Lauschig

Madame Lavauds Gang


Verpasste Fristen führen oft zu komischen Ergebnissen. Kündigungen werden nicht wirksam, Gelder verfallen und Sachen werden nicht mehr repariert. Manche Leute sitzen nur noch deshalb im Gefängnis, weil ihr Rechtsanwalt vergessen hatte, fristgerecht Anträge einzureichen. Es gibt wohl viele Geschichten, die dramatischer enden, andere amüsanter.

Pégomas eine Stadt unweit der Côte d'Azur kann mit der letzteren Variante aufwarten. Auf der Webseite der Stadt sah ich ein Wappen, auf dem ein Elefant zu sehen war. Es ist ein Dorf, welches im Hinterland von Cannes liegt, und für seine zahlreichen Elefanten ist die Gegend nicht gerade bekannt. Was bewegt also ein Dorf, sich einen Elefanten als Wappentier zu wählen? Eine mögliche Antwort darauf wäre: ein Finanzminister und Rammdösigkeit.

Die französischen Könige hatten immer ein besonderes Faible für die linksrheinischen Gebiete gehabt. Auch Ludwig IVX. hegte die Vorliebe und betrieb Politik, die auf eine Expansion auf diesen Landstrich angelegt war. Die Opposition dazu verbündete sich 1686 in der »Augsburger Allianz«. Mit von der Partie in dieser waren die Habsburger, Bayern, Schweden, Spanier und später auch Engländer und Holländer. Letzteres hört sich beeindruckend an, aber da sich die Inselbewohner einen König mit den Holländern zu teilen hatte, wurde die Entscheidung von einer Person herbeigeführt.

Der Sonnenkönig hatte gewisse Abmachungen getroffen, in denen er seine Zurückhaltung beteuerte, aber schon 1688 war sein linksrheinischer Appetit zu groß und er biss zu. Es kam zu einem neunjährigen Krieg, der in die Geschichte als Pfälzischer Erbfolgekrieg einging. So etwas war nicht umsonst zu haben und je länger ein bewaffneter Konflikt dauert, desto kostspieliger wird es. Um das Finanzielle kümmerte sich ein Mann namens Louis Phélypaux de Pontchartrain und der war in einer prekären Situation. Einerseits waren die Ausgaben für den Waffengang immens, andererseits hatte die Münze von England mit einer missglückten Form von Währungsreform (»Englische Geldkrise«) auch seine Nachbarn in eine wirtschaftliche Krise gestürzt. Auf der Suche nach unerschlossenen Einnahmequellen kam Ponchartrain die Idee, unter anderem Gemeinden zu verpflichten, sich ein Wappen anzuschaffen. Eine »Agentur« wurde geschaffen, in der die Wappen registriert werden sollten, und an die war dann auch ein Obolus zu entrichten. Der war, je nach Größe der Ortschaft, beträchtlich.

Die Taktik, einfach abzuwarten oder die Angelegenheit auszusitzen, war nicht so clever. Denn zu zahlen hatte die Wappenpflichtigen an die »Armorial général de France« in jedem Fall. Den Schlafmützen, die die Frist verschlafen und die deshalb keine eigenen Wappen anmeldeten, wurde eines ausgewählt. In Pégomas hatten es die Herrschaften verschlafen, weshalb ihnen ein Elefant als Wappentier zugewiesen wurde. Gewiss könnte man sich Schlimmeres vorstellen, aber für Menschen, die hinter allem eine Bedeutung suchen, ist es mehr als irritierend.

Madame Lavaud

Es ist ein wenig irritierend, wie Simenon das Faktische mit dem Fiktiven mischt. Da wird den Leser:innen exakt beschrieben, welche Glocken man hören kann und in welcher Gegend die Bastide von Émile Fayolle liegt. Aber kurz darauf lässt der Schriftsteller ein Dienstmädchen des Wirtspaares »von Saint-Symphorien bei Pégomas« zur Bastide laufen. Exakt und gleichzeitig ausgedacht – eine komische Mischung.

Das war der Grund, weshalb ich den Elefanten im Wappen sah. Ich war auf der Suche nach dem genannten Ort und fand ihn nicht. Meine Hoffnung war, dass es auf der Seite von Pégomas Spuren von dem Ort gab. Vielleicht wurde der Heimatort von Madame Lavaud in der Vergangenheit eingemeindet. Aber danach sieht es nicht aus.

Der Ortsname Saint-Symphorien scheint so etwas wie »Neustadt« im Deutschen zu sein – nur auf Basis eines Heiligen. Ich habe mindestens zwanzig Ortschaften gefunden, die den Namen mit oder ohne Zusatz tragen. Aber keiner davon liegt in der Nähe von Pégomas. Die Ortschaft hat sich der gute Simenon ausgedacht. 

Der Heilige

Die Familie des jungen Symphorian von Autun war christlich geprägt. Der Mann kam auf die Idee, eine Gruppe von Menschen, die einen in seinen Augen heidnischen Kult nachging, zu verspotten. Die Nicht-Christen waren in der Gegend in der Mehrheit und fanden die Angelegenheit empörend. So wurde der Symphorian von dem Mob eingefangen, geschlagen und letztlich verhaftet.

Er findet auch im Prozess keine versöhnlichen Worte und so wird er zum Tode verurteilt und mit dem Schwert hingerichtet. Das machte ihn zu einem der ersten französischen Märtyrer und als solcher wurde der Spotter im mittelalterlichen Frankreich verehrt. Dies ist der Grund, warum eine ganze Reihe von Ortschaften, seinen Namen trägt. 

Ein Todesurteil ist, um es einigermaßen modern auszudrücken, eine krasse Reaktion auf eine Beleidigung. Während Menschen ihren Glauben ausüben, diese zu verspotten, zeugt nicht von der Reife, die einen zu einem Märtyrer qualifiziert. Aber bei Heiligen und Märtyrern ist es offenbar so, dass man nehmen muss, was kommt.