Quatre Sergents de La Rochelle


Maigret lag immer noch im Bett und sinnierte über den Fall des Verrückten nach. Er hatte mittlerweile einiges herausgefunden, über die Umstände der Tat und, um hier nicht zu spoilern, hört die Geschichte über den Verrücken von Bergerac an der Stelle auch schon auf. Es ist eine Telefonnummer, die man als Auslöser für den folgenden Eintrag betrachten kann. Paris Archive 11467. Maigret interessierte, wer dahinter steckte.

​Eine junge Dame vom Fernamt sollte ihm helfen und er rief da mal schnell an. Maigret meldete sich mit den Worten:

»Hier spricht die Polizei, Mademoiselle...« [...] »Würden Sie mir bitte sagen, ob Monsieur Rivaud am letzten Dienstag aus Paris angerufen worden ist.«

​Die in den eckigen Klammern stehenden Auslassungspunkte stehen nicht für das schlechte Gewissen von Maigret, dass er mit einem solchen Spruch einfach so durchkam oder eventuelle Datenschutzbedenken. Wir bekommen da nur die Information, dass der Kommissar i.B. (im Bett) seine Stimme verstellte, weil er nicht erkannt werden mochte.

Also er bekam die Information, welche Nummer angerufen wurde – Paris Archive 11467 – anstandslos und als er fragte, wer sich dahinter verbar, musste nicht groß geschaut werden, ob die Telefonnummer geheimgehalten werden sollte, denn es handelt sich um ein Restaurant: das »Quatre Sergents de La Rochelle«.

Bekannt? Bekannt!

​Als ich das nun las, kam mir der Name irgendwie vertraut vor. Irgendwo war er mir schon mal über den Weg gelaufen. Ich irrte mich nicht, den Maigret kam schon mal aus diesem Restaurant[MST]. Bei so einem Namen, so dachte ich mir, kann das nicht ausgedacht sein. Auch hier, und da klopfe ich mir ordentlich auf die Schulter, lag ich nicht Fall. Während das Restaurant in dem Verrückten-Roman mit »an der Place de la Bastille« beschrieben wird, steht in dem Toter-Roman, dass das Restaurant am Boulevard Beaumarchais liegen würde. Das schließt einander nicht aus.

Die nächste Frage war dann sogleich: »Gibt es das Restaurant noch? Kann man da mal ein unverschämt teures Bier trinken gehen, wenn man mal wieder in Paris ist?« Die Antwort ist, nein. Es handelt sich um ein Restaurant, das einmal existierte, aber es wurde um 1960 herum geschlossen. Vorher war es am Boulevard Beaumarchais 3 zu finden. (Es soll aber noch zwei Restaurants geben, die den gleichen Namen haben – eines davon in La Rochelle, was ja irgendwie auch passt.)

Vier Sergeanten

Um dem Namen auf die Spur zu kommen, muss man ein wenig zurückgehen. Meine miesen Französisch-Kenntnisse allein reichten nicht, ich musste auch ein paar Online-Übersetzer zu Rate ziehen, die aber erkennbar keine Kompetenz in Geschichte haben. Insofern mag das ganze vielleicht mehr ein Märchen sein, denn akkurate Geschichte: Um 1816 wurde ein Regiment gegründet, was von einem Oberst geführt wurde, der aufgrund seiner Vergangenheit die alten Leute durch neue Leute ersetzte. Der Fachkenntnis tat das wohl nicht so gut, denn es machte sich bald eine gewisse Unzufriedenheit breit. Gerade die Unteroffiziere trauerten den alten Zeiten der napoleonischen Zeit nach. In Paris war man um 1821 herum beunruhigt, denn die Angehörigen dieses Regiments waren nicht bereit »Lang lebe der König!« zu rufen und man kann sich leicht vorstellen, nachdem was dem Kaiser zuvor widerfahren, von dem König mal ganz zu schweigen.

Aber Ludwig XVIII. kam aber geschickt durch seine Amtszeit und sollte der letzte König sein, der dank eines natürlichen Todes abdankte. Seine Amtszeit war geprägt durch die Nachwirkungen der napoleonischen Zeit und die Royalisten waren nach seiner Machtübernahme damit beschäftigt, die Anhänger und die vermeintlichen Anhänger Napoleons aus den Ämtern zu beseitigen. »Weißer Terror« hieß die Zeit und die bis 1815 dauerte. Danach gab es eine liberale Phase, bis ein Sattler auf die Idee kam, den Neffen des Königs umzubringen.

Ein Regiment, welches nicht den König hochleben lassen wollte, das brachte die Herrschenden zum Nachdenken und deshalb entschloss man sich vermutlich 1821, den Trupp nach La Rochelle zu versetzen – was im Januar 1822 geschah. Jetzt ist La Rochelle auch ganz nett, das Wetter ist angenehm, guter Wein ist nicht zu fern – aber im Vergleich zu Paris war das Örtchen sehr provinziell. Vier Unteroffiziere planten sich an einem Umsturz zu beteiligen oder diesen zu organisieren – Jean-François Bories, Jean-Joseph Pomier, Marius-Claude Raoulx und Charles Goubin –, um es zusammenzufassen, ging die ganze Sache schief, sie wurden eingekerkert, vor ein Gericht gestellt und hingerichtet.

Die Republikaner, in deren Tradition die Unteroffiziere gesehen werden, verehrten die jungen Männer, als junge Menschen, die ihr Leben als Opfer gebracht hatten. Es wurden Denkmäler errichtet und Straßen nach ihnen benannt. Und Kabaretts. Und Restaurants.

Dann halten wir mal Ausschau, ob das Restaurant bei Gelegenheit noch mal erwähnt wird…