Die Nacht an der Schleuse

Antiquarisch


Zu den ganz raren Gesellen unter den Simenon-Ausgaben gehören Ausgaben von der Schlesischen Verlagsanstalt. In diesem Verlag erschienen die deutschsprachigen Erstausgaben, elf Stück an der Zahl. Einen Teil der Ausgaben besitze ich mittlerweile. Wenn man denn einen entdeckt, ist die Freude um so größer.

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Was die Preise angeht, ist das ein zweischneidiges Schwert. Da freut es mich zu sehen, dass es eine Wertsteigerung gibt. Titel, die ich vor fünfzehn Jahren für 25 Euro bekommen habe, werden heute zwischen 80 und 200 Euro gehandelt. Einzelne Ausgaben sind auch günstiger zu bekommen, allerdings wird die Freude über den günstigen Preis meist dadurch getrübt, dass in der Beschreibung steht, dass die Titel in schlechtem Zustand sind. Das könnte man natürlich riskieren, aber hat dann vielleicht ein zerfleddertes Buch, welches man nur noch durch den Gang zu einem Buchbinder retten könnte. Apropos Buchbinder - dieser Beruf wird handwerklich wohl nur noch sehr selten ausgeübt, so dass man Menschen, die alte Bücher reparieren können, schon ein wenig suchen muss.

Die Freude an der Wertsteigerung des eigenen Bestandes ist natürlich das eine. Auf der anderen Seite steht, dass mir noch einige Titel fehlen. Wenn die auf dem Markt auftauchen sollte, werde ich sie teuer bezahlen müssen.

Nun kauft man sich solche Bücher weniger, um sie zu lesen. Dafür kann man auf günstigere Ausgaben zurückgreifen, die ein kleines Unglück an dem Buch leichter verzeihen oder - vielleicht exakter - leichter zu ertragen sind. Zumindest ist das bei mir so. Außerdem strengt das Lesen von Fraktur-Schrift auch ein wenig an.

Ich habe mir vor Kurzem für teures Geld den oben genannten Titel »Die Nacht an der Schleuse« zugelegt. Habe es in den Händen gehalten. Ein wenig drin geblättert. Es beiseite gelegt. Angeschaut. Wieder geöffnet. Und den Katzen mitgeteilt, dass es arge Konsequenzen hat, wenn sie sich auf das Buch legen sollten. Nicht, dass es die Katzen wirklich interessiert hätte.

Bei dem Roman handelt es sich um die Erstausgabe von »Maigret und der Treidler der ›Providence‹«. Durch die Rechtschreibprüfung geht der Titel so ohne weiteres nicht. Das Wort Treidler versucht das Programm immer wieder durch Trailer zu ersetzen. Nicht wundern, wenn dieses Wort unvermittelt auftauchen sollte. Der Titel der Erstausgabe macht dagegen keine Probleme. Das kann sich bei dem Zitat der ersten Sätze allerdings schnell ändern. Ich zeige hier mal die Übersetzung von 1934 und eine spätere Diogenes-Übersetzung auf:

Auch die nachträgliche, auf das genaueste vorgenommene Aufregung der einzelnen Vorfälle führte zu keinem anderen Ergebnis als dem, dass der schauerliche Fund, den die beiden Fuhrleute von Dizy gemacht hatten, eigentlich in das Reich der Fabel zu verweisen war.
Am Sonntag - es war der 4. April - hatte es gegen drei Uhr nachmittags in Strömen zu regnen begonnen.
In diesem Augenblick befanden sich in dem Hafen oberhalb der Schleuse Nr. 14, die die Verbindung zwischen Marne und dem Seitenkanal bildet, zwei zu Tal fahrende Motorboote, ein Kahn beim Löschen und eine leere Zille.

 

Die minuziös rekonstruierten Tatsachen ergaben keinerlei Aufschluss, wenn man mal von der Erkenntnis absah, dass die Entdeckung, die die beiden Treidler aus Dizy gemacht hatten, sozusagen ein Ding der Unmöglichkeit war.
Am Sonntag - es war der 4. April - hatte es um drei Uhr nachmittags angefangen, in Strömen zu gießen.
Um diese Zeit befanden sich in dem Hafenbecken oberhalb der Schleuse 14, die die Marne mit dem Seitenkanal verband, zwei Motorschiffe, die stromabwärts fahren wollten, ein Lastkahn, der gelöscht wurde, und ein Baggerschiff.

Ich gehöre zu der Generation, bei der das Lesen von Faktur-Schriften nicht mehr in der Schule gelehrt wurde. Ich habe eine Reihe von Büchern in Fraktur, könnte der nicht sagen, dass ich es mir angetan hätte, einen Roman komplett zu lesen. Bis heute hätte ich behauptet, ich könne es ohne Probleme lesen, allerdings stolperte ich nun über den Ortsnamen Dizy, denn das »y« vermochte ich in der Faktur-Schrift partout nicht erkennen. Es sah eher wie eine gekünstelte Form von einem »n« aus. Gott sein Dank gibt es das Internet und das richtete mich.

Dann wunderte ich mich, warum den in der neueren Ausgabe nicht von »Dizy«, einer Gemeinde an der Marne, die Rede ist, sondern von »Sizy« - bis ich merkte, dass es ein Tippfehler meinerseits war, ging ein wenig Zeit ins Land, denn meine Maigret-Ausgaben sind nach Verlag sortiert und innerhalb dieser Sortierung gibt es keine Untersortierung mehr - es sei denn der Verlag hat eine Nummerierung angebracht, die man gut lesen kann. Bis ich merkte, dass ich die »klassische« Maigret-Ausgabe von Diogenes (die mit dem Maigret mit der Pfeife« verging ein wenig Land und ich überarbeitete noch ein wenig die Position der Bücher in meinem Bücherregal.

Abgesehen von alten, nicht mehr benutzten Worten wie »Zille«, finde ich die Erstübersetzung auch viel weicher. Dieses »minuziös« und »rekonstruiert« sind viel härter und exakter als ein »genauestes« und »nachträglich«. »In das Reich der Fabel« ist dagegen vielleicht gar nicht so weich, sondern einfach nur altmodisch, denn eine »Unmöglichkeit«. Wenn mir heute jemand vorweisen würde, dass etwas, was ich beschrieben habe, unmöglich sei, dann würde ich das gefasster aufnehmen als wenn derjenige meine Geschichte in das »Reich der Fabeln« verweist.

Vielleicht würde es sich wirklich lohnen, weiter in der Übersetzung zu stöbern. Im Hier & Jetzt habe ich aber noch genügend mit dem Umbauarbeiten von maigret.de zu tun, weshalb das erst einmal warten muss.