Maigret und der Fall Simenon


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Böswillige Zungen könnten sagen, von Maurizio Testa hat man nie wieder etwas in Deutschland gehört. Und sie würden hinzusetzen: Zu Recht. Zwei Jahre vor dem 100. Geburtstag setzte Testa Maigret auf Simenons Spuren. Das Positive ist wohl, dass sich alle Maigret-Fans über die Qualität diese Buches einige sind. Das war's aber schon.

Die ersten fünfzig Seiten hatte ich wirklich schwer zu kämpfen mit diesem Buch - es wollte mich partout nicht gefangen nehmen. Das hatte einen Hauptgrund und mehrere weniger gewichtige Gründe.
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Der Hauptgrund: Das Buch ist unlogisch. Nun sind die Maigret-Erzählungen als Reihe nicht unbedingt durchgängig. Sie unterliegen keiner chronologischen Reihenfolge und selten greift eine Geschichte in eine andere. Aber dieser Fall Maigrets wirkt im Gegensatz zu denen, die Simenon kreierte völlig unglaubwürdig.

Kommissar Maigret wird zu einer Ermittlung gezwungen, zu einer Ermittlung über den Schriftsteller Georges Simenon, denn die französische Regierung will herausbekommen, ob der Schriftsteller als glänzendes Beispiel moderner französischer Literatur taugt, das in schriftstellerischer wie auch in moralischer Hinsicht. Der Kommissar sträubt sich gegen die Aufgabe, schließlich hat er mit Simenon und Literatur wenig am Hut. Dem Schriftsteller sind auch keine Verbrechen nachzuweisen, obendrein ist er schon seit Jahren tot.

Die Ermittlungen sollen selbstverständlich, wie immer wenn eine Regierung mit an Bord ist, mit äußerster Diskretion erfolgen. Mal ehrlich: Würde man jemandem eine Ermittlung übertragen, von dem man weiß, dass er die Person sehr gut kannte? Die zudem privat mit dem Zielobjekt verkehrte (schließlich, wenn man diesem fiktiven Faden folgt, hatte Maigret eine Zeit lang in einer Wohnung von Simenon gewohnt). Wo man dann schon bei einem weiterem Hinderungsgrund wäre, nämlich dem Alter: Wie schon in einigen Maigret-Erzählungen steht der Kommissar auch hier zwei Jahre vor dem Ruhestand. Damit dürfte er dann mindestens 105 Jahre alt sein und das Pensionsalter bei der französischen Polizei mittlerweile 107 Jahre liegen.

Wenn man die Frage überwunden hat, fragt man sich als nächstes: Warum sollte die französische plötzlich ein Interesse an Simenon haben? Hatte sie nicht und wird sie nicht haben, was vielleicht daran liegen könnte, dass Simenon Belgier war.

Mal völlig davon abgesehen lässt Testa in seinem Roman den Kommissar mit Personen reden, die schon zum Tode von Georges Simenon mindestens vierzehn Jahre ihre irdische Hülle hinter sich verlassen hatten (z.B. Josephine Baker). Da kratzt man sich schon am Kopf. 

Auf den ersten Seiten, so mein Eindruck, tauchen gleich sämtliche Inspektoren auf, die eine wichtige Rolle in den Maigret-Erzählungen gespielt haben. Lognon zum Beispiel:

Es war Lognon, Inspektor Malgracieux, wie ihn alle bei der Kriminalpolizei nannten. Mit weinerlicher Stimme erinnerte er ihn daran, dass auch er dazu beigetragen hatte, die Leiche Maras zu finden. Doch leider war er im entscheidenden Augenblick nicht im Dienst gewesen.

Damit tut Testa dem armen Lognon aber gehörig unrecht. Wenn er auch alles gewesen ist: griesgrämig, unausstehlich, manchmal vielleicht auch ein wenig undankbar - weinerlich, so hatte man ihn in den Erzählungen nie empfunden. Lognon litt still vor sich hin.

Aber genug der Kritik: Wenn man sich irgendwann damit abgefunden hat, dass es halt unlogisch ist, einen halbtoten Kommissar durch die Gegend zu schicken, konzentriert man sich auf etwas anderes. Da mag man dann erkennen, dass der Autor versucht, auch unterhaltsame Weise das Leben Simenons aufzubereiten. Es ist ein Ritt durch die Jugend, durch den schriftstellerischen Anfang und den wachsenden Erfolg, immer den Character Simenons im Auge habend.

Maigret versucht in diesem Buch Simenon als Persönlichkeit offen zu legen, was zu Tage tritt ist eine widersprüchliche Gestalt, die sich mit allen gut stellen will, aber gleichzeitig seine eigenen Interessen nie aus den Augen verliert. Es kommt das Thema Kollaboration zur Sprache, die verschiedenen Ehen bzw. Beziehungen und Simenons geschäftliches Gebaren.

Der Kommissar legt in dem Buch mit der Zeit sein distanziertes Verhalten ab und an, Simenon zu mögen. Er reist die Stätten eines schriftstellerischen Lebens ab.

Die Idee, das Leben Simenons auf so eine solche Art, erlebbar zu machen, ist keine schlechte. Für die Ermittlungen den alten Kommissar einzuspannen, setzt die Messlatte für Testa als Autor so hoch, dass er nur scheitern konnte. So hat man nicht nur das Problem, dass es unlogisch wirkt, nein, Testa muss sich auch an der Sprache und der Fähigkeit Stimmungen zu erzeugen, die Simenon besaß, messen lassen. Diesem Anspruch wird er nicht erreicht.

Vielleicht hätte es als Hauptfigur auch ein Neffe Maigrets getan, es gibt ja mindestens drei, die auch im Polizeidienst gelandet sind - einer hätte es doch sein können, oder?

Wenn ich eine Zielgruppe definieren sollte, die diesen Buch lesen sollte, es würde mir schwer fallen. Ich keine eine Reihe von Leuten, die in Gesprächen, in denen wir auf dieses Buch zu sprechen kamen, meinten, es wäre das Schlechteste, was sie jemals gelesen haben. Der Gesichtsausdruck sprach dabei Bände. Es gibt aber zwei Grüppchen, die ich schon mal ausschießen möchte: Wer sich ernsthaft für Simenon interessiert, wird sich eine Biographie schnappen. Der Hardcore-Maigret-Liebhaber wird, wie mehrmals erlebt, einfach nur angewidert sein. Bleibt der Rest, aber wie definiert man diesen?