Tripes à la mode de Caen

Tripes à la mode de Caen


Nehmen wir kurz an, dass ein Mann sehr gute Kundschaft hat, die es zu überzeugen gilt. Da auch die Business-Liebe durch den Magen geht, kommt er auf die Idee seine Frau Kutteln kochen zu lassen. Im Stress vergisst er jedoch, seiner Frau Bescheid zu geben und informiert sie kurz vor dem zu Bett gehen. Die Verzweiflung der Frau dürfte begreifbar sein.

Hat der Mann die Kutteln schon mitgebracht, dann dürften sie ihm bei dieser Gelegenheit um die Ohren fliegen und die gute Frau ihren Gatten aus dem Haus jagen. Schon das wenige, was ich über diese Speise gelesen haben, machte mir deutlich, dass diese Speise einiges an Vorbereitung und Planung benötigt. In Caen hätte, wäre die Geschichte wahr, jeder Verständnis haben, dass der Mann verjagt wurde.

Wir wollen hier nicht in Hektik ausbrechen. Deshalb wird nicht sofort mit der oberflächlichen Erklärung der Zubereitung begonnen, sondern erst einmal mit dem »Warum« und dem dazugehörigen Viehzeugs.

Nicht in allen Ecken von England ist der Wohlstand zu Hause. Lancashire ist ein gutes Beispiel für eine solche Gegend. Dort wurde Viehzucht betrieben, was nicht automatisch mit Wohlstand und Überfluss einhergeht. Wurden die Tiere geschlachtet, wurde so viel als nur möglich verarbeitet. Unter anderem auch die Innereien des Viehs. Zu den zählen die Pansen – im Englischen Tripes genannt. 

Gut möglich, dass Mr. Pyke – als er von Maigret gefragt wurde, ob er Kutteln essen würde – wusste, wovon die Rede ist. Im Englischen und Französischen wird das gleiche Wort für das Gericht verwendet. Es wird nur anders ausgesprochen. Das könnte hilfreich in der Kommunikation gewesen sein. Egal wie die Antwort ausfiel – sie wird uns nicht verraten –, der Kommissar führte den Kollegen aus London in die Hallen, wo sie Tripes à la mode de Caen speisten. Ein Statement, wie es dem Gast schmeckte, ob er aufaß oder Nachschlag verlangte, ist in der Geschichte nicht zu finden.

Was ist es genau?

Mit vielen Innereien von Tieren stehe ich aus kulinarischer Sicht auf Kriegsfuß. In meiner Kindheit aßen meine Eltern sehr gern Bregen – schön in Butter gebraten, freuten sie sich wahrscheinlich, dass sie das nicht mit den Kindern teilen mussten. Eine Leckerei ganz für sie allein. 

Gerichte mit Tierhirn als wesentlichen Bestandteil zierten den Kinder-Speiseplan nie, anders als Lungenhaschee – ein Gericht, das in der DDR hoch im Kurs stand. Meine Mutter mochte es hervorragend zubereitet haben. Trotzdem aß ich davon nur so viel, dass mir die Gnade der Köchin und der Nachtisch sicher waren. Wobei bei uns zwei Varianten zubereitet wurden – eine für die Erwachsenen (mit Gewürzgurken) und eine für uns Kinder (ohne selbige).

Wesentlich seltener stand bei uns eine Terrine mit sogenanntem Geflügelklein auf dem Tisch – das war bei uns ein Nudel-Eintopf mit den Herzen und Mägen von Hühnern. Waren die Hühnerherzen drin, dann war das ein Glücksfall. Oft waren die Mägen in eindrucksvoller Überzahl, womit ich bei meinem ursprünglichen Thema bin.

Essen wir etwas und es kommt wieder hoch, dann ist das definitiv keine erfreuliche Angelegenheit. Bei Wiederkäuern, wie zum Beispiel Rindern, sieht das anders aus. Zu einer gelungenen Mahlzeit gehört, dass das aufgenommene Futter sich wieder nach oben bewegt und nochmals von den Mahlwerkzeugen bearbeitet wird. Das erzeugt bei uns Beobachtern den Eindruck, dass Kühe den ganzen Tag nur Fressen würden. 

Bei dem Verdauungssystem der Viecher handelt es sich um ein komplexes System. Im Mittelpunkt steht der Größte der Vormagen, Pansen genannt. In diesem tummeln sich Mikroorganismen, die damit beschäftigt sind, die Zellulose des aufgenommenen Pflanzenmaterials zu Glukose zu verarbeiten. Der Verdauungstrakt an sich kann mit dem Pflanzenrohmaterial nichts anfangen, weshalb dieser Prozess elementar ist. 

Damit das richtig funktioniert, braucht man einen Brei und um den zu bekommen, muss das Futter halt wieder und wieder zerkaut werden. (Eigentlich wird uns von Ernährungsspezialisten das Gleiche empfohlen: Zweiunddreißigmal kauen, lautet so ein Leitspruch – Kühen muss man das nicht extra sagen.)

Ein Kuh-Pansen kann bis zu hundert Liter aufnehmen. Bei der Schlachtung einer Kuh ist es unwahrscheinlich, dass es übersehen wird, und es braucht nur wenig Fantasie, sich vorzustellen, dass arme Leut bei einer Schlachtung schnell darüber nachgedacht haben, was man mit dem Organ anfangen könnte. 

In Streifen

In der Küche tummeln sich Pansen nicht allein – Netzmagen, Blättermagen und Labmagen werden ebenfalls kulinarisch aufbereitet. Üblicherweise kommen sie von Hausrindern. Aber auch Kälber (hier jedoch nur sogenannte »Fresser«, also schon selbstfressende junge Rinder) und Schafe dienen als Kuttel-Quelle. 

Im deutschsprachigen Raum existieren sieben verschiedenen Bezeichnungen für Kutteln, die ich schon aus Faulheit nicht aufzählen werde. Ein weiterer Grund ist, dass ich irgendeinen regionalen Begriff nicht aufgeführt habe und irgendwem damit zu Nahe trete. Diese Fragmentierung lässt mich als Innereien-Skeptiker misstrauisch werden und der kleine Verschwörungstheoretiker in mir wittert eine Falle und den Versuch, dass irgendetwas verborgen werden soll. 

Zuvor hatte ich erwähnt, dass die Zubereitung eines Pansen-Gerichtes vor allem eines erfordern: Zeit. Das macht die Wahrscheinlichkeit, dass man es in einem Wald- und Wiesen-Restaurant angeboten bekommt, sehr unwahrscheinlich. Da darf man mich aber gern eines Besseren belehren. 

Verwendet werden die Kutteln in Ragouts und Eintöpfen, manchmal werden sie auch gebraten angeboten. Auf der Speisekarte stehen sie in Süddeutschland, Österreich und in der Schweiz – sowie in Süd- und Südosteuropa bis hin in die Türkei.

Das A und O eines guten Kuttelgerichtes ist die Aufbereitung der Mägen. Diese müssen zuerst gründlich gereinigt werden. Es ist eine Menge Talg im Spiel, das muss bei der Vorbereitung entfernt werden. Anschließend werden die Kutteln gewässert – die Dauer dieses Schritts hängt davon ab, wie alt das geschlachtete Tier war. Die Mägen werden in Salzwasser vorgegart – zehn Stunden scheint eine gute Richtschnur zu sein.

Nun sind die Kutteln in einem Zustand, der es möglich macht, es zu fabrizieren, was auf dem Teller landen kann. Oder anders gesprochen: So bekommt man sie beim Fleischer zu kaufen. Üblicherweise werden sie in Streifen geschnitten verkauft. Mein Eindruck ist, dass die Zeit, die Pansen & Co. vor sich herköcheln, in die Gesamtberechnung von zwanzig Stunden mit eingeflossen sind. 

Der Bruder

Kuttelgerichte kannten die Menschen schon seit der Antike. Sie wurden auch in der Normandie seit langer Zeit zubereitet. Dann jedoch kümmerte sich ein Mönch namens Sidoine Benoît um das Gericht und führte es – nach Ansicht der Liebhaber dieses Gerichtes – in höhere Sphären. Ich kann da nicht mitreden, da mir weder ein »normales« Kuttelgericht bekannt ist, noch die spezielle Variante aus Caen.

Besagter Mönch lebte im 13. Jahrhundert in einer Abtei in Caen (womit das Name des Gerichtes geklärt ist) und sein Rezept wird heute so gekocht wie damals. Auf das Fett von zwei Rindernieren wird verzichtet, da wir heute – wie es so schön geschrieben steht – einen anderen Energiebedarf haben. Da die wenigsten von uns mit einer Hacke auf dem Feld stehen, würde ich das auch unterschreiben. Bereitet man das Gericht für Bauarbeiter zu, ist in Erwägung zu ziehen, dass Fett dazu zunehmen. Mir wäre an der Stelle nur nicht klar, ob sich Rindernieren problemlos beschaffen lassen oder ob sich nicht Hasso und Felix darauf verlassen, dass diese Innereien in ihrem Futter auftauchen.

Wir starten mit dem diversen Gemüsezeugs (Möhren, Lauch, Zwiebeln – Knoblauch wird auch erwähnt). Die Gemüseschicht wird zuunterst im Topf ausgelegt. Ach ja, der Topf! Da wird nicht irgendein Kochgefäß genommen, sondern es gibt bestimmte, die nur für die Herstellung von Caenern Kutteln gedacht sind. Sollten Sie in einen Koch-Zubehör-Laden gehen, fragen Sie nach einem Tripière. (Machen Sie das bitte in Norddeutschland und verdutzte Gesichter sind garantiert!)

Nach dem Gemüse werden in diese spezielle Terrakottaterrine die Kutteln geschichtet, bevor die Krönung durch Kalbsfüße erfolgt. Teil von dem Rezept ist auch Rindfleisch oder Rinderfett. Ich stutzte bei verschiedenen Zutaten und bin mir sicher, dass mir diese in den Auslagen unserer Metzger nicht unterkamen – beispielsweise Kalbsfüße und Rinderfett. Vielleicht muss ich nur genauer schauen oder der Fleischer hebt solche Zutaten im hinteren Bereich seines Ladens auf. (Oder sie sind für die schon angeführten Hassos und Felixe bestimmt.)

Gewürze sind ganz wichtig – Nelken kommen an das Gericht, genauso wie Petersilie, Thymian und Lorbeer. Die Brühe wird durch Calvados (ein wenig) und Cidre (ein wenig mehr) geadelt. Bitte gehen Sie nicht davon aus, dass dies hier ein Rezept wäre, nachdem Sie das Gericht zubereiten können – da würde ich Sie doch gern an Spezialisten verweisen wollen. Das nur als kleiner Dislaimer zwischendurch, falls sie sich gefragt haben, warum an dieser Stelle keine exakten Gewichts- und Mengenangaben erfolgen. 

Wir sind bei dem Schritt »Geduld« angelangt. Zehn Stunden braucht es bis weitergemacht werden kann – das Gericht köchelt in dieser Zeit bei niedriger Hitze vor sich hin.

Nach dem Warten haben Sie vielleicht ordentlich Hunger, aber das hilft nicht: Sie müssen das Gericht weiter verfeinern! Die Kalbsfüße werden aus der Suppe geholt, die Knochen entfernt und das Fleisch zu den Kutteln gegeben. Die Brühe soll noch entfettet werden – dieser banale Arbeitsschritt würde mir einiges Kopfzerbrechen bereiten. Ich vermute, dass man mit einer Kelle das überschüssige Fett abschöpft.

Wahrscheinlich gibt es unterschiedliche Fraktionen von Kuttelliebhabern nach Caener Art: Die einen sagen, dass das Gemüse entfernt werden sollte, anderswo ist von dem Pflanzenzeugs keine Rede mehr. Dazu sollen Kartoffeln gereicht werden, während eine weitere Gruppierung meint, dass ein gutes Baguette die Beilage der Wahl wäre. Es sieht danach aus, als ob hier jeder sein eigenes Glück finden muss.

Wechselvolle Geschichte

Die Tripes à la mode de Caen waren im Mittelalter populär gewesen. Dafür sorgte schon, dass sie nicht nur lecker, sondern auch nahrhaft waren. Sie fielen der Vergessenheit anheim und wurden Anfang des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt. Hundert Jahre dauerte die Hochzeit der Speise, dann geriet sie aus der Mode. Es brauchte ein halbes Jahrhundert, bevor das Gericht wieder an Beliebtheit gewann.

Nun sorgt ein eigener Verein dafür, dass sich dieses Schicksal nicht wiederholt – es gibt den Grand Ordre de la Tripière d'or (»Orden der goldenen Kuttel« – auf so einen Namen muss man erst einmal kommen). Dieser kümmert sich darum, dass diese Speise nicht vergessen wird. Auf eigenen Festivals wird das Gericht um die Wette gekocht. Es ist davon auszugehen, dass das keine hektische Angelegenheit ist.