Über die Story

Victor Lecoin entstammt ärmlichen Verhältnissen: schon in frühester Kindheit hatte er beschlossen, reich zu werden. Reichtum ist relativ: für den kleinen Victor war Reichtum ein Haus, ein Hof und anständig zu Essen. Später mag der Punkt »Frauen« noch hinzugekommen sein. Sein Lebtag hat Lecoin dafür gearbeitet und er hat den Status des »reichen Mannes« in Marsilly erreicht. Der Mitvierziger besaß das Haus, vor dem er damals stand, hat das Gut gekauft, auf dem er einst anfing zu arbeiten, besaß eine erfolgreiche Muschelzucht und kaufte den anderen Muschelzüchtern ihre Ernten ab, um als Zwischenhändler mitzuverdienen.

Im Ort wusste man, dass man Victor Lecoin nicht wütend machen sollte. Nur wenige, die, die man aus Prinzip nicht schlug, trauten sich hin und wieder ein Wort zu sagen, welches Lecoin einem übel nehmen konnte. Aber Lecoin war auch nicht auf Schlägereien aus, er wollte seine Ruhe haben. Sein Tag begann in aller früh. Es hieß die Muschelbänke zu pflegen und zu ernten. Dann musste die Ernte verkauft werden. Hin und wieder ging es die Stadt, teilweise aus geschäftlichen Gründen, häufig ging Lecoin dann auch seinem Privatvergnügen nach: ein Besuch in einer Bar mit angeschlossenem Bordell. Lecoin war ein gern gesehener, weil sehr großzügiger Gast.

Lecoins Frau wusste das, und nahm es hin. Insgeheim war es ihr vielleicht recht: sie hatte keine Luste, mit dem Lecoin zu schlafen; war ihm treu. Lecoin wusste, dass ohne diese Frau - die er nicht liebte - sein Aufstieg sehr viel schwerer gewesen wäre. Er mochte in jungen Jahren geglaubt haben, dass er seine Frau liebte; viel wichtiger war, dass die junge Lehrerin eine tüchtige Geschäftsfrau war und die Zahlen von Lecoins Geschäftstätigkeit akribisch pflegte.

Alice war ein Waisenkind, kam aus ebenso ärmlichen Verhältnissen wie Lecoin. Jahre verbrachte sie in einem Heim, das von Schwestern geleitet wurde. Ihre erste Arbeitsstelle stellte sich gleich als Katastrophe heraus. Der Hausherr verging sich an ihr und es kam zu einem Skandal. Die Affäre wurde nicht einfach unter den Teppich gekehrt, man hatte bis Marsilly von der Geschichte gehört. Alice, »ein unreifes und unfertiges Ding«, hatte keine großen Erfahrungen im Führen eines großen Haushalts. Was hatte Lecoins Frau bewogen, diese junge Mädchen einzustellen?

Lecoin versuchte die junge Frau zu ignorieren, versuchte auch die unfeinen Andeutungen zu überhören, die in seiner Anwesenheit in der Kneipe bezüglich des Mädchens gemacht wurden - der Muschelzüchter war redlich bemüht, sein Leben so weiter zu führen, wie er es bisher getan hatte.

Es gelang ihm nicht, innerhalb kürzester Zeit war er dem Mädchen verfallen. Wie ein junger Bursche suchte er ihre Aufmerksamkeit, unauffällig und geheimnisvoll versteht, schließlich sollte seine Frau nicht von seiner Verliebtheit mitbekommen. ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt war - meist bekommt es die Frau zuerst mit, wenn der Mann komisch wird. Die Gedanken Lecoins kreisten nur noch um das Mädchen. Dieses war irritiert ob der Avancen, die ihr von ihrem Chef gemacht wurden. Sie reagierte gleichgültig auf die Annäherungsversuche, versuchte sich zurückzuziehen. Lässt man solche Ereignisse Revue passieren, so gibt man häufig der jungen Frau die Schuld an dem Gewesenen: Simenon beschreibt in diesem Roman eine Geschichte, in dem man dem Mädchen nur Passivität und mangelnde Gegenwehr vorwerfen kann. All das, was passiert, ist ihr gleichgültig. Die Erfahrungen der Vergangenheit hatten ihr gezeigt, dass sie nichts ändern kann, sie hatte keine Kraft, keinen Mut oder keine Lust, ihre Situation zu ändern.

So lang seine Frau im Hause war, konnte Lecoin sich, was die Beziehung zu Alice anging, nicht entfalten. Aber der Zufall sollte ihm eine gute Gelegenheit geben: die Schwester seiner Frau war schwer erkrankt und lag im Sterben. Seine Frau macht sich auf den Weg und lässt ihren Mann zurück. Alice sollte den Haushalt führen; Lecoin hatte weiterreichende Pläne und schwebt auf Wolke Nr. 7.

Es wäre nicht Simenon, wenn es gut gehen würde. Trotzdem ist das Ende des Romans einigermaßen überraschend. Ich hatte beim Lesen liebe Not mich in Lecoin hineinzuversetzen. Schön immerhin, dass er erwog, sein Glück zu suchen und dass er zu der Erkenntnis erlangte, dass Geld nicht alles im Leben ist.