Über die Story

Jungs nehmen im pubertären Alter eine Gewohnheit an, die sie in den allermeisten Fällen, nie wieder ablegen werden. Sie reagieren irritiert und schweigsam, wenn man von ihnen erwartet, dass sie zum Einen etwas erzählen sollen. Egal was. Zum Anderen wirken sie genervt, wenn sie gezwungen werden sich »Sachen« anzuhören, die sie überhaupt gar nicht interessieren. Väter denken sich, wenn sie es beobachten, ihren Teil - zeigen meistens Verständnis; Mütter reagieren häufig mit Unverständnis, interpretieren das häufig völlig missverständlich als Ablehnung und Desinteresse an ihrer Person.

André Bar befand sich mittendrin in so einer Phase. Er hatte sein Kämmerchen in der elterlichen Villa, die sein Reich ist. Dort hörte er seine Platten, möglichst laut, und lernte für das Abitur. Der Haushalt interessierte ihn nicht. Sein Vater, ein introvertierter Typ, war nur mit den Zähnen seiner Kunden beschäftigt und kehrte abends spät nach Hause zurück. Seine Mutter hielt sich tagsüber im Haus auf, zum Beispiel zum Sonnen im Garten, und traf sich dann Abends mit ihrer Freundin Natascha. Morgens sah man sie gar nicht oder nur in einem sehr schlechten Zustand. Ein Zusammenleben existierte in der Familie nicht.

Der junge Mann fuhr nach Nizza. Als Vorwand gab er an, sich das Gymnasium der Stadt anzuschauen zu wollen, denn er erwog einen Wechsel in dieses Gymnasium. Der andere, eigentliche Grund hieß Francine und wohnte in Nizza. Francine war die Tochter des besten Freundes seines Vaters und er hatte sie erst vor Kurzem kennengelernt. (Männerfreundschaften: die beiden Männer hatten sich jahrelang nicht gesehen und es hatte nicht geschadet.) Er passte das Mädchen vor ihrer Schule ab und lud sie zu einem Schokoladen-Milchshake mit zwei Kugeln Eis ein.

Sie plauderten in einem Café und amüsierten sich prächtig. Da beobachtete Francine, dass die Mutter Andrés ein Haus gegenüber verließ; teilte dies dem Jungen mit, der verwundert zugab, dass es tatsächlich seine Mutter war, die aus dem Haus herausgekommen war. Die Frage war nur, was tat seine Mutter in diesem Haus? Kurzzeitig hatte er den Eindruck, dass seine Mutter auch mitbekommen hatte, das er sie gesehen hatte - wahrscheinlich sich auch fragend, was ihr Sohn denn nun in Nizza trieb, wo sie in Cannes wohnten.

Es bestand kein Zweifel. Inzwischen erblickte er ein Stück weiter das rote Coupé. Seine Mutter ging darauf zu. sie stieg ein, streifte ihre Handschuhe über, schlug die Tür zu. Er war keine zwanzig Meter von ihr entfernt, und in dem Augenblick, wo sie den Motor anließ, hatte er das Gefühl, dass ihre Blicke sich im Rückspiegel begegneten. Der Wagen fuhr los, bog um die Straßenecke und verschwand im Gewühl der anderen Fahrzeuge.

Ein paar Tage später fuhr André nochmals nach Nizza und schaute sich das Haus, aus dem seine Mutter gekommen war, näher an. Außergewöhnliches oder gleich Einleuchtendes konnte André nicht finden: ein Arzt, Fußpflege, ein Amtsdiener. Im zweiten Stock wurden möblierte Zimmer vermietet - war das das Ziel seiner Mutter gewesen? André war sich sehr sicher.

Zuhause hatte sich mittlerweile auch einiges geändert. Durch die Beobachtung von André hatte sich sein Verhältnis zu allen Mitgliedern des Haushalts geändert - was jetzt etwas dramatisch klingt, aber letztendlich nur die Mutter und den Vater betraf; Geschwister hatte er nicht. Sein Verhältnis zur Haushälterin, die ihn mit Nahrung versorgte, blieb genauso herzlich wie vorher.

Erst kam sein Vater und fing an zu erzählen. Dann seine Mutter. Sie gaben ihm Erklärungen zum Verhältnis zum jeweils anderen (zu den Großeltern, zu Freunden, zur Arbeit). Auf dass er verstehe, warum dieses oder jenes so ist. André möchte es gar nicht hören. Das die Ehe zwischen seinen Eltern eine Farce war, hatte er selbst begriffen. Ihm geht es nicht um Parteiname, wie zum Beispiel seine Mutter vermutete, und er brachte ihr auch keine Verachtung entgegen. Gleichgültigkeit ist das Wort, was den Nagel auf den Kopf trifft. Als sie das realisiert, reagiert sie verstört. Denn die Gleichgültigkeit, mit der sie ihr Sohn behandelt, ist die gleiche Gleichgültigkeit, die ihr ihr Mann entgegenbringt.

Neidisch schaut André auf seine neue Freundin Francine, der er alles erzählen kann und die wunderbarer Weise auch ein unkompliziertes Verhältnis zu ihren Eltern hat. Sie erzählt ihren Eltern alles: völlig unverständlich für André.