Über die Story

In der Beschreibung der Erzählung »Der Spürsinn des kleinen Doktors« habe ich schon einmal Unterschiede zwischen den beiden Serienprotagonisten Jules Maigret und Jean Dollent angedeutet. Nicht nur vom Naturell her sind sie völlig unterschiedlich, auch von der Art der Fälle und der Art, wie sie diese zu lösen pflegen, gibt es große Unterschiede zu berichten. Der große Kommissar kann sich auf einen Apparat stützen, der die ganze Kleinarbeit übernimmt. Die Lösung der Fälle ist mit Verlaub meist sauberer Recherchearbeit und dem psychologischen Einfühlungsvermögen Maigrets zu verdanken, der die Täter meist als Menschen versteht. Wenn es sein muss, greift er auf lange Verhöre zurück, die nur die wahren Unschuldigen mit reiner Weste überstehen. Anders der kleine Doktor. Seine Fälle sind Rätsel, die sich die Betroffenen und die Polizei häufig überhaupt nicht erklären können. Er hat Freude an der Lösung dieser Rätsel, am Anfang waren es noch kleine Rätsel, aber er wird immer besser und vermag auch raffinierte Verbrechen zu lösen. Er hat dabei keine Labors zu Hand, kann nicht auf unzählige Mitarbeiter zurückgreifen, die sich um den Kleinkram eines Verbrechens kümmern, das Ausfragen der Hauswächterin, der Bäckerin oder der Zugehfrau. Die Lösung des Falles entsteht bei ihm vielmehr als bei Maigret im Kopf.

Auch der Fall des Pantoffelliebhabers ist so ein Fall. Wie kommt denn die Erzählung zu diesem Namen oder besser gefragt: wer ist warum und wie der Pantoffelliebhaber?

Es ist der sechste oder siebte Tag und man kann nach ihm seine Uhr stellen. Das macht Gaby auch. Gaby, man beachte den Namen, ist Schuhverkäuferin in einem Pariser Kaufhaus und hat diesen merkwürdigen Klienten jetzt die ganze Woche gehabt. Von siebzehn bis achtzehn Uhr probierte er bei ihr sehr geduldig Pantoffeln an und verschwand jeden Tag mit mindestens einem Exemplar. Sie war leicht verzweifelt, weil es mittlerweile keine Pantoffel mehr gab, die sie ihm anbieten konnte und sie war mittlerweile nicht nur leicht genervt, sondern auch gehässig, ließ ihn Pantoffeln anprobieren, die ihm nicht passen konnten. Er ertrug es. War er verliebt in sie?

Fragen konnte sie ihn nicht mehr. Denn während einer Schuhprobe fiel ihr das gleichgültige Verhalten ihres Pantoffelliebhabers auf: er war tot. Eine nähere Untersuchung von nicht so verschreckten Menschen, wie Gaby, ergab, dass er erschossen wurde. Warum probierte der Mann geduldig Schuhe an, Pantoffeln wohlgemerkt, und ließ sich dann auch noch erschießen. Das war eindeutig ein Fall, der in das Metier des kleinen Doktors passte.

Nun bekommt ziemlich zügig heraus, wer der mysteriöse Mann gewesen ist. Aber sein Leben birgt wohl auch so einige Geheimnisse. Der Tote hörte auf den Namen Justin Galmet und war vor zwanzig Jahren aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Er begründete es mit einer Erbschaft, die er gemacht hatte. Trotzdem lebte er nicht vom Ersparten, sondern zahlte regelmäßig Geld auf sein Konto ein, keine Mordsbeträge, aber es zeugte von einem regelmäßigen Einkommen. Warum hat der Mann, der eingefleischter Junggeselle war, plötzlich Ambitionen zu heiraten und warum, das fragt sich auch der Provinzarzt, war seine Wohnung voller unausgepackter Einkäufe…