Maigret im Zug nach Villefranche

Im Zug


Die Ehefrau ist im Elsass bei ihrer Schwester, die vor der Niederkunft steht – Maigret ist erstaunt: drei Kinder in vier Jahren. Es wird also ordentlich für Nachwuchs gesorgt, der später den Onkel beschäftigen kann. Man hört von ihnen, das hier nur am Rande, aber erst als sie schon im Erwachsenen-Alter sind. Als Kinder wurden sie nicht nach Paris zu Tante und Onkel geschickt. Aber hier geht es um eine Zugfahrt.

​Während die Frau weit weg ist, kommt dem Mann in den Sinn, dass man ein paar Nachforschungen in Bordeaux mit dem Besuch bei einem alten pensionierten Kollegen, der eine Einladung geschickt hatte, verbinden könnte. Der Chef ist einverstanden, die Stimmung ist gut – also ab in den Zug mit einer Fahrkarte erster Klasse in Richtung Villefranche-en-Dordogne.

Villefranche

Hier gibt es schon mal ein Problem: Den Ort gibt es natürlich nicht. Es gibt gleich zwei Villefranche in der Nähe von Bergerac; und eine ganze Menge mehr in Frankreich. Aber der eine Ort in der Nähe von Bergerac heißt Villefranche-de-Lonchat und der andere Villefranche-du-Périgord – beide haben keinen Bahnhof und haben keine Größe, die jemals einen Bahnhof gerechtfertigt hätte.

Ein Ort brachte einen berühmten Mönch hervor und siebenhundert Jahre später einen Medizin-Historiker. Der andere Ort hat in der Richtung gar nichts vorzuweisen. Sie liegen hübsch, aber das ist auch nicht schwer, wenn man ein Ort in der Dordogne ist. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann vermutlich für Villefranche-de-Lonchat – der Ort liegt zwischen Libourne und Bergerac. Der andere Ort liegt sechzig Kilometer weiter südöstlich und damit überhaupt gar nicht auf der Strecke.

Aber gehen wir mal davon aus, dass der Ort fiktiv ist. Maigret kommt mit der Fahrkarte, zumindest in diesem Roman, an dem Ort auch nicht an.

Waggons

​Ein wenig mehr Kopfzerbrechen bereitet dann die Geschichte mit dem Wagen. Der Schaffner erwähnt, dass der Liegewagen an den Anschlusszug gehängt werden wird und Maigret dann nicht umsteigen müsste. Andernfalls wäre ein Umstieg in Libourne notwendig gewesen – vielleicht nicht so ein Spaß, mitten in der Nacht. Sowohl im Original wie auch in der Übersetzung ist von dem Liegewagen die Rede, womit nur einer gemeint sein kann. Der Schaffner lässt sich nicht darüber aus, welche Klassen in dem Wagen zur Verfügung stehen – nicht unwichtig, darauf wird von den Zugbegleitern seit eh und je geachtet.

Nach dem Abendessen im Speisewagen geht Maigret zurück zu seinem Abteil und ist der Meinung, es wäre schöner, in einem Liegewagen zu nächtigen. Der Schaffner antwortet ihm auf die Nachfrage, ob das möglich sei:

»In der ersten Klasse nicht. Aber ich glaube, in der zweiten. Wenn Ihnen das recht wäre...«

​Maigret ist da nicht so, Hauptsache man kann liegen.

Liegewagen wurden um 1897 in Frankreich eingeführt und standen Passagieren mit Fahrkarten der ersten Klasse zur Verfügung. Im Jahre 1922 wurden die ersten Liegewagen eingeführt, die für die zweite und dritte Klasse vorgesehen waren. Das hört sich so an, als ob in einem Waggon, beide Klassen bedient worden wären. Aber ich habe keine Information gefunden, dass man die erste Klasse mit der zweiten Klasse gemischt hätte.

Wenn jedoch nur ein Liegewagen vorhanden war, dann fragt sich, ob der Schaffner nur unklar formuliert hat und nicht einen, sondern verschiedene Liegewagen gemeint hat. Oder ob Simenon an der Stelle ungenau gewesen.

Eines lässt sich auf jeden Fall daraus schließen: Der Roman spielt nach 1922, eher sogar viel später – schließlich wurde der Service zuerst in Richtung Paris–Brest eingerichtet, bevor der Service in den 30er Jahren über das gesamte Netz eingeführt wurde.