Über die Story

Mehr als grunzendes Missfallen kann Maigret nicht bekunden, als das Telefon mitten in der Nacht klingelte. Lucas war dran, der sich wie immer mit »Sind Sie’s, Chef« meldete.

Man hatte in der Avenue Junot den Leichnam eines stadtbekannten Mannes gefunden – Maurice Marcia, ein alter Bekannter Maigrets, der in der Szene agierte, vorsichtig darauf bedacht, nichts zu tun, was unangenehme juristische Konsequenzen haben könnte. Die Karrieren des Gastronomen und des Kriminalisten liefen miteinander, sie hatten Gelegenheit, sich im Auge zu behalten und hin und wieder traf man sich zu einem lauschigen Gespräch am Quai.

Maigret erinnerte sich an eine Episode:

»Was halten Sie von diesem Freddy?« hatte Maigret Marcia gefragt.
Der Barmann hieß Freddy Strazzia und stammte aus dem Piemont.
»Ich halte ihn für einen guten Barmann.«
»Glauben Sie, dass er ehrlich ist?«
»Sehen Sie, Herr Kommissar, das hängt davon ab, was man unter ehrlich versteht. Es gibt Ehrlichkeit und Ehrlichkeit. Als wir uns kennenlernten, waren wir beide, wie man so sagt, Anfänger. Ich hätte mich nicht als unehrlichen Mann bezeichnet, aber Sie und der Richter waren anderer Meinung.
Im Laufe der Zeit habe ich mich geändert. Ich kann wohl sagen, dass ich fast vierzig Jahre meines Lebens damit zugebracht habe, ein ehrlicher Mann zu werden. Das ist genauso wie bei den Konvertierten. Sie gelten als katholischer als der Papst. Sehen Sie, ehrliche Menschen, die es aus eigener Kraft geschafft haben, sind strenger als alle anderen. Sie fragen mich, ob Freddy ehrlich ist. Ich würde nicht die Hand für ihn ins Feuer legen, aber eins weiß ich genau, er ist nicht so dumm, sich in eine Sache einzulassen, die so schlecht angeleiert war wie diese hier.«

Die erste Frage der Jung-Witwe war, ob er an seinem Herzproblem gestorben war, mit dem er auch beim Arzt war. An diesem Herzproblem sei er nicht gestorben, war die folgerichtige Antwort. Die Frau, die Marcia sich vor vier Jahren genommen hatte, war eine ehemalige Tänzerin. Auf Maigret machte sie keinen günstigen Eindruck, sie schien nicht geschockt und machte sich sogleich daran, die Beerdigung und die Zeit danach zu planen.

Der Arzt, nach den Herzproblemen des Verstorbenen befragt, meinte nur, Marcia sei bei ihm gewesen. Er sei kerngesund gewesen und so fit, wie man es sich für einen Mann diesen Alters nur wünschen kann. Was wollte denn die Witwe andeuten?

»Sagen Sie, wann nehmen Sie ihn fest?«
»Wen?«
»Das wissen Sie genauso gut wie ich, Mori, Manuel Mori, um den Älteren geht es.«

Das war er, der Anruf, der Maigret angekündigt worden war. Inspektor Louis, einer aus den Bezirken, hatte dem Kommissar von seinem Spitzel berichtet, einem Mann, von dem er nicht wusste, wie er heißt, wie er aussah und was er eigentlich machte. Aber dieser Spitzel wusste immer sehr gut über das Bescheid, was sich im Viertel tat.

Mit Inspektor Louis hat Simenon eine äußerst sympathische Figur in die Erzählung eingeführt. Ein Mann, der nicht so hoch gekommen ist, wie er wollte, zu allem Elend auch noch seine Frau verloren hatte und nun seine ganze Energie in die Überwachung seines Viertels, dem Pigalle, steckte, von Bar zu Bar zog, hörte, beobachte und Erdbeerbrause trank.

Die Gebrüder Mori betrieben in dem Viertel ein Obst- und Gemüsegeschäft (Import/Export), wurden aber verdächtigt, dass sie Schlüsselfiguren in der Schlösserbande seien, die sich darauf spezialisiert hat, Villen in der Abwesenheit ihrer Besitzer auszuräumen. Solch Leute sind dem Kommissar, der in der Erzählung hartnäckig als »Monsieur le Divisionnaire« betitelt wird, eine Gräuel. Für solide Handwerker, wie zum Beispiel den faulen Dieb oder den Ex-Tresorbauer, hegt er Respekt – aber diese harten Typen mit ihrem auffälligen Gehabe…

Der vom Spitzel geforderten Verhaftung, die Maigret liebend gern vornehmen würde, steht nur ein kleines Hindernis im Raume: Beweise.

Bevor die Jagd auf die Moris losgehen kann, macht sich der Ermittlungsstab erst einmal auf die Suche nach dem Spitzel, der mehr weiß, als er sagt. Dieser wird identifiziert (pikanterweise von einem der Mori-Brüder), aber er hat Angst um sein Leben (die Mori-Brüder sind nicht zimperlich), und so ist er auf der Flucht. Der Kommissar macht sich auf den Weg nach Bandol, um dem Begräbnis des großen Gastwirtes beizuwohnen. Der anwesende Kommissar aus Toulon kommentiert das so:

»Was sagen Sie dazu? Hier sollte man mal eine Razzia machen! Es ist ja nicht nur die Creme aller Gangster von Toulon versammelt, sondern auch die von Marseille und Cannes und Nizza.«

Aber eine Razzia auf einer Beerdigung?