Die Calvados-Simplifizierung


Morgens das traute Heim zu verlassen, so als ein ganz normaler Arbeitstag bevorsteht und den Tag nach eigenen Vorstellungen zu verbringen, hat schon etwas. Potenziell ist ein solches Verhalten gefährlich, man könnte dabei beobachtet werde und dann würde dicke Luft zu Hause herrschen. Sich ermorden zu lassen, erspart so gesehen Diskussion – hat jedoch Nebenwirkungen.

In der genannten Konstellation verhindert es, dass der Müßiggang nicht fortgelebt werden kann. Was traurig stimmt.

Perfektioniert hatte dieses Vorgehen der gute Monsieur Thouret. Er ließ sich morgens mit einem Küsschen und einem Packen Butterbrote von seiner Frau verabschieden und begab sich mit dem Zug in die Stadt. Dort saß er einen großen Teil des Tages auf einer Bank und beobachtete das Drumherum. Mir scheint, dass dies ein gern genutztes Motiv von Simenon gewesen ist – auch Louise Laboine in »Maigret und die junge Tote« verbrachte so ihre Tage. Allerdings war es bei ihr die Arme-Leute-Lösung, denn sie saß den ganzen Tag vor einer Kirche in einem kleinen Park und hatte dabei das eine Kleid an, das sie besaß. Monsieur Thouret indes saß nicht nur auf dieser Bank: Er wickelte auf dieser sitzend seine Geschäfte ab, verdiente sein Geld und richtete sich so ein, dass er sich mit einer Freundin in einem angemieteten Zimmer treffen konnte, Cafés besuchte, ins Kino ging und dabei auch noch gut angezogen war.

Seine Aus-dem-Haus-zur-fiktiven-Arbeit-gehen-Kleidung war viel langweiliger als das, was er in der Stadt trug.

Nah an der Vorlage

Was passiert eigentlich? Der Mann wird ermordet; er wird gefunden; seine Identität wird festgestellt; verwundert erfährt man von der Frau, dass er nicht hätte da sein sollen; uups, der der Ermordete arbeitete gar nicht in der Firma, die er vorgab und an der Stelle ist man fast schon bei der alten Dame, die Monsieur Thouret hin und wieder besuchte. Die muss sich auf den Schreck einen Calvados eingießen und kommt erst nach einem Weilchen auf die Idee, dem Kommissar einen anzubieten. Obwohl der schon, natürlich mit seinen Kollegen, die ganze Zeit einen Calvados nach dem anderen trinkt. Ich habe zu dem Zeitpunkt auf die Uhr geschaut und festgestellt: »Viel Zeit haben die ja nicht mehr, bis der Fall gelöst sein muss.« Sprich: Ich wurde sehr gut unterhalten und die Geschichte wird flott erzählt.

Was erzählt wird, hält sich im Großen und Ganzen an die Vorlage: Da sind die Reibereien mit seiner Frau, die das Eisenbahner-Beamtentum hochhält und es gibt auch Konflikte mit der Tochter, die gern ihre eigenen Wege gehen wollte. In der Folge wird nicht davon abgewichen, das Konfliktpotenzial in der Umgebung seines Unterschlupfes zu suchen.

Das ging flott

Nachdem bisher alles beschaulich zugegangen war, dachten sich die Drehbuchschreiber (oder Produzenten) vermutlich, dass es etwas Schwung benötigen würde. Maigret erfuhr, dass das Messer, mit dem Thouret ermordet worden war, aus Marseille stammte. Aus Marseille kam auch die Vermieterin des Zimmers. Sie war vorbestraft und früher mit einem Mann zusammen, der ebenso vorbestraft war und – große Überraschung – der in der unmittelbaren Umgebung eine Bar betrieb, in welches die Polizisten bei ihren Ermittlungen eingekehrt waren. Das geht Maigret und Lucas auf, als sie ein Foto in der Akte der Vermieterin finden, welches den Eindruck macht, es wäre für ein Boulevard-Magazin geschossen worden.

Die Reaktion von Maigret: »Da verhören wir einen Haufen Unschuldiger, während der Mörder direkt vor unserer Nase sitzt! Los, den schnappen wir uns!« Womit dessen Schuld schon erwiesen ist. Als Zuschauer dachte ich mir: »Das ging jetzt flott!« Da ist der Böse aber schon auf der Flucht in einem Cabriolet und die Gendarmerie rückt aus, um Straßensperren zu errichten.

Protest!

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Das Ende geht in Ordnung: In der literarischen Vorlage ist es so, dass Maigret auf den letzten Seiten von dieser Wendung überrascht wird. Auch wen man sich der Verhaftung betulicher nähert. So hat man die Gelegenheit, noch ein paar heute urig anzusehende Autos zu betrachten und ein schickes Cabrio.

Die Vorliebe der Ermittler für Alkoholisches, auch im Dienst, wird nicht verschwiegen. Unverzeihlich scheint mir dagegen zu sein, dass man Maigret und seine Kollegen auf »einen Stoff« reduziert: Calvados. Der ist omnipräsent in dieser Verfilmung und wird der literarischen Vorlage überhaupt nicht gerecht. Die Darstellung im Buch ist viel ausgewogener: Viermal wird Bier erwähnt, viermal Calvados, viermal Cognac und einmal nimmt Maigret auch einen Rotwein.