Über die Story

So lernt man Frankreich kennen! Wie? Man betrachtet einfach die Titelbilder von Simenon-Ausgaben bei Diogenes. Es gibt sehr schöne darunter. Einer meiner Favoriten ist »Das blaue Zimmer«, welches einmal den Charme des Verbotenen betont und einmal eine sehr typische Kulisse in Frankreich darstellt. Die vorliegende Ausgabe von »Die Flucht des Monsieur Monde« zeigt die Villa Île-de-France, welches, das muss man allerdings hinzufügen, überhaupt nichts mit der Erzählung zu tun hat: Hier wäre vielleicht ein Bild vom Mittelmeer, ein Bild aus einer kleinen Handelsfirma und ein Mann, der zum Zug hetzt, anschaulicher gewesen.

Es war fünf Uhr nachmittags, vielleicht auch ein wenig später – der große Zeiger neigte sich leicht nach rechts, – als Madame Monde, begleitet von einem eisigen Luftzug, in den Gemeinschaftsraum des Polizeireviers gestürzt kam.

Madame Monde hatte nicht vor, lange zu warten, sich in die Reihe der armseligen Gestalten einzuordnen. Sie war schließlich wer! Nicht, dass man sie in den Gesellschaftsspalten der Zeitungen gefunden hätte, so bedeutend war sie nun auch wieder nicht, aber als Madame Monde, hatte man doch soviel Autorität, dass man sich nicht in der Schlange des örtlichen Kommissariats anzustellen hatte. Empörendes hatte sie vorzutragen: ihr Mann, Monsieur Monde, ist von dannen gezogen. Daran ist nun nichts besonderes, zumindest nicht für einen Polizisten. Auch die Tatsache, dass er reichlich Geld abgehoben hatte, ist nicht weiter der Rede wert – es war ja seins, und wenn ihm das in den Sinn kam. Madame Monde wollte das auch nur zur Anzeige gebracht haben.

Monsieur Monde hatte irgendwie zuviel bekommen: seine Frau hat vergessen, ihm zum Geburtstag zu gratulieren, sein Sohn, der in seiner Firma arbeitet, taugte auch nicht viel, und seine Tochter tauchte bei ihm nur auf, wenn sie wieder einmal Geld brauchte. Für diesen Tag hatte sie sich angekündigt: das sie ihm zum Geburtstag gratulierte war nicht zu erwarten. Irgendwie deprimierend: da hatte er die väterliche Firma übernommen und von Grund auf saniert, aber geachtet wurde er nicht. Der Einzige, der ihm immer noch zum Geburtstag gratuliert hatte, war sein Sekretär, aber auch der vergaß es an diesem Tag.

Da entschloss sich der gute Mann zu Folgendem: Er ging zum Friseur und ließ sich seinen Bart abnehmen. Nachdem er seinen alten Anzug verkauft hatte und ihn in einen Unauffälligen umgetauscht hatte, zog er sich mit dem Geld an das Mittelmeer zurück und quartierte sich in einem Mittelklassehotel ein. Dort rutscht er gleich in das nächste Abenteuer (nachdem er das erste noch nicht einmal verkraftet hatte).

Im Nachbarzimmer gibt es ordentlich Streit. Der Mann schimpft (wohl) eine Frau, dass sie ein Luder sei. Was diese nicht abstreitet, bemüht, ihn zur Ruhe zu bringen. Nichts ist peinlicher als ein Tobender in der Nacht. Durch die Wände bekommt Monde mit, dass er sie schlägt, als die Frau bemüht ist, ihren Mann von der Abreise abzuhalten. Was Monde angst macht, ist die Drohung der Frau, sich umzubringen.

Nachdem der Mann gegangen ist, und es in dem Zimmer merkwürdig ruhig ist, kommt der Pariser nicht darum, sich um seine Zimmernachbarin zu kümmern:

Er wusste nicht, wie er in seiner Hose mit dem offenen Bund, dem bereits schütteren, wie nach dem Aufstehen zerzausten Haar und den nicht zugeschürten Schuhen aussah.
Sie hauchte:
»Schließen Sie die Tür.«
Und dann:
»Er ist fort, nicht wahr?«
Und, nach einem Schweigen:»
Er kommt nicht wieder, so wie ich ihn kenne… Er ist so dumm!«

Sie hatte schon eine stattliche Zahl von Schlaftabletten genommen, und kam zur Erkenntnis, dass der Mann, der gegangen war, das wohl nicht wert sei. Monsieur Monde half ihr beim Erbrechen: kein schöner Job. Aber es schweißt zusammen! Monsieur Monde, der schon nicht mehr unter diesem Namen lebte, schließt sich mit Julie, seiner Zimmernachbarin zusammen, und zusammen suchen sie sich eine neue Bleibe. Bald muss sich der Flüchtige auch um einen Job kümmern, man hatte ihm das Geld geklaut.

Er, der ehemalige Geschäftsmann, darf sich wundern, wie schnell sich sein Leben ändern sollte. Heute noch mit Import und Export beschäftigt, lebte er kurze Zeit später am Mittelmeer und kümmerte sich um die Abrechnungen in einem Nachtclub. Merkwürdigerweise war er immer noch er selbst. Die Metamorphose kommt mit dem Tag, an dem er seine erste Frau, die vor vielen, vielen Jahren sang- und klanglos verschwunden war, ihn mit Kind und Kegel allein zurückließ, in seinem Nachtclub auftaucht.