»Heinz Rühmann löst meinen größten Fall«


In den sechziger und siebziger Jahren waren sie keine Seltenheit: Artikel über Georges Simenon, den Vater von Kommissar Maigret - den man aus dem Fernsehen kannte. So auch der nachfolgende Bericht, bei dem sich auch die Frage stellt, ob Simenon jemals mit dem NEUEN BLATT sprach.

»Wenn ich mich schlecht fühle, wenn meine Haut plötzlich nervös reagiert und mein generelle Gesundheitszustand nicht mehr stimmt, dann muss ich einfach schreiben und mich entleeren wie ein nasser Schwamm, den man auswringt.”« Das sagte Georges Simenon, der Vater von »Kommissar Maigret« zum NEUEN BLATT. Durch seine Krimis und Romane ist der 67jährige Belgier zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller der Welt geworden.

Wie sein Held »Maigret« ist auch der Autor leidenschaftlicher Pfeifenraucher. Dichtet Georges Simenon, bleiben die beiden Türen zu dem kleinen Arbeitszimmer für eine Woche geschlossen. Blauer Pfeifendunst umgibt ihn, er vergisst, dass er sich in seinem Haus in Epalingen (hoch über Lausanne und dem Genfer See) befindet. Georges Simenon ist schlicht in seinem Büro.

Während dieser Periode gibt Simenon auch seine normalen Lebensgewohnheiten auf. Er liest nicht die mindestens sechs internationalen Tageszeitungen, die eine Sekretärin sonst jeden Vormittag gegen elf auf den alten englischen Butlertisch neben dem gemütlichen schwarzen Ledersessel in seinem Arbeitszimmer legt. Er liest keine Zeitschriften, nicht die medizinischen Fachblätter, die sein Hobby sind. Simenon schwimmt auch nicht, wie sonst jeden Morgen, eine halbe Stunde in seinem riesigen Hallenschwimmbad.

Und Simenon macht auch nicht seine ausgedehnten Bummel durch das nahe Lausanne, wo er mit Marktfrauen und Studenten spricht und sich immer wieder für die riesige Anzahl hübscher Mädchen aus aller Herren Länder begeistern kann, die man dort auf den Straßen sieht.

Wenn »Maigrets« geistiger Vater schreibt, beginnt sein Tag um sechs Uhr. Er isst wenig, trinkt nur Kaffee, Tee oder Coca Cola, macht eine lange Mittagspause und geht schon um zehn Uhr zu Bett. So entstehen auch psychologische Romane und die Reihe »Unser kleiner Doktor«.

Den »kleinen Doktor« spielt Heinz Rühmann in einer dreizehnteiligen Fernseh-Serie. Darüber ist Georges Simenon hellauf begeistert.: »Im Film löst Heinz Rühmann meinen größten Fall!« Das war während der Dreharbeiten zu »Maigret und sein größter Fall«. »Damals lernte ich ihn kennen und fand, dass er ein ausgezeichneter Schauspieler ist.«

Wenn die Arbeit, seine freiwillige Klausur vorüber ist, stehen auch die beiden Türen zu Georges Simenons Arbeitszimmer wieder offen wie alle anderen Türen des Hauses, das von außen eher an eine Privatklinik als an das Haus eines Schriftstellers erinnert.

»Ich habe das ganze Haus selber entworfen. Es entspricht genau meinen Vorstellungen vom Wohnen. Ich wollte gerade Linien, weite Perspektiven. Nicht soll den Durchblick drinnen oder nach draußen hindern. Deshalb haben wir auch lauter offene Türen.«

Er gibt auch zu: »Ich weiß nicht einmal, wie viele Zimmer das Haus hat,wie viele Bilder hier hängen und kenne nicht die Anzahl der Bücher. Das einzige, was sich gezählt habe, sind die Telefonanschlüsse. Es sind 21!«

Außerdem weiß er noch, dass in seinem Haus jeden Mittag elf Angestellte, seine Sekretärinnen eingerechnet, zu Tisch erscheinen.

Dafür sind aber seine zweite Frau, eine Kanadierin, und seine vier Kinder oft nicht da: Marc (31), sein Sohn aus erster Ehe, ist mit der französischen Schauspielerin Mylène Demongeot verheiratet und lebt als Fernsehregisseur in Paris. Jean (21), sein ältester Sohn aus zweiter Ehe, lernt im Verlagswesen in Paris, Marie-George (17) nimmt Schauspielunterricht in Paris. Nur Pierre (11), das Nesthäkchen, lebt noch zu Hause.

Er sieht sich auch, im Gegensatz zu seinem Vater, sämtliche »Maigrets« im Schweizer Fernsehen an.

Die Schweiz allerdings wird in George Simenons Romanen nicht vorkommen. »Ich schreibe nur über Dinge, die schon lange zurückliegen und über Orte, in denen ich nicht mehr lebe.«

Erschienen in: Das Neue Blatt
10. April 1971 – Ausgabe 15
Text: Dagmar Mundt
Fotos: Hans Grimm