nicht daneben gegriffen.

Dann kommt der wunderbarer Mix verschiedener Fakten: Mahé hat einen Freund, der ist Maler, und der malt offenbar gern die Sèvre Nantaise. Dazu sollte er in der Nähe wohnen, sonst wäre es mühsam. 

Und auch Mahé wohnte in der Nähe des Flusses, da er auch gern dort angelte und Krebs fing:

Wenn die Jagdsaison vorbei war, blieb noch das Fischen in der Sèvre, zurzeit waren Krebse aktuell.

Es gibt einen Ort mit Saint-Hilaire, der in Reichweite dieses Gewässers liegt: Saint-Hilaire-de-Mortagne. Es gibt auch andere Orte, die in der Nähe des Flusses Sèvre liegen, dabei handelt es sich dann aber um die Sèvre Niortaise, die im gleichen Gebiet entspringt, jedoch in südliche Richtung fließt.

Das Bild hat einen Schönheitsfehler, der das Panorama stört:

Sie hatten gut zu Mittag gegessen, und anschließend hatte er eine Pfeife geraucht und mit seinem Freund Arman Péchade geredet, mit dem er Medizin studiert hatte und der fünfzehn Kilometer von Saint-Hilaire entfernt in Bressuire praktizierte.

Bressuire ist fast fünfzig Kilometer von dem St. Hilaire entfernt. Allerdings gibt es im Kreis der erwähnten fünfzehn, zwanzig Kilometer keinen weiteren Ort, der diesen Namen trägt. Darüber hinaus durch aus, gerade in der Vendée. In allen Fällen fehlt aber irgendetwas: Entweder sind die Orte zu weit entfernt, liegen am Meer oder haben keinen Flusszugang, geschweige denn die Sèvre Nantaise. Die Sèvre Niortaise würde ich überhaupt nicht in Erwägung ziehen, weil man sich mit der Annahme sehr viel weiter weg von Bressuire bewegt.

So bleibt Saint-Hilaire-de-Mortagne der wahrscheinlichste Schauplatz. Diesen gibt es heute als Ortsteil von Mortagne-sur-Sèvre.