Ein Tag mit ...


... Georges Simenon - dem Mann, der immer für eine Home-Story gut war. Hunderte von Büchern geschrieben, dazu erfolgreich und teilweise verfilmt. Eine knuffige Familie und Marotten, mit denen man durchaus leben kann, machten ihn zum perfekten Partner. Dazu Abbildungen von Haus, Hof und Hund - mehr konnte sich »Film und Frau« nicht wünschen.

Dieser Bericht erschien in der Ausgabe 5/VIII der Zeitschrift, die - ich muss es gestehen - auch irgendwie anspricht. Es ist eine Mischung von Zeitschrift, die es heute so nicht mehr gibt. So werden zwar Mode-Themen besprochen, aber gleichzeitig auch diverse Filme in den Mittelpunkt gestellt. So konnte gewiss auch ein Mann gut damit leben, diese Zeitschrift beim Arzt oder Friseur (wenn es damals auch schon üblich gewesen sein sollte, was ich nicht weiß) zum Lesen vorgesetzt zu bekommen. Das die Zielgruppe nicht nur die Madams waren, darauf lässt sich auch aus der Werbung schließen. Beispielsweise war die Tabakwerbung gar nicht feminin. Überhaupt ist aus heutiger Sicht die Werbung in den alten Zeitschriften sehr interessant - aber das ist schon fast Thema für eine eigene Webseite.

Der folgende Artikel ist aus meiner Sicht von guter Qualität und hätte die Latte Boulevard fast übersprungen. Aber lesen Sie selbst:

Man merkt es schon beim Briefschreiben. Dem einen geht es leicht von der Hand, gleich, ob er in einem Hotelzimmer, in einem Lesesaal oder auch in einer betriebsamen Empfangshalle sitzt. Der andere müht sich Satz um Satz ab, verwirft, knüllt der Papier zusammen, fängt noch einmal ganz von vorne an, qualmt dabei Zigarette und Zigarette, steht auf, geht umher, stöhnt und ächzt.

Das Eigentümlich dabei ist, dass die Zeilen in ihrer Güte später oft gar nicht erkennen lassen, ob sie in einem Fluss zu Papier gebracht wurden oder mühsam und zäh zueinander fanden.

Nicht anders ist es bei Dichtern und Schriftstellern. Durchaus nicht bei jedem, der sein Geld durch das Schreiben verdient, ist das Schreiben eine einfache Angelegenheit, die ihm “so von der Hand” geht. Schiller, fast schämt man sich, diese schon aberhundertmal zitierte Eigenheit zu berichten - Schiller brauchte einen moderigen Apfel in der Schublade, da sein Geruch ihn angeblich anregte. Hemingway schreibt mit systematischen Fortschritt am Stehpult mit der Hand täglich, eine beschränkte Anzahl von Blättern voll, um aufzuhören, wenn er am besten in Schwung ist, und dann zu beginnen, die geschriebenen Worte zu zählen und das Ergebnis in ein Heft einzutragen. Erle Stanley Gardner, einer der erfolgreichsten Kriminalromanschreiber, ein Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Kalifornien, sitzt in einem Ranchhaus in Arizona und dikitert in völliger Ruhe und Abgeschlossenheit seine Stories druckreif auf ein Tonbandgerät - was zweifellos die einfachste Art des Schreibens ist.

Die Liste der Eigenheiten von Schriftstellern ist genauso lang wie die der Schriftsteller selbst. Man redet zwar gern von stillen Dichterstübchen, die klein, weißgekalt und einfach eingerichtet sind, aber dann hört man wieder von einem Dr. Erich Kästner, der seine viel gelesenen Zeilen an den Marmortischchen Schwabinger Kaffeehäuser und Eissalons ersinnt. Es gibt keine feststehende Regel. Es gibt auch kein Rezept. Was hier aus einem Menschen herausdrängt, um in Sätzen Form zu gewinnen, lässt sich beim Nächsten nur unter Schmerzen aus unbekannten Reservoiren löffelweise schöpfen.

Merkwürdig und - soweit wir wissen - auch neu ist der Schöpfungsakt bei Georges Simenon, dem geistigen Vater von nunmehr 164 Romanen mit psychologisch-tiefgründigem Milieu oder gar kriminalistischem Hintergrund, wie beispielsweise die um Kommissar Maigret.

Schon die Daten des Georges Simenon sind ungewöhnlich: er ist ein aus Lüttich gebürtiger Belgier, schreibt Französisch, lebte lange Zeit in den USA, heiratete eine Kanadierin und wohnt jetzt an der Straße von Cannes nach Mougins in der Villa »La Gatunière« über dem Gestade des Mittelmeers. Seine Bücher, von denen keines eine Auflage von weniger als zwei Millionen Exemplaren hat, sind in alle Kultursprachen übersetzt worden und in 27 Ländern Bestseller. In Deutschland sind von dem heute 53jährigen vor allem die Bücher »Der Ausgestoßene«, »Der Passagier vom 1. November«, »Die Ehe der Bébé Donge« und »Die grünen Fensterläden« bekanntgeworden. Das also ist Georges Simenon, der Mann der Rekorde. Er schlug jetzt einen neuen. In seiner Riviera-Villa beantwortete er einem Reporter an einem Tage präzise 400 Fragen über sein Leben und Wirken. Die Frage, wie er schreibt, beantwortete er so: »Alles fängt damit an, dass ich mich in meiner Haut unwohl fühle. Ich werde plötzlich mürrisch und dann weiß ich, dass ich schreiben muss.« Auch für alle Menschen, die um ihn herum leben, ist sein Verhalten ein deutliches Anzeichen.

»Ist es einmal soweit, befreie ich mich von allen Sorgen. Jede Vertragsverhandlung wird abgeblasen, kein Besuch, keine wichtigen Briefe mehr. Meine Frau wird zu meinem Leibwächter. Schließlich lasse ich den Arzt kommen, der die ganze Familie gründlich untersucht, auch mich. Würde er etwa feststellen, dass auch nur eines meiner Kinder vielleicht krank werden könnte, könnte ich nicht schreiben. eine entsetzliche Quälerei mit einem mir vorschwebenden, halbgaren Stoff würde beginnen.«

Simenons Liebe zur Familie und zu seinen Kindern grenzt an Hypersensibilität. Unstimmigkeiten im häuslichen Bereich beeinflussen ihn so stark, dass sein ganzes Wesen aus dem Gleichgewicht geworfen wird. Deshalb bemüht er sich vor jeder neuen Arbeit, die er beginnt, mit rührender Sorgsamkeit darum, alles so gründlich zu ordnen, dass nach menschlichem Ermessen nichts sein Schreiben stören oder unterbrechen kann.

»Am Tage, bevor ich mich hinsetzte, um zu schreiben, gehe ich mutterseelenallein spazieren und schaffe um mich herum eine Leere, in die jeder Gedanke eindringen kann. Denn ich weiß zwar, dass ich schreiben muss, und wharscheinlich beginnt auch schon im Unterbewusstsein ein grober Aufriss, aber bewusst habe ich keine Ahnung, worüber ich schreiben werden. Der letzte Punkt besteht dann darin, dass ich alle Erinnerungen, die mir durch den Kopf gehen, noch einmal aufleben lasse und verdeutliche, gewissermaßen von neume durchlebe. Selbst die kleinste Erinnerung erhält dann in meinem Kopf eine ungeheure Resonanz, wird bildhaft und fast greifbar.«‚

Immer schöpft Simenon seine Themen aus Erinnerungen, die ihm aus der Kindheit verblieben sind. Manchmal dauert es nur Stunden, bis er sich »eingelebt« hat, manchmal bracht er drei Tage dazu. Während dieser Zeit geht er spazieren. Schreibt er dann, so gewinnt er in den Zwischenpausen den Gang, die Gestik und das Gehabe der Persönlichkeiten in seinem Roman, ist das Manuskript abgeschlossen, so ist es auch ganz unvermittelt mit dieser sonderbaren Art der Besessenheit zu Ende.

Das erste Kapitel schreibt er gewöhnlich in drei Stunden, die folgenden in zwei. Diese Angaben kann er ziemlich verbindlich machen, da sich bei 164 Romanen verständlicherweise gute Durchschnittswerte errechnen lassen. Wie bei Hemingway ist auch bei Simenon eine dem geistigen Menschen schwer verständliche Diskrepanz zwischen dem Inhalt des Geschriebenen und der amusischen, ernüchternden, sachlichen Technik des reinen Schreibens.

Jeden Morgen schreibt Georges Simenon ein Kapitel. Seine Tageseinteilung beginnt um sechs Uhr früh. Er steht auf und braut sich seine erste Tasse starken Kaffees selber. Dann arbeitet er bis etwa neun Uhr. Die Zeit bis zum Mittagsmahl verbringt er mit Spaziergängen oder Einkaufsbummeln. Das Essen nimmt err mit der Failie gemeinsam ein. Darauf folgt eine Mittagsruhe von etwa einer Stunde nach der das Ehepaar Simenon selbzweit spazieren geht, wobei nicht über Romane, sondern über ganz alltägliche, gewöhnliche Begebenheiten geplaudert wird.

Manchmal kommt es dann vor, dass Simenon sich nach dem Abendessen noch einmal zurückzieht, um den Anfang eines neuen Kapitels kurz zu skizzieren und Notizen über den weiteren Verlauf festzuhalten, meist setzt er sich aber mit seiner Familie vor den Fernsehapparat und lässt sich völlig entspannt durch die Sendung mehr oder weniger gut unterhalten.

Schon seit dem Alter von zwölf Jahren, so erzählt Simenon weiter, fühlt er sich zum Schreiben berufen. Er wollte Priester oder Offizier werden, weil er meinte, dass diese beiden Berufe ihm die meiste Freizeit zum Schreiben lassen würden. Sein Erfolg machte den Nebenberuf unnötig. Ein großer Vorteil Simenonscher »Schreibe« ist es, dass bei Übersetzungen seiner Bücher nur etwa zwei Prozent seines Stils verloren gehen, während es bei anderen Romanen oft bis zu dreißig Prozent sind, die dem Dichter in einer fremden Sprache viel Schmelz nehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderer Schriftstellern müht sich Simenon, seinen Wortschatz mehr und mehr zu vereinfachen, und dennoch genau in der Aussage zu bleiben.

Überall in seinen Büchern kann man in irgendeiner Person die Grundzüge und den Charakter seines Vaters wiedererkennen, den er über alles liebte und der starb, als Georges noch ein kleiner Bub war. Der Vater wurde vom Augenblick seines Todes an zur Verkörperung des Guten und Einfachen und ist heute noch der Schutzpatron des glücklichen Familienlebens der Simenons.

Es ist kein Zufall, wenn sich Georges Simenons Personen immer wieder aufrichten, nachdem die Welt zusammen gebrochen ist, denn genau das tat der kleine Georges damals, als der Arzt ihm sagte, sein Vater müsse sterben.

Als das Interview beendet war, kam Madame Denise Simenon herein, fragte ihren Mann, wie es ihm gehen, und erhielt die Antwort: »Ich glaube, dass ich morgen einen neuen Roman beginnen werde!”