Eine Familie

Adoptiert


Die Hellseherin war tot. Der wichtigste Zeuge Maigrets in dem Fall, Joseph Mascouvin, hatte sich in die Seine gestürzt und lag schwer verletzt im Krankenhaus. Die Zeitungen hatten viel zu berichten. Eine junge Frau machte sich in ihrer Wohnung zurecht und begab sich zur Polizei. Mademoiselle Janiveau konnte helfen, sie war die Stiefschwester. Moment, was ist mit den Namen?

Er Mascouvin, sie Janiveau. Wie konnte das angehen, wenn er – wie seine Schwester erzählte – von ihren Eltern adoptiert worden war. Wäre die erste Annahme nicht, dass ihm seine Adoptiveltern den Familiennamen »übergestülpt« hätten? Allein schon, um zu zeigen, dass er Teil der Familie wäre und nicht irgendeiner, dem man eine Gnade erweist?

Da sind sie wieder, die Maßstäbe, die aus dem Heute auf das Gestern projiziert werden. Ohne statistische Werte zu haben, würde ich behaupten, dass es heute drei Gründe gibt, um einen Menschen: Es besteht ein Kinderwunsch, der auf natürliche Weise nicht erfüllt werden kann. Gewisse Kreise wollen die Erbfolge richten und/oder das Vermögen nicht an den Staat »vergeuden«. Vergleichbar mit der ersten Kategorie ist die Motivation, jemanden etwas Gutes zu tun.

In der Antike war Adoption sowohl nach griechischem wie auch nach römischen Recht möglich. Aber nach dieser Epoche verschwand sie in Europa in den Hintergrund, galt als verpönt. 

In Frankreich kam sie mit der Französischen Revolution wieder in Mode. Zuvor wurde die Adoption sehr restriktiv gehandhabt – adoptiert konnte nur, wenn das Kind dem Adoptivvater das Leben gerettet hatte oder Minderjährige sechs Jahre in Folge in einer Familie versorgt worden waren. Die Frage war jedoch, mit welcher Motivation sie nach der Lockerung der Vorschriften vorgenommen wurden. Der Soziologin Martine Court zufolge wurden im 19. Jahrhundert gern Jungen im Alter zwischen acht und zehn Jahren adoptiert. Der Grund dafür war weniger darin zu suchen, dass die Adoptiveltern der Meinung waren, dass sich in den folgenden pubertären Jahren weniger Probleme zeigen würden. Sie wurden als billige Arbeitskräfte betrachtet.

Die Soziologin identifizierte die 1920er-Jahre als die Schwelle, in der sich der Antrieb zu adoptieren, von einem rein ökonomischen Aspekt wegbewegte. Nun stand das Glück – hoffnungsvollerweise von den Adoptiveltern und den Adoptierten im Mittelpunkt.

In Frankreich existieren zwei Formen von Adoption: die einfache Adoption und die Volladoption. Bei der einfachen Adoption bleibt die Beziehung zwischen dem Kind und der Herkunftsfamilie bestehen. Dem Kind kann der Name der Adoptiveltern gegeben werden oder der Familienname ergänzt werden. Die Erbrechte in der Linie der Herkunftsfamilie bleiben erhalten.

Bei einer Volladoption (auch Adoption plénière genannt) wird mit jeder Abstammungsbindung gebrochen und es gibt auch keinen Kontakt mehr mit den leiblichen Eltern. Dieser Vorgang ist unwiderruflich. Das bedingt eine Übernahme des Familiennamens der Adoptivfamilie. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu einer Teiladoption ist, dass unter bestimmten – keinesfalls simplen – Umständen eine »Rückabwicklung« möglich ist. Normalerweise ist es in Frankreich so, dass bei einer solchen Adoption der Adoptierte unter fünfzehn Jahren sein muss.

Betrachtet man diese Unterschiede in den Adoptionsverfahren, wird einem auch klar, warum Mascouvin und Janiveau, obwohl sie einer Familie entstammten, unterschiedliche Namen hatten. Die Eltern hatte sich für eine Teiladoption entschieden, und in dem Fall war es nicht notwendig, den Familiennamen des Jungen zu ändern.

Adoptionen lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Hier ist nur (ansatzweise) geschildert, welche Adaptionsvarianten in Frankreich existieren. Nur weil dieses oder jenes in einem Staat erlaubt ist, muss das in einem anderen genauso gehandhabt werden. Dazu gehört, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Adoptionen abhängig von Land und Kultur ist. Liest man sich die Beiträge zu diesem Thema in Ruhe durch, hat man abschließend vielleicht Kopfschmerzen.