Über Kommissar Maigret


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Die schlechte Nachricht zuerst: An eine Neuauflage ist nicht gedacht. Die Gute hinterher: Auf wenn jetzt ein wenig rumgenölt wird, so ist doch das Buch von Alfred Marquart unterhaltsam und lesenswert. Man darf die Maigret-Zusammenfassung nur nicht in einen enzyklopädischem Kontext auffassen. Dann macht es Spaß!

Wenn man mit Maigret-Enthusiasten über selbigen redet, bekommt das Gegenüber immer wieder einen Tipp: lies doch mal das Buch von Marquart über Maigret. Leichter gesagt als getan. Das Buch ist schlicht vergriffen, wenn man ganz viel Glück hat, kann man es vielleicht mal in einem Antiquariat oder bei einem Internet-Auktionshaus abgreifen. Letzteres war auch meine einzige Chance, das Buch einmal in den Händen zu halten (ein freundlicher Quai-Leser hatte mir vor Jahren mal eine RTF-Datei geschickt, die er mit einem OCR-Programm erzeugt hatte, zugesendet, aber das ist natürlich nicht unbedingt DAS Lesevergnügen): und dafür habe ich auch ordentlich gelöhnt (da hat sich der Anbieter aber sicher gefreut 😉).

Es ist das Verdienst Alfred Marquarts, all die unbekannten Details aus dem Leben des Jules Maigret endlich einmal aufgeschrieben zu haben. Damit schließt sich eine schmerzhafte Lücke in der Kriminalgeschichte.

So steht es auf dem Buchrücken geschrieben, so ist das Buch auch zu verstehen.

Der Untertitel des Buches lautet »Biographische Skizzen«. Marquart hat sein Wissen über Maigret, seinen Lebenslauf, sein Denken und Handeln, auch nur aus den Büchern, die von Simenon vorliegen. Allerdings nimmt er sich zwei Freiheiten: nicht Genanntes wird »dazugedichtet«, anderes uminterpretiert.

Es gibt innerhalb der Maigret-Roman keine Angaben zum Wehrdienst des Kommissars, wie überhaupt Krieg (in jeder Form) keine Rolle innerhalb der Maigret-Erzählungen spielt. Hier bedient sich Marquart zum einen bei seiner Fantasie, zum anderen, das merkt er in einer Fußnote auch an, bei anderen Autoren und deren Kriegserlebnissen. Aus der Fülle von Angaben, die zu Maigrets Geburtsjahr existieren, entscheidet sich der Autor für 1887, der Datierung, die Maigret in seinen Memoiren angibt. (Die sollte auch die Verlässlichste sein, sollte man mal annehmen - allerdings weiß man ja, wer der Ghostwriter war.) So findet sich auch ein Sterbedatum in dem Buch (August 1964), und das nicht nur für den Kommissar, sondern auch für seine Madame Maigret.

In einigen Punkten geht er allerdings mit den Angaben der Erzählungen, selbst den oben erwähnten Memoiren, nicht ganz konform. So steht geschrieben, Maigret hätte keine Probleme beim Treppensteigen, die hätte nur die etwas molligere Madame Maigret gehabt (ein böses Gerücht, auch Maigret war später nicht mehr gut zu Fuß und nahm beim Treppensteigen schon mal eine Auszeit). Auch, dass die Maigrets keinen Fernseher hätten, verwundert doch sehr. Der nicht sonderlich technikfreundliche Maigret ist doch immer film- oder vielmehr unterhaltungsbegeistert gewesem, so dass die Maigrets durchaus einen solchen Apparat im Hause stehen haben - wenn sicher nicht die ersten dieser Dinger.

Die Maigrets wollten keine Kinder? Ach! Nirgendwo stand geschrieben, dass Maigret oder gar Madame Maigret nicht kinderfreundlich wären (sie, die sogar hat sogar einmal ein Mittagessen anbrennen lassen, weil sie auf das Kleine einer Freundin aufgepasst hat.) Irgendwo stand geschrieben, dass die Maigrets sogar eine Tochter hatten. Warum dieser Fauxpas?

So ist der Maigret-Kundige auch an anderen Stellen sehr irritiert, aber vieles kann man auch dem Witz Marquarts zuschreiben, der sich amüsanterweise erlaubt, Simenon zu korrigieren. Nicht, das Simenon sich nicht sowieso schon an den unterschiedlichsten Stellen immer wieder selbst widersprochen hätte, zum Beispiel in der Wohnungsfrage, auf die auch Marquart genüsslich eingeht, nein, der wahre Biograph ist Alfred Marquart und der hat da auch ein paar Korrekturen anzubringen.

Andere Eckpunkte die in diesem Buch von Alfred Marquart betrachtet werden: Maigrets Kindheit und Jugend, die Anfänge bei der Polizei, Freunde, Kinobesuche und das Verhältnis von Maigret zu Reisen und zum Gesetz.

Abschließend macht sich Alfred Marquart Gedanken zu Maigrets Paris:

Maigrets Paris gehört der Vergangenheit an. Paris ist immer noch eine erstaunliche, lebendige Stadt, ein Konglomerat der Reize, des Vergnügens, der Schönheit, der Kunst, der großstädtischen Gegensätze. Paris ist die Hauptstadt der Welt geblieben. Jules Maigret würde sich hier aber sehr unwohl fühlen. Die Welt ist ein erhebliches Stück weniger lebenswert geworden. Dazu gehört, dass für die Maigrets kein Platz mehr sein kann. Nur noch in der Erinnerung.

Eine abschließende Beurteilung? Aber gerne: Man darf das Buch nicht als Faktensammlung lesen, die sich »jemand« in den Maigret-Erzählungen zusammengelesen hat, betrachten, sondern als ein Mosaik - versetzt mit der eigenen Fantasie und der des Biographen. »Über Kommissar Maigret« ist ein Roman: ein kurzer und lesenswerter. Nur so darf er gelesen werden und wenn man es so handhabt, dann erkennt man schnell, dass das Buch sehr viel besser ist, als es hier meine nörgelnden Worte sagen.

Abschließend noch was obernörgeliges: das Buch ist nicht mehr erhältlich und es ist nach Information von Alfred Marquart auch keine Neuauflage geplant.