Bildnachweis: Der Briefschreiber - Midjourney AI
Man könnte ja denken ...
Ein – zugegeben – alberner Gedanke: Obwohl ich die Woche mit Simenon beschäftigt war, gab es keinen »Output«. Das erzeugt in mir das Gefühl, ich wäre faul gewesen. Dankbar bin ich, dass mich dieses nicht beschleicht, wenn ich wirklich NICHT an Simenon und Maigret dran bin. Simenon hatte sich 1979 geraume Zeit nicht mit dem Kommissar beschäftigt. Dann schrieb er einen Brief.
Ob sich Simenon in der Zeit vor dem Schreiben des Briefes wirklich nicht mit Maigret beschäftigt hat, kann ich nicht sagen. Eigentlich ist das ein Ding der Unmöglichkeit, aber immerhin schrieb er in seinem Brief an den pensionierten Kommissar, dass man sich vor sieben Jahren verabschiedet voneinander habe. Zumindest an ihn gedacht wird er haben, und um die Tantiemen und Rechte wird er sich auch gekümmert haben. Da bin ich mir doch ziemlich sicher.
Der Grund für seinen Brief an seinen alten Kumpel Maigret? Geburtstag. Fünfzig Jahre zuvor ist ihm der Legende nach die Figur des Kommissars in den Sinn gekommen. Das gehört nachweisbar ins Reich der Sagen und Märchen, da diese Legende jedoch noch nicht so fürchterlich alt war (etwa fünfzehn Jahre), hielt er sich daran.
Adressiert war der Brief an die Adresse der Maigrets in Meung-sur-Loire. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass früher so etwas möglich war. Meine Tante hatte mal auf eine Ansichtskarte geschrieben: »Oliver Hahn - Westensee«. Keine Postleitzahl, nichts weiter. Bei so kleinen Orten macht sich die Post offenbar die Mühe, die Adresse zu ermitteln. Schließlich kennt man sich. War zumindest vor fünfundzwanzig Jahren so.
Andererseits hat Meung-sur-Loire heute etwa 6.500 Einwohner, so klein ist es also nicht.
Simenon wusste auch nicht, ob der Brief ankommen würde. So schreibt er:
Ich weiß nicht, ob Sie immer noch in Ihrem kleinen Landhaus in Meung-sur-Loire wohnen [...]
Eine charmante Umschreibung, wenn man nicht weiß, ob der Empfänger noch lebt. Die Frage stellt sich nicht, wenn ein Schriftsteller seiner durch und durch fiktiven Figur einen Brief schreibt. Aber Simenon ist so zartfühlend, den Leser:innen nicht die Illusion zu rauben, dass ihr Held noch leben könnte. Und es ihm auch gut geht!
Zwar erwähnte der Wahl-Schweizer sein eigenes Alter ein. Aber das des Loire-Pensionärs bleibt unerwähnt. Stattdessen macht er sich ein wenig lustig:
Aber Sie hatten das Glück, daraufhin einige Jahre nicht zu altern. Erst am Ende unserer Abenteuer und unserer Begegnung, so scheint es, begannen Sie, für einen Commissaire Divisionnaire, wie Sie einer waren, im Alter von fünfundfünfzig Jahren zu altern.
Womit uns Simenon doch eine sehr realistische Einschätzung über das Älterwerden von Männern gegeben hat: Bis zu dem Alter von 55 Jahren reifen wir nur.
Ganz Gentleman der alten Schule geht der Schriftsteller ausführlich auf Madame Maigret ein. Hätte es sie gegeben und hätte sie den Brief wirklich in den Händen halten dürfen, sie wäre gerührt gewesen, zu lesen:
Ich umarme Sie gerührt, Sie und Frau Maigret, die wahrscheinlich nicht ahnt, dass viele Frauen sie beneiden, dass viele Männer gerne eine Frau wie sie geheiratet hätten und dass unter anderem eine bezaubernde Japanerin ihre Rolle im Fernsehen spielt, während ein Japaner denkt, er sei Sie.
In dem Brief wird die Küche von Madame gewürdigt und es gibt eine Referenz an Courtine und sein Rezept-Buch.
Dann findet der Brief, knapp eine Buchseite lang, schon sein Ende.