La Comédie Humaine


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Das Werk Simenons mag schon ein Universum sein, aber Verbindungen zwischen den einzelnen Geschichten gibt es kaum - sehen wir mal von Maigret ab. Bei Balzac sah das anders aus: Der schuf ein Universum, das man die »Menschliche Komödie« nennt. Simenon befasste sich in einem Text mit seinem Kollegen.

Vielleicht kennen Sie auch diese Wissensspiele, bei denen man ein wenig Zeit hat, zu überlegen. Meine Schwester hatte mir ein solches geschenkt und wir haben es Weihnachten und Silvester 2008 bis zur Erschöpfung gespielt. Wir waren soweit, dass sich die Fragen schon wiederholten. Was für ein Ärgernis! Es gab eine eigene Kategorie Literatur, in der es die unmöglichsten Fragen gab. Selbst als einigermaßen belesener Mensch habe ich die Kategorie nie freiwillig gesucht. Die Versuchung die Kategorie abzugeben, die Möglichkeit hatte man immerhin, war recht groß. Irgendwann kam die Frage, wie der große Roman-Zyklus von Balzac hieß.

Da war doch was! Ich kam wirklich schwer ins grübeln und die Mitspieler wurden schon langsam ungeduldig. Im Kopf geisterte immer das Wort »Komödie«, aber was für eine. Die »Göttliche« konnte es nicht sein, die hatte ja Dante geschrieben. Aber was gab es denn noch für Komödien. Buchstäblich im letzten Augenblick, dem Augenblick aus dem Happy Ends für Klugscheißer sind, fiel es mir ein: »Die Menschliche Komödie«.

Ähnliche Happy End-Augenblick kann manchmal auch beim Stöbern in Online-Antiquariaten erleben, wenn man etwas entdeckt, was man noch nicht hat. In Biographien über Simenon war mir schon öfter mal aufgefallen, dass auf einen Text Simenons über Balzac verwiesen wurde. Aber gesehen hatte ich noch nirgendwo. Und dann sah ich bei ZVAB einen Verweis auf das Diogenes-Taschenbuch »Balzac - Leben und Werk«. Das musste gekauft werden. Kam. Wurde bezahlt. Lag rum. Aber immer ziemlich weit oben. Mit dem Satz »Das mache ich als Nächstes.« komme ich in der Regel nicht weit, weil sich immer eine Angelegenheit findet, die ich auch schon mit diesem Satz bedacht habe. Selbst auf dieser Webseite finden sich diverse »Nächtes«-Projekte, die auch so tituliert werden. Manchmal ist die Umschreibung dafür auch einfach: »Demnächst«, was natürlich ein Euphemismus ist und auch so zu verstehen ist. Projekte in der Zukunft.

Das klingt jetzt weit hergeholt. Aber doch bin ich überzeugt, dass ich auf diese Art und Weise eine schöne Überleitung zu Balzac bekomme. Denn ich mag Balzac. Leider habe ich noch nicht so viel gelesen, wie ich sollte.

Dem Text von Simenon kann man entnehmen, dass Balzac auch so ein Mensch war, der gern »Das mache ich als Nächstes.« zu sich gesagt hatte. Dabei hatte der Schriftsteller kann die Möglichkeit, sagen zu können, dass lasse ich jetzt mal liegen. Denn sein literarisches Werk wurde von einer einer negativen Energie angetrieben: Schulden. Es ging soweit, dass Balzac Bücher verkaufte, die noch nicht einmal einen Titel hatten. Da saßen ihm Leute im Nacken, die ihr Geld wieder haben wollten. Balzac kam durchaus zu Wohlstand, aber er hatte wohl auch ein großartiges Talent das Geld wieder auszugeben. Ganz anders als sein Kollege, der über hundert Jahre später auf die Welt kam, zwar nicht aus ähnlichen Verhältnissen stammte aber unter ähnlichen Verhältnissen seine Schriftsteller-Karriere startete. Simenon konnte gut mit Geld umgehen und schloss Verträge ab, die für ihn immer sehr vorteilhaft aussah. Sein schlechtestes Geschäft, dass man wohl ohne große Umstände so sagen, war die Scheidung von seiner Frau Régine (Tigy).

Balzac wehrte sich gegen den elterlichen Beschluss, Anwalt zu werden und teilte seinen erstaunten Eltern mit, dass er Schriftsteller werden wolle. Eine brotlose Kunst. Der Familienrat beschloss, dass man ihm zwei Jahre unterstützen würde und dann müsse er ein Werk zur Beurteilung vorlegen. Ich meine, dass dies eigentlich ein ganz faires Arrangement war. Es setzte Balzac unter Druck und das was heraus kam wurde von einem befreundeten aber unparteiischen Richter vernichtend beurteilt. Trotzdem konnte Balzac eine zweite Chance durchsetzen.

Heraus kamen Romane, das konnte er schon viel besser. Simenon hatte sich seine Gedanken dazu gemacht und kam zu dem Schluss, dass hinter jedem Romancier ein unglückliches Verhältnis zur Mutter stehen müsse:

Außerdem hört man oft, der typische Romancier sei ein Mensch, der seine Mutter nicht geliebt oder Mutterliebe nicht kennengelernt habe. Eine auf den ersten Blick vielleicht billige Behauptung. Aber hätte ein glücklicher, harmonisch in eine Welt nach seinem Maß eingebetteter Mensch je das Bedürfnis, andere Menschen zu schaffen, eine Vielzahl von verschiedensten Personen aus sich herauszuholen? Warum sollte man beharrlich das Leben anderer leben wollen, wenn man sicher und ohne Aufruhr in sich selbst ruht? Und wird die innere Ruhe einem Kind nicht gerade durch die Mutterliebe und seine Liebe zur Mutter vermittelt?

Vielleicht weil man Lust auf Kreativität hat? Vielleicht ja auch weil man den Ruhm sucht und das Potential gerade im Literarischen hat? Vielleicht auch weil man gern Geschichten erzählt?

Antwort Nummer 2 kann übrigens für Balzac gelten, wie man dem Text Simenons entnehmen kann. Die Erklärungen, die Simenon gibt und das habe ich auch irgendwo in einer Biographie gelesen, ich will die Idee also gar nicht mir selbst zueignen, wenn auch zu eigen machen, ist wohl auf sich selbst gemünzt.

Simenon hat nicht viele Texte geschrieben, in der man seinen Humor durchblitzen sah. Bei den Maigrets passiert es hin und wieder, »Maigrets Memoiren« waren ein prächtiges Beispiel dafür. Im Bereiche roman dur geht die Humor-Tendenz gegen null. Als ich diesen Text anfing zu lesen, dachte ich mir, hier lässt es Simenon aber blitzen. Immer wieder sah man ein Augenzwinkern. Leider fing er dann an über Seiten aus den Briefen von Balzac zu zitieren. Warum? Seine eigenen Worte, das Beispiel hatte er anfangs gegeben, hätten den Leser genauso verzaubern können, wie Brief-Zitate Balzacs, die allzuhäufig mit und hier brach der Brief ab endeten.

Ich habe die dreißig Seiten in einem Zug gelesen, kann also, was Balzac-Fragen angeht, gut gewappnet in die nächsten Besserwizzer-Sessions oder was immer da in den nächsten Jahren kommt, gehen. Zusätzlich habe ich mir Appetit auf Balzac geholt. Mehr kann man doch wirklich nicht erwarten.