Über die Story

In der Ausgabe, die mir vorliegt, schaut ein äußerst gestrenger Herr vom Cover - Jean Gabin, der in so vielen Simenon-Verfilmungen mitwirkte und glänzte. Mit seinem buschigen Oberlippen-Bart sieht er nicht nur sehr gestreng aus. Nein, auch sehr unzufrieden wirkt der gute Mann.

Wer die Geschichte liest, weiß auch schnell warum.

Man nennt ihn den Präsidenten, aber das ist in Frankreich so üblich. Wer einmal Präsident gewesen ist, ist immer der Präsident. Nichts einem eventuellen schmählichen “Alt-” vorneweg, mit dem sich unsere Bundeskanzler und -präsidenten schmücken dürfen, nach dem sie ihre Amtszeit beendet haben oder beendet wurde. Er lebt in der Normandie zwischen Le Havre und Fécamp, in einem kleinen Haus zusammen mit seinem Chauffeur, seiner Haushälterin und einer Pflegerin. Letztere kann er überhaupt nicht ausstehen, so dass diese zwar in seinem Haus arbeitet, aber nicht wohnt. Diejenigen, die er nicht mag, die bekommen es auch zu spüren. Wie er überhaupt ein Mensch ist, der nicht mit seinen Gefühlen hinterm Berg hält:

Diese Stimmungen hatte ihn sein ganzes Leben lang immer wieder erfasst, so, wie andern das Blut in den Kopf steigt und manche Frauen plötzlich melancholisch werden. Vierzig Jahre lang hatte nicht nur seine unmittelbaren Mitarbeiter, sondern auch eine Menge anderer bedeutender Leute, darunter Generäle, hohe Beamte und auch Staatsmänner, vor seinen Wutanfällen gezittert.

Wie soviele Menschen mit Macht hat er ein kleines Problem: er hat sich nie von der Macht und Einflussnahme lösen können. Noch immer, selbst nachdem er in den Ruhestand geschickt worden ist, drängt es ihn, Macht auf andere auszuüben. Im Haushalt klappt das auch fantastisch. Aber die große, weite Welt mag nicht mehr auf ihn hören. Sie hat ihn, so kommt es ihm vor, schlicht vergessen.

Natürlich bietet der Alltag Abwechslung. Das ist Monsieur mit dem Namen Malate, ein alter Klassenkamerad, der an ihn, als der Präsident seinen ersten Ministerposten bekleidete, herantrat, und um eine Gefälligkeit bat. Diese Gefälligkeit war der Natur, dass der Präsident (damals Minister) hätte gar nicht erfüllen können, hätte er die Position nicht inne gehabt: er lehnte es ab, Malate den Gefallen zu erweisen. Das nahm er ihm übel, so dass er in späteren Jahren immer mal wieder beim Präsidenten anrief und ihm verhieß »Ich werde zu deiner Beerdigung kommen«. So kann man sich auch am Leben halten und Kraft schöpfen.

Da kommt die Chance, wieder einmal in der großen Politik mitzumischen. Die Regierung in Paris wurde gestürzt und der Präsident versuchte die verschiedensten Politiker zu überzeugen, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Leichter gesagt als getan, bei der Konstellation im Parlament, die gerade herrschte. Keiner hatte so recht Lust: da kam man auf Chalamont.

Eine mehr als schlechte Wahl, findet der Präsident, schließlich kannte er den Mann genau. Sein ehemaliger Kabinettschef verdankte einen großen Teil seiner Karriere ihm. Der Präsident war es, der dieser Karriere einen empfindlichen Knick verpasste hatte. Zurecht, wie der alte Mann urteilte. Keine Spur von einer Milde, die das Alter mit sich bringt und von der häufig die Enkel profitieren. Chalamont hatte schon einmal versucht, den Segen des ehemaligen Oberhaupts zu bekommen, aber hatte keine Chance. Der Groll gegen den jüngeren Politiker hielt an.

Auch in dieser Nacht verfolgt der Politiker im Ruhestand am Radio das Geschehen in der Hauptstadt. Er wartet auf den Anruf aus Paris, in dem man ihn um Zustimmung bittet.