Das Genie des Ungenialen


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Eines der schönsten Zitate für die Rücktitel von Simenon-Büchern hat Georg Hensel dem Diogenes-Verlag in seinem Nachruf auf Simenon geliefert. Sein Nachruf erschien am 16. September in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und für die, die das Zitat jetzt nicht gegenwärtig ist, sei er an dieser Stelle zitiert:

Simenon macht süchtig. Wie jede Sucht- und wie jeder Genuss – muss die »Simenonitis« erst gelernt werden. Man braucht mindestens ein halbes Dutzend Simenon-Romane, bis man ihren Reiz verspürt, bis man unter Entzugserscheinungen leidet, wenn der Nachschub aussetzt. Simenon ist ein Rauschmittel, das ist eine der Ursachen seines Welterfolgs.

Der Kernsatz allein reicht schon aus, um zustimmendes Nicken zu erzeugen. Da kaum jemand noch eine Zeitung von 1989 herumliegen hat, ist es vielleicht gut zu wissen, dass man diesen Nachruf in einem Buch nachlesen kann: »Glücks-Pfennige« heißt es, und 1997 im Suhrkamp-Verlag als Taschenbuch erschienen. In ihm finden sich Beiträge Hensels zu Theater, Literatur und Leben (wie es so schön im Untertitel heißt). Wie es sich für einen Nachruf gehört, wird dabei ausführlich auf das Leben Simenons eingegangen. Besondere Beachtung schenkt Hensel den Werken »Der Zug« und »Die Glocken von Bicêtre«. Autobiographisches von Simenon lässt er auch nicht außen vor: hier hat es ihm besonders »Brief an meine Mutter« und der Briefwechsel mit André Gide angetan. Zu letzterem äußert sich Hensel wie folgt:

Ihr Briefwechsel hat ein einziges Thema: Simenon. Gide schrieb an ihn über ihn, und Simenon schrieb an Gide über sich.

Gide war einer, der an der oben erwähnten »Simenonitis« litt (glücklicherweise ist es ein Leiden, dass nicht lebensverkürzend ist). Den Maigrets hat Gide, wenn mich nicht alles täuscht, nicht sehr viel Liebe entgegengebracht. Hensel ist dagegen der Meinung, dass Simenon mit seinem Kommissar Maigret sich eine kleine Unsterblichkeit sichert. Der Kommissar würde immer mit den anderen großen Namen der Kriminalliteratur genannt werden. Über die Bücher selbst:

Über Maigret nichts Neues – das ist für den Maigret-Leser die wichtigste Neuigkeit. Nicht wäre Maigret unbekömmlicher als Originalität. Seine Größe ist der Routine-Fall in einem Routine-Roman. In ihm erkennt sich der Mensch wieder, er ist ja durch Herkunft, Wesen und Ende auch nichts anderes als Routine.

Georg Hensel wurde 1923 in Darmstadt geboren und starb dort im Mai 1996. Von 1975 bis 1989 war er als Theaterkritiker bei der FAZ tätig. In dem oben erwähnten Band finden sich neben dem Nachruf einige interessante Beiträge, zum Beispiel ein Essay über die Essgewohnheiten von Detektiven (privat wie verbeamtet) und ein sehr interessantes Tagebuch über eine Herzoperation, die er 1982 absolvierte.