Über die Story

Hätte, wäre, könnte – das sind sie, die Wörter, die ausdrücken, wie das Schicksal hätte verlaufen können. Pech oder auch Glück haben bestimmte Ereignisse verhindert und diejenigen, bei denen sich das Schicksal zum Schlechteren gewendet hat, hadern damit; die, denen das Leben gut mitgespielt hat, wissen es oft genug nicht zu schätzen.

Die Gründe, die einen Menschen mit seinem Schicksal hadern lassen können, sind zahlreich. Bernard Foy hat wirklich einen. Er wurde zur Armee eingezogen und durch einen dummen Zufall war er es, der mit einer Mine in Kontakt kam, die sein Leben zerstörte. Vom Glück geküsst glaubte sich Bernard bis zu diesem Tag, aber die Explosion riss ihm beide Hände ab und nun war er Vollinvalide.

Jahre hatte es gedauert, bis er Prothesen hatte, die ihm wieder normale Handreichungen erlaubten. So konnte er kochen, war in der Lage einer Arbeit nachzugehen, auch wenn diese mit seinem erlernten Beruf überhaupt nichts zu tun hatte. Ewigkeiten hatte es gedauert, bis sich der junge Mann daran gewöhnt hatte, mit seinen mechanischen Händen in der Öffentlichkeit aufzutreten. Und obwohl er in seinem Viertel bekannt war, konnten es sich die Leute nicht verkneifen, ihn mitleidig anzusehen.

Das Mitleid galt auch Bernards Frau Nelly, die – bildhübsch – zu ihrem Mann hielt und ihn drängte, sich unter die Leute zu begegeben. Leichter gesagt als getan, schließlich schaute man sie gern an. Als sie sich kennen- und lieben gelernt hatten, hatte Bernard darauf gedrängt, dass sie nicht arbeiten gehe, nun war sie es, die arbeiten ging, während er zu Hause blieb. Nelly war unter Menschen, tauchte ein in die Menge, lernte Menschen kennen, sprach mit Männern…

Womit sich schon der Knackpunkt auftut: Bernard liebte seine Frau so abgöttisch, so dass ihm jeder Kontakt, den sie mit einem Mann hatte, krankhafte Sorgen bereitete. War sie nicht erst vor Kurzem in der Firma aufgestiegen? Hatte sie das nicht ihrem Chef zu verdanken? War er ihr etwas schuldig? In rasender Schnelle machten sich solche Gedanken bei Bernard breit und piesackten ihn, bis seine Frau abends nach Hause kam.

Die Situation wird nicht dadurch besser, dass der Karikaturist Mazaron in das Haus zog, das – was die Sache nicht unbedingt besser machte – auf Bitten der Freundin Gisèle, die ihren Bruder gut untergebracht wissen wollte. Für Gisèle war es einfach nur bequem: wenn sie etwas für ihren Bruder hatte, brauchte sie es nur ihrer Kollegin mitzugeben. Im Gegenzug holte Nelly jeden Morgen die Zeichnungen ab, die Mazaron über Nacht geschaffen hatte und übergab sie Gisèle. Bernard kannte den Bruder nicht, er wusste nur eines: der junge Mann galt als lebenslustig und humorvoll (was er auch sein musste, wenn er Karikaturen zeichnete) und war ebenso wie Bernard behindert. Nun hatte er sich seine Behinderung nicht im Krieg geholt, sondern er litt an Kinderlähmung – aber für Bernard gab es keine Behinderungen erster und zweiter Klasse (was eine schmähliche Einteilung gewesen wäre), sondern nur Männer, über die er sich keine Sorgen machen musste, was Nelly anging, und Männer, über die er sich Sorgen machen musste. Mazaron gehörte in die zweite Kategorie.

Nelly versuchte seine Bedenken zu zerstreuen. Es gelang ihr immer nur für wenige Augenblicke. Irgendwann kam der Augenblick, in dem ein unbedachtes Wort fiel, eine Geste gemacht wurde und dann war der Graben wieder da und Bernard vergrub sich wieder in seinen Bedenken und Sorgen. Wie es in solchen Situationen ist, erweckte auch Nichtgesagtes das Misstrauen von Bernard. Warum erwähnte Nelly in den Gesprächen ihren jungen Chef nicht mehr? Er musste doch in ihrem Arbeitsleben eine wichtige Rolle spielen… So könnte lange Listen aufstellen, was Bernards Misstrauen erweckte.

Die Geschichte, so viel sei verraten, geht nicht gut aus. Obwohl man weiß, dass es eigentlich kein gutes Ende nehmen kann, wenn man Simenon kennt, hofft man es immer wieder. Man mag fast sage: perfiderweise schafft Simenon immer wieder Lichtblicke, in denen das Paar im Buch (damit auch der Leser) aufatmen kann und sich einredet, alles würde gut werden, um dann einen Abgrund zu schaffen, in den man noch tiefer hinein fällt. Es gibt kein Gut und kein Böse in diesem Buch: allen Handelnden kann man viel Sympathie entgegenbringen: Bernard für seine abgrundtiefe Liebe, Nelly für ihre Geduld und Mazaron für seinen Optimismus.

Diese Art von Beziehung erinnert an »Antoine und Julie«. Die vielen Unterschiede in der Geschichte (Julie ist abhängig von ihrem Mann, nicht umgekehrt; Antoine ist Trinker – dem Suff kann sich Bernard nicht ergeben usw.) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in beiden Beziehungen eine verhängnisvolle Abhängigkeit entwickelt hat. Der gemeinsame Faktor ist die Eifersucht und Angst. Eine Empfehlung, welches Buch von beiden man vorziehen sollte, kann ich nicht geben – beide Romane zeigen einen Beziehungsbild das nicht erstrebenswert ist und erzählen Geschichten, die alles andere als gute Laune verbreiten.