Château de Cheverny

Bottin Mondain


Der Standpunkt, den man im Bezug auf »Erbschaft« einnimmt, dürfte erheblich davon abhängen, welches Vermögen man zu verteilen oder durch eine Erbschaft zu erwarten hat. Das mag ein Grund sein, warum ich das Vererben von unermesslichen Reichtum mit einer gewissen Skepsis betrachte. »Unermesslich« ist eine, ich gebe es zu, schwammige Quantifizierung.

Aber wie es uns gelingt, überall Grenzen zu ziehen, könnte man bei einer Reform mithilfe des menschlichen Verstandes eine Lösung finden. Wenn man denn wollte, was jedoch nicht absehbar ist.

Reichtum ist das eine. Politische Macht, die in diesem Fall oft auch mit Vermögen einhergeht, zu vererben, ist noch einmal eine ganz andere Sache. Mir kann niemand plausibel erklären, warum das künftige Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs Prinz Charles sein sollte oder vielleicht einer seiner Söhne. Und der Nachfolger dieses Königs der Nachkomme oder ein anderer Verwandter sein wird. Die einzige Rechtfertigung dafür ist, von der richtigen Mutter zum richtigen Zeitpunkt geboren worden zu sein – das macht es aus, wer Macht bekommt und die Gelegenheit, weitere Reichtümer anzuhäufen. Qualifikation und Reife sind nicht die Kriterien für die Wahl des Oberhauptes.

Nun ist die politische Macht der königlichen Familie beschränkt, aber es gibt eine ganze Reihe von Ländern, in denen es nicht nur um das Repräsentative geht – man schaue in einige Königreiche in Afrika oder nach Nordkorea, die nicht einmal einen König benötigen, um dem gleichen Prinzip zu huldigen.

Wie es dazu kam

Am Anfang stand Aneignung. Irgendwer hat die Keule (oder das Schwert) rausgeholt und angefangen, seine Nachbarn damit zu verprügeln, um sich mehr Land anzueignen. Es gibt so Leute, die können das Maul nicht voll bekommen und vergrößerten derart ihren Einflussbereich. Die ersten Schritte auf diesem Weg mussten sie wahrscheinlich gehen, aber schon bald kann man delegieren und dann trifft man nur noch Richtungsentscheidungen – welches Gebiet wird als Nächstes erobert.

Die Reiche wurde immer größer. Es wurde unübersichtlich und die Gebiete wurden zu einer Last. Wenn man seinen Reichtum und die Macht nicht sorgenlos genießen kann, muss man sich etwas einfallen lassen. Irgendwer war clever und fing an, Teile seines Besitzes zu verleihen. Er gab ihm gewogenen Herrschaften Lehen – heißt, er lieh den Leuten Teile seines Besitzes zur Verwaltung und Bewirtschaftung. Bedingung war, dass sie ihm – dem Lehnsherren – treu ergeben waren. Nebeneffekt: Der Getreue hatte sich nun um die Probleme zu kümmern. Das Lehen wurde in der Regel unter dem Vorbehalt gegeben, dass es wieder an den Eigentümer zurückfällt.

Damals wird man noch keine Visitenkarten gehabt haben, aber wenn sie welche gehabt hätten, hätte es den Vasallen nicht so gut gefallen, wenn auf der Visitenkarte als Titel nur »Lehnsmann« gestanden hätte. Also gab man zu der Parzelle, die zu pflegen war, noch einen Titel und Rang. Nicht zu vergessen, dass damit besondere Rechte verbunden war – es gehörten einem plötzlich Leute, die einem unbedingt zu dienen hatten, und man bekam so manchen Steuervorteil. Auch die Lehnsmänner fingen an, Teile ihrer Besitzungen als Lehen zu vergeben. Somit war ein Lehnsmann besser als ein anderer. Also brauchte man eine Hierarchie – insbesondere bei den Titeln. (Kommt nur mir hier gerade der Gedanke, dass wir diese Titelwut bis heute ins Organigrammen pflegen?) 

Alle zusammen begaben sich dann gemeinsam auf Jagd – natürlich nach Wild, auch nach Gebieten, nach göttlichem Wohlgefallen. Manchmal gingen sie statt auf andere aufeinander los. Wer einen Eindruck bekomme möchte, schaue sich Europas Kriegsgeschichte an. Diesen Adligen konnte man mangelnde Ausdauer nicht vorwerfen: Es scheint, dass der Siebenjährige Krieg noch einer der kürzeren war.

Das Lustige an den damals vergebenen Titeln ist, dass die Herrschaften darauf noch heute herumreiten. Sie sind stolz darauf, dass einer ihrer Vorfahren einem Mörder und Dieb zu Kreuze gekrochen war, ein Stück vom Kuchen abfiel und ein hübscher Titel mit in dem Päckchen gewesen war. Ein edles Geschlecht wären sie, weil sie es über Jahrhunderte geschafft haben, mit Waffengewalt und verschiedensten Machenschaften ihren Besitz zu verteidigen. Sie hätten die schönen Künste gefördert und die Wissenschaft, behaupten sie – ja, aber wer hat es wirklich bezahlt? Und womit?

Adel in Frankreich

Jahrhundertelang war man damit beschäftigt, sich Macht und Einfluss zu sichern – oft ging es gegen den König. Da glaubte dieser oder jener mal etwas anderes, schon hatte man eine Streitmacht vor der Türe stehen. Die politische Macht des Adels wurde immer kleiner und konzentrierte sich auf den König und den Hofadel. In der Zeit vor der Revolution von 1789 wurden nur noch wenige Titel vergeben. Man begann sich selbst zu betiteln und diese Ränge wurden der Höflichkeit halber akzeptiert.

Die Französische Revolution von 1789 schaffte die Vorrechte des Adels ab. Auch die Steuervorteile waren dahin.

Napoleon, Schöpfer des Ersten Kaiserreiches, kreierte einen neuen Adel – er wurde »Noblesse impériale« genannt. Die alten Adligen werden das mit einer gewissen Abscheu betrachtet haben. Dann kamen die 1814 die Bourbonen und diese setzten die früheren Titel wieder in Kraft, ohne den neuen Adel abzuschaffen. Das mit der Revolution beseitigte Oberhaus wurde vom »Bürgerkönigtum« wieder eingesetzt und diesem war der Adel zur Wahrung seiner Interessen vertreten. Außerdem kehrte man zur Verleihung erblicher Titel zurück. So handhabte man es auch im Zweiten Kaiserreich.

1870 kam die Dritte Republik und man besann sich darauf, dass alle Menschen gleich wären (Teil der Erklärung der Menschenrechte). Adelstitel werden seit dem nicht mehr vergeben. Die Titel blieben und konnten vererbt werden. Die alte Titel-Garde blickte mit Verachtung auf den Neu-Adel. Mit der Zeit arrangierte man sich.

Es gibt auch heute noch Organisationen, die sich für die Wahrung der Interessen des Adels einsetzen. Was immer das für Motive sein mögen.

Der Index

Die geneigten Leser:innen stellen sich vielleicht die Frage, wie  — um Gottes Willen — ich jetzt zu diesem Thema komme. Nun ja, der Beitrag ist einer Bemerkung in »Maigret amüsiert sich« geschuldet, in dem es heißt:

Die Patienten des Arztes gehören nämlich den besten Kreisen an und sind größtenteils im Bottin Mondain aufgeführt.
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Credits: Public Domain – Autor unbekannt

Philippe Jave hatte sich auf eine wohlhabende Klientel konzentriert, dafür saß er in Paris an einer der besten Adressen – am Boulevard Haussmann. Es handelt sich um ein Verzeichnis mit wichtigen Familien der französischen Gesellschaft. Wer bedeutend genug ist, um in das Register aufgenommen zu werden, wird von der Redaktion des »Bottin Mondain« entschieden. Wer meint, er müsste/könnte/sollte dazugehören, registriert sich und hat abzuwarten. Es ist nicht ein reines Adelsverzeichnis –  jedoch in geschätzt 40% der Einträge geht es um Familien mit einem adligen Hintergrund.

Die Sortierung erfolgt nach Familien. Es wird das Familienoberhaupt angeführt, gefolgt von Kindern, Enkeln und Urenkeln. Berufe spielen eine untergeordnete Rolle – erwähnt werden nur freie Tätigkeiten wie Ärzte und Anwälte; höhere Positionen wie Richter und Offiziere sowie Unternehmensführer. Erwähnt wird über den Namen hinaus der Hauptwohnsitz, die Zugehörigkeit zu privaten Klubs und Gesellschaften, der Besitz von Schlössern, Ställen und Jachten.

Nur wer eine Funktion in der Regierung hat oder ins Parlament gewählt wurde, muss sich nicht gesondert registrieren. Vermutlich gilt das auch für den Präsident:innen.

Der Titel wird seit 1903 herausgegeben. Nun fragt man sich, wer so etwas kauft. Ich kann die Frage leider nicht beantworten. In erster Linie werden es die Herrschaften sein, die sich eintragen lassen. Es wird vom Verlag ein Abonnement empfohlen. Wenn man das nicht hat oder längere Zeit keine Ausgabe kauft, wird man aus dem Verzeichnis gelöscht. Spätestens nach zehn Jahren ist man raus. 

Die aktuelle Ausgabe kostet 190 Euro, womit das Wort »Schnäppchen« einem nicht sofort in den Sinn kommt. Es scheint mir ein unverzichtbares Werk zu sein, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Genauer genommen, die »bessere Gesellschaft«, die da mal gern unter sich bleibt.