Über die Story

Es gibt solches Pech und solches. Mancher Unglücksfall mag unsere Herzen nicht rühren. Nehmen wir den Fahrer eines schnellen Autos der mit sagenhafter Geschwindigkeit bei Glatteis gegen einen Brückenpfeiler fährt. Was bleibt da? Mitleid für den Pfeiler und eventuell noch für die armen Autofahrer, die daraufhin stundenlang im Stau stehen. Es gibt aber auch anderes Pech, beispielsweise wenn zum Beispiel jemand in einem fremden Land ankommt und ihm vor Verlassen des Flughafengebäudes schon die Brieftasche geklaut wurde. Joseph Dupuche und seiner Frau widerfährt ein solches Missgeschick.

Ohne Argwohn kommen sie in Panama an, mit dem Schiff, wie es zur damaligen Zeit üblich war. Das Geld, was man ihnen mitgegeben hatte, war aufgebraucht, aber Joseph Dupuche hatte einen Kreditbrief seines Arbeitgebers, der ihn mit frischem Geld versorgen sollte, damit die Weiterfahrt stattfinden kann. Statt des Geldes bekam Dupuche aber nur die Auskunft, dass eine Auszahlung nicht möglich sei, da sein Arbeitgeber gerade in Konkurs gegangen sei. Eine äußerst ungünstige Situation für das junge Ehepaar.

Sie steigen im »Hôtel de la Cathédrale« ab, welches von französischen Landsleuten geführt wurde. Man hört sich das Elend der Eheleute an, kann ihnen aber nicht sehr viel Hoffnung machen. Germaine begibt sich zur Ruhe, während Joseph versuchte, Informationen und Lösungen zu finden. Dabei schaut er ein wenig zu tief in das Glas und kommt betrunken in das Hotelzimmer zurück. Germaine ist darüber nicht sehr angetan, setzt ein verkniffenes Gesicht auf, und ist nicht bereit, sich mit Joseph zu verständigen. Wäre sie über diesen Absturz hinweg gegangen, vielleicht hätte sich die Geschichte anders entwickelt, aber so…

Der Besitzer machte Germaine das Angebot, bei ihm im Hotel als Kassierin zu arbeiten. Offenbar hatte er einen Narren an ihr gefressen, denn Joseph wurde berichtet, dass er bisher niemanden außer seiner eigenen Frau hinter der Kasse geduldet hatte. Mit diesem Angebot verbunden war freie Unterkunft und ein Zimmer im Hotel. Das galt aber nur für Germaine. Der Besitzer des Hotels - François Colombani (Tsé-Tsé) - war der Meinung, dass die Ehegatten der Angestellten nicht bei ihren Partnern im Hotel wohnen sollten, da dies nur Ärger bedeuten würde. Man organisierte Dupuche eine Unterkunft. Diese war umsonst, lag dafür aber im Schwarzenviertel von Panama und wer als Franzose in dem Quartier wohnte, wurde seinen Landsleuten schief angesehen.

Joseph Dupuche fragte sich, wie er soviel Pech haben konnte. Jahre hatte er studiert, um Ingenieur zu werden. Die Arbeitsmarktsituation in Frankreich war schlecht, aber er hatte Glück. Er sollte als Direktor für eine französische Bergwerk-Gesellschaft arbeiten können und wurde mit einem stattlichen Gehalt ausgestattet. Mit seiner alten Liebe, die er von Kindesbeinen an kannte, machte er sich auf nach Ecuador, um dort für ein paar Jahre zu arbeiten und gutes Geld zu verdienen. Dann landet er in Panama und er kommt nicht vor und nicht zurück. Keine Bewegungen zur Seite, für Dupuche gab es nur noch eine Richtung: nach unten.

Sein Abschluss war keinen Pfennig wert. Die Franzosen im Land hatten keine Verwendung für einen Ingenieur, die Amerikaner - auch zahlreich in Panama vertreten - bedienten sich, wenn sie Fachkräfte benötigten, bei ihren eigenem Menschenschatz. Der Gesandte in Panama konnte dem jungen Mann auch nicht weiterhelfen, sein Etat war zu klein, um Dupuche uns eine Frau über Wasser zu halten und an eine Finanzierung der Rückreise war gar nicht zu denken.

So wunderte es keinen in Panama, dass Dupuche eine Tätigkeit annahm, die weit unter seiner Qualifikation lag: Er wurde Würstenverkäufer. Natürlich ist dies jetzt nicht wörtlich zu nehmen, denn selbstverständlich war Dupuche nur dafür angestellt, die Würstchen-Verkäufer zu kontrollieren, die durch die Bank Einheimische waren. Der Verdienst war dafür hundsmiserabel und der Jung-Würstchen-Verkäufer konnte nur überleben, da sein Zimmer nichts kostete.

Da Veränderung für den jungen Mann Gewohnheit wurde, verwunderte es ihn auch nicht, dass er sich anderweitig umgewöhnte. Er beobachtete die Tochter seiner jungen Nachbarin zu, wie sie heimlich Männer in das Haus brachte. Erpressung war gar nicht notwendig, sie wandte sich Dupuche von allein zu und die beiden wurden zu einem Liebespaar. An den alltäglichen Rassismus hat sich nicht geändert. Mag er heute subtiler sein, seine Konsequenzen sind die gleichen wie zu Beginn der 30er Jahre, die Simenon im Auge hatte, als er diesen Roman schrieb. Dupuche war schon durch seinen Misserfolg in der französischen Gesellschaft Panamas isoliert. Die Beziehung zu einer Schwarzen gab seinem Ansehen den Rest. Man gibt ihm nicht mehr die Hand, wenn man ihm begegnet, seiner Frau sind die Zusammenkünfte nur noch peinlich.

Dupuche entschließt sich zu einem endgültigen Schlussstrich und zieht nach Colón. Jef, ein Freund der französischen Clique hatte ihm geraten, sich selbständig zu machen. Die Idee war, dass er als Sprachkundiger auf die Schiffe geht und dort die Gäste des Landes empfängt. Anschließend führt er sie durch die Clubs und Geschäfte Colóns. Dafür bekam er Prozente von den Gastwirten und Geschäftsleuten. Dass dies nicht funktioniert, kann sich der geneigte Leser recht bald selbst ausrechen, denn Dupuche ist Ingenieur nicht Gesellschafter. Hinzu kommt, dass er Véronique nach Colón kommen lässt und damit auch hier ein Tabu bricht.

Mein erstes Lesen vor einiger Zeit war nur ein Überfliegen gewesen. Jetzt hatte ich mir richtig Zeit genommen. Die Geschichte des Joseph Dupuche wird dadurch nicht besser. »Besser« in der Hinsicht, dass man ihr vielleicht den einen oder anderen Aspekt abgewinnen könnte - zumindest bei mir ein Reflex. Simenon kommt in diesem Roman auf ein Thema zurück, dass ihn noch häufiger beschäftigen sollte: Alkohol und was dieser aus Menschen macht. Der Abstieg des Joseph Dupuche wird von Simenon eindrucksvoll und schonungslos beschrieben. Im Gegensatz zu »Die letzten Tage eines armen Mannes« habe ich diesen Abstieg mit mehr Fassung verfolgt. Alkoholismus ist nie eine Lösung und keiner wird behaupten, dass man in Alkohol wirklich Trost finden wird. Vielleicht lässt er einen vergessen, aber er schafft neue Probleme. Eines ist die Neubeschaffung des Stoffs. Manchmal hat man aber doch so etwas wie Verständnis: Simenon hat solches bei mir für Joseph Dupuche geweckt.