Monde vs. Vetter


Manchmal finde ich ja interessanter, was von den Literaturkritikern rezenziert wurde – interessanter als das, was sie letztlich über ein Buch schreiben. Im letzten Monat brachte der Diogenes-Verlag drei Non-Maigrets heraus (»Die Flucht des Monsieur Monde«, »Der fremde Vetter« und »Hotel “Zurück zur Natur”«).  Eine umfangreichere Meldung war mir eigentlich nur der letzte der genannten Titel wert: Ein neues Gewand für ein alten Roman.
Franz Schuh suchte sich für die ZEIT-Rezension den Roman um Monsieur Monde heraus (ZEIT-Artikel verlinke ich gern, da sie nicht kostenpflichtig werden und die Links erhalten bleiben). Eine Wahl, die ich nicht getroffen hätte.

Unter der Prämisse, dass nur Einer von Dreien beschrieben werden dürfte, wäre für mich als Nummer eins »Hotel« aus der Wahl herausgefallen. Es ist ein leidlich spannendes Buch, welches seinen Reiz für Simenon-Fans aus der Tatsache beziehen dürfte, dass es auf einer wahren Geschichte beruht. Diese Tatsachen-Geschichte hatte Simenon journalistisch schon ausgeschlachtet und einen Artikelserie für eine französische Zeitung produziert. Wer diese gelesen hat, wird in dem »Hotel«-Roman (früher: »… die da dürstet«) nichts Neues entdecken. Wer vergleichen will, wird sich austoben.

Bliebe also ein Direktvergleich zwischen Monsieur Monde und dem fremden Vetter. Ganz ehrlich: Die Geschichte um Monsieur Monde ist sympathisch. Ein Mann beschließt Knall auf Fall, auszusteigen. Er macht sich auf den Weg zur französischen Mittelmeerküste und genießt das Leben in vollen Zügen. Es ist ein anderes Leben, sicher auch weniger komfortabel als das bisherige Titel. Aber Monsieur Monde hatte seine Prioritäten neu gesetzt. Das macht ihn sympathisch, und sein Ausbruch könnte als gutes Beispiel dienen, hin und wieder sein Leben und seine Einstellung zu überdenken. Allerdings kann der Roman nicht gegen »Der fremde Vetter« »anstinken« (man verzeihe mir die wenig prosaische Sprache).

Beide Geschichten lassen sich gut in die heutige Zeit transportieren, aber wenn es um Relevanz geht, räume ich der Geschichte um die deutsche Familie einen höheren Wert ein. Worum geht es? Ein Lügner schleicht sich in eine Familie ein, erzählt wilde Geschichten und der Leser weiß alsbald, dass es sich um einen Hochstapler handelt, der nur Zwischenstation macht. Dann wird in der Nähe des Hauses der Familie eine junge Frau umgebracht. Der Verdacht fällt auf die Deutschen. Erst auf den fremden Vetter, später auf den unbedarft wirkenden Sohn des Hauses (hochintelligent, aber zurückhaltend und schüchtern).

Die Mutter der Ermordeten meint auch zu wissen, wer der Täter ist und findet sich vor dem Haus ein. Sie schimpft gegen die Familie, der Mob schließt sich ihr an. Steine fliegen, die Familie muss von der Polizei geschützt werden. Dafür hat die tobende Menge natürlich kein Verständnis. Die Lage eskaliert.

Heute war zu hören, dass Passagiere eines englischen Flugzeugs sich geweigert hatten, zu fliegen, wenn die asiatisch aussehenden Männer, die Terroristen hätten sein können, nicht aus dem Flugzeug entfernt würden. Die Besatzung und auch die Polizei bewies mangelnde Courage. Sie ließ die Passagiere fliegen, und die zu Unrecht verdächtigten Männer durften in Spanien bleiben. Bravo! Man sollte den Passagieren jeweils ein Exemplar von Simenons »Der fremde Vetter« schenken.