
Bildnachweis: Fotozauber – maigret.de/LeonardoAI
Papierfotografiezauber
Willkommen zu einem kleinen Ausflug in die faszinierende Welt der Papier-Detektive! Ein simples Blatt Papier kann Geheimnisse beherbergen, die es zu lüften gilt. In diesem Fall war es eine Fotografie, die Aufmerksamkeit erforderte. Maigret wusste, wo die Leute saßen, die mit der richtigen Technik diese kleinen Mysterien sichtbar machen konnten: unter dem Dach des Palais de Justice.
Der Kommissar und Torrence saßen zusammen und betrachteten einen Umschlag, in dem früher gerne kleine Fotos aufbewahrt wurden. Passfotos könnte man heute sagen, denn wenn man sich alte Fotoalben ansieht, stellt man fest, dass die Fotografien lange Zeit die Größe von gefühlten Briefmarken hatten. Darauf waren rauschende Feste abgebildet – nur erkennen lässt sich nichts mehr. Einen solchen kleinen Umschlag hielten die beiden in den Händen, und Maigret stellte fest:
»[...] Auf diesen Porträtbildern sind gewöhnlich Namen und Adresse des Fotografen aufgedruckt oder geprägt …«
Irgendwie musste sich dieser Aufdruck wieder sichtbar machen lassen, und das konnten die Spezialisten der Pariser Polizei leisten. Also ging es durch die verworrenen Gänge von Kriminalpolizei und Justizpalast zu den Wissenschaftsnerds (wie sie damals sicher nicht genannt wurden). Das verwendete Verfahren wurde in der Geschichte wie folgt beschrieben:
Ein Spezialist nahm das Papier [...]. Dann setzte er sich unter eine sehr helle Lampe und zog einen furchterregenden, auf einen Karren montierten Apparat zu sich heran.
Das Prinzip ist simpel: Ein weißes Blatt Papier, das eine Zeit lang auf einem bedruckten oder mit Tinte beschriebenen zweiten Blatt liegt, absorbiert dessen Beschriftung.
Das Ergebnis ist mit bloßem Auge nicht zu sehen. Doch die Fotografie macht es sichtbar.
»Geht das?« war natürlich die Frage, die sich daraufhin stellte. Denn seien wir ehrlich, das klingt wie Zauberei. Und wenn man berücksichtigt, dass wir über eine Prozedur sprechen, die angeblich vor fast hundert Jahren stattgefunden haben soll, dann könnte die Skepsis noch stärker wachsen. Stellen wir uns vor, wir legen ein unbeschriebenes Blatt Papier über ein bedrucktes Blatt. Nach einiger Zeit könnte es passieren, dass das erste Blatt tatsächlich etwas von der Schrift des unteren Blattes »aufschnappt« – wie ein geheimnisvoller Abdruck.
Was könnte da ablaufen?
Verantwortlich dafür sind physikalische und chemische Prozesse, die unter bestimmten Bedingungen eine minimale Übertragung von Tinte oder Druckmaterial ermöglichen. Zugegeben, diese Phänomene sind meist so schwach ausgeprägt, dass wir sie mit bloßem Auge nicht erkennen können.
Aber mit ein wenig Fotografie-Zauber, etwa durch UV-Licht oder Infrarotfotografie, lassen sich diese Geheimnisse sichtbar machen. Doch auch das ist keine garantierte Sache – es hängt stark von den Materialien und den spezifischen Bedingungen ab, ob es gelingt oder nicht. Und überhaupt stellt sich natürlich die Frage, ob die Spezialisten der Pariser Polizei diese Techniken damals schon hatten.
Überraschenderweise durfte ich feststellen, dass die Infrarot-Fotografie in den 1910er Jahren zu entstehen begann. Sie wurde zunächst hauptsächlich für militärische Zwecke und in der wissenschaftlichen Forschung eingesetzt. Zehn Jahre später begann man, mit der UV-Fotografie zu experimentieren. Hier spielte das Militär keine so große Rolle; die Impulse kamen aus der wissenschaftlichen und medizinischen Forschung. Also, auch wenn Simenon die Fotografie nicht näher spezifizierte, wäre es doch möglich, dass sie in dem Labor eingesetzt wurde.
Geprägt
Nun ist nicht davon die Rede, dass Maigret einen Druck oder Tinte entdeckt hatte. Viel wahrscheinlicher war es, dass der Name des Studios nur in den Umschlag eingeprägt war. Wie soll also das funktionieren? Ist das überhaupt möglich?
Bei der Forschung nach feinsten Erhebungen und Vertiefungen im Papier werden schließlich keine Farbpigmente zurücklassen. Spuren kann es trotzdem geben, die sehr subtil einprägt sein können. Legt man ein neues Blatt über ein solches Beweismittel, wird es keine offensichtliche Übertragung geben. Doch durch Druck auf die Blätter könnten die physischen Unebenheiten sich schwach abzeichnen.
Na und? Wie macht man solche »zarten« Beweise sichtbar? Hier kommt das »Raking Light« ins Spiel – ein altbewährtes Verfahren aus der Welt der Kunst und Archäologie. Wird Licht in einem flachen Winkel über die Oberfläche gestrahlt, werfen auch die kleinsten Unebenheiten deutliche Schatten. So kann eine unauffällige Prägung für die Ermittler sichtbar gemacht werden.
Alte Technik, neuer Glanz
Zugegebenermaßen klingt dieser Begriff sehr nach CSI. Sieht man sich die deutsche Übersetzung an, wird daraus aber ein so schlichter Begriff wie »Streiflicht«. Und diese Technik ist wahrlich keine neue Erfindung! Schon in der Antike könnte sie genutzt worden sein, um verborgene Details besser erkennen zu können.
In der Kunstgeschichte und bei Restaurierungsarbeiten wird diese Methode schon seit Langem eingesetzt, um die Beschaffenheit von Gemälden oder Skulpturen genauer zu untersuchen. Ob wir jemals herausfinden werden, wann und wo dieser knifflige Lichttrick zum ersten Mal bewusst genutzt wurde, bleibt unsicher.
Nun ist es so, dass sich Simenon in der Szene nicht über die genaue Technik geäußert hat. Da ist eigentlich nur Raten möglich. Und so wie die Methode spekulativ ist, so ist es auch immer spekulativ, ob die geschilderten Techniken in einem konkreten Fall helfen können. Immerhin wurde Maigret und seinem Kollegen in diesem Fall geholfen, und es wurde herausgefunden, wer der Fotograf war. Nun war nur noch zu ermitteln, was für eine Aufnahme ursprünglich in dem Umschlag gesteckt hatte. Ein Kinderspiel!