Nicht lecker!


Das Geplänkel zwischen Jef Schrameck alias Fred der Clown und Maigret hatte gerade Fahrt aufgenommen. Da unterbrach der Kommissar das Verhör, um ein Telefonat zu führen. Seine Annahme wurde vom Gegenüber bestätigt. Er sagte dem ehemaligen Fluchtakrobaten, dass dessen Komplize Louis arm wie eine Kirchenmaus gewesen war.

Er tat es mit anderen Worten. Aber so, wie ich nachgeschaut habe, was es mit der armen Kirchenmaus auf sich hat (also um unser aller Neugierde zu stillen: In der Kirche gibt es keine Nahrung, weshalb Mäuse in selbiger arm dran sind), wurde ich stutzig, als ich die folgende Formulierung von Maigret und die Erwiderung Jefs las.

»[...] Damals war Monsieur Louis ohne Stellung und nagte am Hungertuch.«
»Ich weiß, wie das ist«, seufzte Jef. »Ach, und es schmeckt so scheußlich, das Hungertuch!«

Ich habe mir das bildlich vorgestellt und fragte mich sofort, wie das Tuch wohl geschmeckt haben mag. Lecker klingt es nicht! Mir fiel jedoch ein, dass entweder meine Schwester und/oder ich als Kinder auf Stoffen rumgekaut haben. Das, was uns (vielleicht) schmeckte, war wahrscheinlich das Aroma des Waschmittels – darüber will ich nicht weiter nachdenken. Von Aufessen konnte aber keine Rede sein…

Interessanter war die Fragestellung, was es mit dem Hungertuch auf sich hat und wie es wohl geschmeckt haben könnte.

Das Hungertuch stellt eine Abtrennung zwischen dem Altar- und Kirchenraum dar, welches in der Fastenzeit aufgehängt wurde. Dadurch, dass die Gläubigen der Liturgie nur noch hörend folgen konnten, sollte die Bußgesinnung gestärkt werden. Es gibt einige Regeln und eine ganze Menge Ausnahmen, wann das Fastentuch, wie es auch heißt, zurückgezogen werden darf und muss. Martin Luther hielt von diesem Ritus nichts –die Protestanten haben demnach mit dem Hungertuch nichts mehr am Hut.

Die Kombination mit dem Wort »nagen« entstand im 10. Jahrhundert. Es ist ein anderer Ausdruck dafür, dass man hungert oder arm ist – manchmal wohl auch beides.

Bei einer solch speziellen Formulierung fragt man sich unwillkürlich, ob diese vom quasi-katholischen Belgier Simenon in seinem Roman verwendet worden ist.

Cette époque-là, M. Louis était sans place et tirait le diable par la queue.
Je sais ce que c'est ! soupira Jef. Et il a la queue longue, longue, ce diable-là.

Die Antwort darauf ist: nicht direkt. 

Also mit dem Teufel wurde hier eine Begrifflichkeit eingeführt, die auch im Religiösen ihren Ursprung hat. Im Französischen wird aber die Redewendung »tirer le diable par la queue« verwendet, wenn man ausdrücken möchte, dass die Betreffenden ein kümmerliches Dasein fristen. Wenn ich es wörtlich übersetze – »den Teufel am Schwanz ziehen« – hört sich das auf jeden Fall frecher an als im Deutschen. »Hah, die Franzosen wieder!« Gut jedoch, dass in der Übersetzung die landläufige Floskel verwendet wurde.

Ein wenig übertrieben

Das Verhör zieht sich und Maigret klopft Jef langsam weich. Ich will nicht zu viel Spoilern, wobei allein die Tatsache, dass ich Jef erwähne, schon ein Spoiler ist. Da müssen wir jetzt aber tapfer sein, denn in der Konversation kommt ein weiterer lockerer Spruch:

»Und wenn ich dir sagen würde, dass man in seinem Zimmer deine Fingerabdrücke gefunden hat?«
»Dann würde ich antworten: Fingerabdrücke sind Quatsch mit Soße.«

Nach der Hungertuch-Erfahrung war ich gespannt, wie im Französischen wohl eine solche Floskel aussehen würde. Ich weiß nicht, ob ich mich sehr weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte, dass Soßen in der französischen Küche eine größere Bedeutung haben als in der deutschen. Die deutsche Soße kann sehr schmackhaft sein, aber steht nicht in dem Ruf, besonders raffiniert zu sein. Da fallen einem sogleich Soßen ein, die exotischere Namen haben. Will sagen: Ich hatte gewisse Zweifel, ob man eine Verbindung hergestellt aus etwas Leckerem mit Quatsch.

Werfen wir einen Blick auf die Szene im Französischen:

»Et si je te disais qu'on a trouvé tes empreintes digitales dans sa chambre?«
»Je répondrais que les empreintes digitales sont de la foutaise.«

Die Art, wie Maigret seinen Behauptung konstruierte, hätte Jef in jedem Fall einen Ausweg gewährt. Denn Maigret formulierte es als Annahme. Jef reagierte, wie zu erwarten, und meinte, das wäre Quatsch. Er hätte auch sagen können, dass das Humbug wäre oder Blödsinn. Oder Bullshit, dies würde in jedem amerikanischen Krimi gesagt werden. Uns als Leser:innen ist klar, dass Jef die Ansage Maigrets nicht ernst genommen hat.

Wenn mir jemand sagt, dass es sich um »Quatsch mit Soße« handeln würde, dann sehe ich eine Steigerungsform. Das heißt, ich muss Blödsinn verzapft haben, der geadelt gehört. In der Antwort von Jef sehe ich nicht, dass er der Quatsch-Aussage von Maigret eine Krone aufsetzen wollte. Deshalb halte ich die Formulierung an der Stelle auch für wenig passend. 

Einfacher Quatsch hätte meines Erachtens völlig gereicht!