The Man from London


In der Schweiz mag es ein wenig anders sein, dort ist die Kino-Landschaft sicher auch von Frankreich geprägt und so dürfte der eine oder andere Film aus Frankreich auch dort erscheinen. In Deutschland gab es im Kino lange Zeit keinen Film mehr, der auf einem Buch von Simenon basiert. So kam die Veröffentlichung von »The Man from London« ziemlich überraschend. Die Kritik ist positiv, was nicht heißt, dass man den Film auch sehen kann.

Dass man sich mit Geduld üben muss, bevor man diesen Film im Kino sehen kann, deutet ein Test in zwei Großstädten. In Berlin (ich würde ja sagen, die Großstadt schlechthin) läuft der Film in zwei Kinos; in Hamburg in keinem. Das wird in anderen Städten nicht viel anders aussehen, bevor der Kino dann hier in Kiel gelandet ist, wird man wahrscheinlich schon Ostereier suchen können.

Und wenn man das bedenkt, dann wundert es auch nicht, dass dieser Film nicht nur sehr wenig sondern gar nicht beworben wird. Nur durch Zufall fiel mir bei der Film-Startzusammenfassung der CINEMA-Redaktion der Titel auf und die hatte ihn nicht einmal bewertet, was üblicherweise dann nicht getan wird, wenn die Redaktion den Film nicht gesehen hat.

Die Berliner waren dann auch die ersten, die den Film kritisierten. Was nicht wundert, sollte der Film nur in Berlin laufen. So schrieb Kerstin Decker im »Tagesspiegel«:

Kritiker zitieren grundsätzlich nicht andere Kritiker, aber es gibt Ausnahmen. Denn manches kann man so treffend einfach nicht ausdrücken: „Natürlich ist dies Kunstkacke, aber saugute“, sprach der Kinosachverständige eines Berliner Stadtmagazins. Genauso ist es. Und es ist im Grunde schon alles, was man über den neuen Film des Ungarn Béla Tarr wissen muss, um augenblicklich zu beschließen: Das darf ich nicht verpassen!

Aus dem, was man der Kritik entnehmen kann, ist man als Krimi-Fan in diesem Film von Tarr völlig falsch. Es geht nicht um Spannung, sondern um die Bildsprache. Zusammenfassend ist in dem Artikel des Tagesspiegels zu lesen:

Nichts interessiert den Regisseur und seinen Kameramann Fred Kelemen weniger als ein Krimi. Für alle mit dem „Tatort“ sozialisierten Freunde des Kriminalfilms ist „The Man from London“ verlorene Zeit. Den anderen aber widerfährt, was immer bei Tarrs Filmen geschieht – ob bei „Werckmeister Harmóniák“ oder „Satanstango“: Man wird hineingesogen in eine andere Zeitrechnung.

Ein wenig mehr, was einen erwartet, erfährt man aus dem Artikel von Margit Voss, der im »Neuen Deutschland« erschienen ist. Hier ist zu lesen:

Der Film wurde schwarz-weiß gedreht, auf ORWO, die Grautöne dominieren in allen Schattierungen, es dauert lange, bis die nächtliche Hafenstadt, am Kanal gelegen, ins Bild kommt. Denn die Kamera tastet sich zu Beginn aufwärts auf schwarz glänzendem, nassem Grund, bis man gewahr wird, dass es sich um das Heck eines großen Schiffes handelt, und man selbst jene Position innehat wie Maloin, der Rangierer.

Auch Margit Voss ist begeistert von dem Film und ist der Meinung, dass Cineasten (ich glaube mal, dass damit nicht der Durchschnitts-Kino-Besucher gemeint ist) diesen Film lieben werden. Ob Simenon-Liebhaber sich diesem Urteil anschließen werden, würde mich brennend interessieren: Der Film-Dienst schreibt beispielsweise, dass der Regisseur von der Vorlage Simenons nur ein Gerippe übrig gelassen hat. Esther Buss stellt in ihrer Kritik fest:

Der ungarische Regisseur hat aus der düsteren Kriminalgeschichte Simenons einen gewaltigen Film über das Leben eines „kleinen Mannes“ gemacht. Tarrs Affinität zum sozialrealistischen bzw. dokumentarischen Kino, von dem er sich über die Jahre hinweg immer weiter entfernt hat, ist in seinen Milieuschilderungen deutlich sichtbar, in der Tristesse des Arbeitsalltags sowie der Enge und Freudlosigkeit der familiären Beziehungen. Doch Tarr überführt die mikrokosmischen Verhältnisse ins Existenzielle; es geht um Schuld, Mitschuld, um Vergebung und Sühne und um die Vergeblichkeit, dem eigenen Leben zu entkommen.

Die Nacherzählungen des Films in den Kritiken lassen immerhin erkennen, dass es sich um die Vorlage von Simenon handelt. Das haben wir auch schon ganz anders erlebt…

Tagesspiegel: »The Man from London«
Neues Deutschland: »Sog des Dunklen«
Film Dienst: »The Man from London«