Schwarzdrossel

Wenn Vögel auf den Leim gehen


Als kleiner Junge fand ich es absolut faszinierend, den Fliegenfänger meiner Großeltern zu beobachten. In der uckermärkischen Stadt, in der sie lebten, hatten sie in allen Zimmern diese sich rollenden Streifen von der Decke hängen. Die waren klebrig, man kam mit den Jungenfingern aber ohne Probleme los. Von Fliegenbeinen konnte man das nicht sagen.

War erst einmal eine Fliege darauf gelandet, saß sie fest. An ein Loskommen war nicht mehr zu denken und wenn sie zu panisch waren, dann klebten die kleinen Viecher auch mit ihren Flügeln an dem Klebstoff. Das gab ihnen, wenn sie tot waren, ein etwas groteskes Aussehen, weil es akrobatisch aussah und das war nicht das, was man mit einem Fliegentod in Verbindung bringen würde. Da passte die Fliegenklatsche schon viel eher.

Hörte ich später den Begriff »Sterben wie die Fliegen«, so erinnerte ich mich an dieses klebrige Band. Es brauchte eine Weile, bis ich verstand, dass diese Redewendung damit zu tun hat, dass es ein Punkt im Jahr gibt, an dem die sich Massen von Fliegen entschließen, ohne unser Zutun das Zeitliche zu segnen. Wenn die einigermaßen warme Zeit vorbei ist, sammeln sich die Fliegenkadaver auf dem Fensterbrett – ein Ereignis, dass weniger an das Laichen der Lachse und die damit verbundene Tragik gemahnt, sondern mehr mit großer Erleichterung verbunden ist, dass die Quälgeister sich ins Fliegennirvana verabschiedet haben und endlich Ruhe eingekehrt.

Geleimte Vögel

Letzte Woche war zu hören, dass das Prozedere, Vögel mit Leimruten zu fangen, in Frankreich endgültig verboten wurde. Vermutlich haben sich eine ganze Reihe von Menschen, so wie ich, gefragt: »Was, um Himmels Willen, …«

Aber in der Tat war diese Jagdmethode in Europa gang und gäbe. Schon die alten Römer nahmen den Saft von Mistel-Beeren und strichen diesen über Äste. Gelegentlich wurde die Vogel-Fang-Paste mit Honig und anderen Fruchtsäften »verfeinert«. In einigen Gegenden wurden die kleinen Vögel gefangen, um sie anschließend als Unterhaltsobjekte in Käfigen zu halten. Sie sollten in der Vor-Plattenspieler-und-vor-Spotify-Zeit die Halter mit ihrem Gesang erfreuen. (Der Unterhaltszweck dieser Tiere ist nicht ganz aus der Welt, schließlich werden Vögel immer noch gern in Käfigen gehalten und dienen der Unterhaltung. Es ist der Einstieg zum ersten Haustier und mir scheint das heute eine ähnlich misslungene Wahl, wie die Haltung eines Goldhamsters.)

In anderen Gegenden sangen die Vögel das ganze Jahr und die Gedanken der Leute ging eher in die Richtung, was man Leckeres aus dem Vogel machen könne. Wie zum Beispiel im Mittelmeerraum und damit auch in einigen Teilen Frankreichs. Wenn die Vögel auf Wanderung gehen, dann legen sich einige hin und schießen in die Schwärme. Der Vogelzug ist aber kein ganzjähriges Ereignis und ein einzelner Singvogel mühsam zu sagen, so blieb man bei diesen Fallen. 

Schon 1979 wurde in der Europäischen Union diese Jagd-Methode verboten. Da, wo die Leimruten eine traditionelle Methode waren, durften Jäger sie weiterhin verwenden. Man verbot, dass diese Technik in neuen Gebieten genutzt wird, aber da wie es schon immer so gewesen war, durfte man es wie gehabt machen. Damit zeigte man seinen guten Willen, gleichzeitig war es ein »Weiter so!«. In Frankreich konnte man so in einigen Departments, zum Beispiel in Alpes-Maritimes, in dem der Roman »Sonntag« spielt, weiterhin Vögel auf diese Art jagen. 

»Das haben wir immer schon so gemacht!«-Argument verfing dieser Tage bei den Richtern nicht mehr und sei erklärte Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht den Leimfang im Juni für illegal. Es hat letztlich nur 42 Jahre gebraucht, bis aufgefallen ist, dass sich Gewohnheiten offenbar nicht ändern lassen, indem man den Zeigefinger hebt und sagt: »Wir verbieten es überall, nur bei euch nicht. Denkt aber mal drüber nach …«

Manchmal ist es sinnvoll, durchzugreifen. 

Wieder Brüssel

Es war Herbst. Die Weinlese war beendet, und Émile war gerade dabei, eine Amselpastete zuzubereiten, eine seiner Spezialitäten.

Viele Leser:innen werden über den Abschnitt hinweggehen, denn die Amselpastete spielt nur eine Nebenrolle. Vielmehr geht es darum, dass Émile beschreibt, wie Ada angestellt wird. Meine erste Frage hingegen war, wie man genügend Amseln fängt, um eine Pastete daraus zu machen. Die Leimfang-Geschichte hatte ich noch nicht gelesen, deshalb meinte ich, dass dies das größte Problem sein dürfte. 

Eine Recherche im Internet ergab, dass es sich bei der Pâté de merles um kein Gericht handelte, das auf den Speisekarten von Restaurants angeboten wird. Obwohl es als korsische Spezialität galt. Ich fand immerhin zwei, drei Rezepte von Amselpastete im Internet, zum Beispiel eines von 1978 aus der Marie-Claire.

Die wenigsten Pasteten, die man zu kaufen bekommt, sind ungemischt. Geflügelpasteten sind zu einem großen Teil mit Schweinefleisch zubereitet worden, sodass ich mich manchmal fragte, warum das Tier, welches den geringsten Beitrag zu der Pastete geleistet hat, als Namensgeber dienen darf. Das oben genannte Rezept ist nicht ganz so arg: Amselfleisch (ohne Knochen) und fetter Speck sollten zu gleichen Teilen verwendet werden. Würde ich auf morgen auf Amseljagd gehen, wäre ich aber ein ganz schönes Weilchen beschäftigt 500 Gramm reines Amselfleisch zu besorgen. Amseln wiegen zwischen 55 und 112 Gramm (abhängig von Geschlecht und Jahreszeit), ungerupft und entbeint. 

Selbst, wenn ich genügend Amseln ohne eine Leimfalle organisieren könnte, bliebe noch die Schwierigkeit, dass man nur Amseln verwenden sollte, die sich von Sandbeeren und Myrten ernährt haben – das würde den sehr speziellen Geschmack geben. Myrten sind in Norddeutschland in freier Wildbahn jedoch nicht anzutreffen und ob sich die gemeine norddeutsche Amsel für die Frucht begeistern kann, sei einmal dahingestellt. 

Im Supermarkt wird man die Pastete von Amsel-Fleisch nicht bekommen, denn wie ein Artikel aus der ZEIT aus dem Jahr 1984 besagt, wurde die Amselpasteten-Industrie Anfang der 80er-Jahre von Brüssel platt gemacht.

Vor einigen Wochen fragte der französische Europa-Parlamentarier François-Marie Geronimi in vollem Ernst, warum die Gemeinschaft die Herstellung von Amselpastete auf Korsika untersagt habe. Er führte an, daß sich die gesamte Produktion nur auf fünf Tonnen im Jahr beschränke, und daß wegen des Verbotes jetzt sechzig Arbeitskräfte in sieben kleinen Betrieben ihre Tätigkeit verlören. Die Intervention des Abgeordneten scheiterte.

Fünf Tonnen sind eine Hausnummer. Geht man davon aus, dass jede Amsel 50 Gramm Fleisch liefert, welches man verwerten kann, dann kämen 100.000 Amseln zusammen, die für die korsische Amselpasteten-Produktion im Jahr ihr Leben lassen mussten. Sieht man sich diese Zahl an, wird schnell klar, dass die auch Schwarzdrossel genannten Tiere gewiss nicht einzeln mit Leimruten gefangen worden sind. Die ersten Vögel hatte man vielleicht so gefangen, um eine Zucht zu starten. Auf diesem Weg konnte sichergestellt werden, dass die Vögel ausreichend Sandbeeren und Myrten zu sich nahmen, um den spezifischen Geschmack für die Pastete zu erzielen.

Nimmt man die geschätzten 100.000 Amseln und stellt sie den 620,6 Millionen Hühnern entgegen, die 2019 allein in Deutschland geschlachtet wurden, beschleicht einen der Eindruck, dass sich die Union wohl oft leichte Ziele herauspickt, um Wohlbehagen bei ihren Mitbürgern zu erzeugen.