Freddy Derwahl »Simenon und die fremde Frau«

Simenon und die fremde Frau


Ein Sonnabend-Nachmittag, schönster April-Sonnenschein. Die Kissen für unsere Veranda-Garnitur sind noch eingelagert, weshalb ich auf dem etwas harten Outdoor-Sofa lag. Mit dabei die gerade erschienene Novelle von Freddy Derwahl, deren Titel ein Simenon-Thema verspricht. Auf meinem Brustkorb hatte sich Marie niedergelassen und ließ es sich gut gehen.

Vor ein paar Tagen hatten wir über unsere Katzen gesprochen, mit wem, weiß ich gar nicht mehr, da kamen wir auch auf das Haaren zu sprechen. Die jungen Kater, die würden nicht Haaren, erklärte meine bessere Hälfte, und ich im Brustton der Überzeugung, meinte, dass Marie auch nicht haaren würde. Nun blätterte ich die Seiten in dem Buch um, und auf jeder Seite fanden sich kleine, schwarze Haare. Nun war es ausgeschlossen, dass das der Auslieferungszustand war. Offenbar haarte auch Marie und. nicht ohne, denn ich war nun auf jeder Seite damit beschäftigt, die kleinen Härchen beiseite zu schieben. Erstaunlich, wie sich die Menschen täuschen können, dachte ich mir, während ich gleichzeitig die Geschichte des Belgiers lag.

Vielleicht fragen Sie sich gerade, was erzählt der Typ da wieder von seinen Katzen, worauf will er hinaus? Eigentlich nur darauf, dass es eine Story gibt, die sich »Simenon und die fremde Frau nennt« und ich bin davon ausgegangen, dass es ist wie bei »Maigret und sein Neffe«, wo sowohl der Neffe wie auch Maigret eine Rolle spielen und zwar eine gemeinsame, aber so ist es bei der Derwahl-Geschichte nicht: Da spielt Simenon eine Rolle UND eine fremde Frau. Die Klammer ist ein Schriftsteller, der seine Erlebnisse, Gefühle und Erkenntnisse in einem Tagebuch notiert.

Dieser Autor könnte natürlich Freddy Derwahl sein, schließlich haben wir es mit einer Ich-Form zu tun. Aber es kristallisiert sich alsbald heraus, dass Derwahl für die Geschichte einen Schriftsteller erfunden hat – der belgische Autor ist um die siebzig Jahre alt, der für das Buch erfundene Geselle ist noch nicht einmal fünfzig.

Erst die Frau, dann der Maigret-Autor

Von seinem Verleger hatte der Autor eine Aufgabe bekommen: Er solle etwas über Simenon machen. Für den Autoren gibt es Schlimmeres, lebt er doch in Lüttich, wo Simenon an allen Ecken zu finden ist. Nur hinschauen, dass muss man halt schon. Er hat einen Buchhändler im Bekanntenkreis, der Simenon atmet, und auf jede Frage eine Antwort hat oder sich auf die Suche begibt, und die passenden findet und dem Schriftsteller liefert.

Gleichzeitig beginnt der Mann in den besten Jahren eine Liebelei mit einer Deutschen, die er über das Internet kennengelernt hat. Ihm ist nach einer Romanze, der fremden Frau – Christiane – aber nicht. Ihre Motivation bleibt am Anfang unklar. Eine Künstlerin ist sie auch, aber eine Liebschaft ist für sie nicht das Thema. Wenn er drängt, bremst sie. Da sie in Bayern lebt, muss sie sich nicht körperlich wehren. Völlig ausreichend, wenn sie auf seine Mails nicht antwortet.

Diese Nebenbei-Beziehung tangiert auch seine Hauptbeziehung, die er mit seiner Freundin Monique führt. Diese weiß von den Avancen, die ihr Freund der fernen Deutschen macht, sieht es aber nicht als Konkurrenz – vielleicht weil da die Entfernung ist oder weil sie ahnt, dass das ein Luftschloss ist, was ihr Schriftsteller-Freund sich aufgebaut hat.

Simenon kommt auch vor – die Tagebuch-Aufzeichnungen werden unterbrochen von Notizen aus den Kindheits- und Jugendjahren Simenons. Und in kurzen Notizen, die der Schriftsteller festhält, weil er an dem Komplex arbeitet. Am Anfang darf man sich fragen, worum geht es eigentlich, was will mir der Künstler sagen? Zum Ende hin drängt sich das Simenon-Thema weiter nach vorn.

Für wen ist's was?

Die Leser:innen bekommen keine Geschichte über Simenon und eine seiner fremden Frauen. Eine Biografie sollte man nicht erwarten, es sind vielmehr Notizen, die einen Einblick geben. Und Derwahl beschränkt sich, wie schon in »Der kleine Sim« auf die Lütticher Jahre des Schriftstellers. So finden sich genügend Referenzen zu den autobiografischen Werken, die uns Simenon hinterlassen hat und die mit der ostbelgischen Stadt verknüpft sind.

Derwahl schreibt nicht wie Simenon. Kurze knackige Sätze finden sich durchaus, aber längere Ausschweifungen sind mehr nach dem Geschmack Derwahls. Zumindest pflegt er in den Tagebuch-Einträgen diesen Stil, die Simenon-Traktate sind in einem einem dokumentierenden Duktus verfasst – ein sehr interessanter Kontrast.

Für diejenigen, die noch keine Anknüpfungspunkte zu Simenon haben, könnte dieses Buch ein Einstieg sein. Wer sich als Simenon-Liebhaber darauf einlässt, bekommt die Lütticher Jahre Simenons auf eine spezielle und einzigartige Art präsentiert. Simenon hatte unzählige Frauen, auch fremde, aber die Geschichte einer solchen Affäre ist es nicht – weder real noch fiktiv. 

Ich fand's mehr als unterhaltsam, wahrscheinlich auch deshalb weil ich sowohl mit dem Leben von Simenon vertraut bin wie auch mit den verschiedensten (wenn auch nicht allen) erwähnten Lütticher Örtlichkeiten.