Erste Gehversuche


Der Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet. So halten es viele Journalisten. Die, die es nicht so damit haben, sollten vielleicht Schriftsteller werden. So wie Georges Simenon, der seine Stärken eindeutig im Fiktionalen sah. Erst nahm er sich die Kurzgeschichte als literarische Form vor, dann den Roman. Erste Gehversuche eines Schriftstellers.

Der Erfolg seiner Kolumnen in der Gazette de Liège ließen Simenon auf seine eigentliche Berufung schauen und das war die Fiktion. Im Mai 1920 erschienen in der Zeitungen Kurzgeschichten von ihm, die allesamt einen satirischen Einschlag hatten. Offenbar war das Echo auf die Geschichten positiv. Zumindest bestärkte ihn die Veröffentlichung der Geschichten darin, einen Roman zu schreiben.

An einem 13. kommt man nicht zur Welt…
War es der 12. oder war es der 13.? Diese Frage wird sich wohl nicht klären lassen. Offiziell ist es der 12. Februar, das ist das Datum, das Désiré Simenon im Standesamt hat eintragen lassen. Der Geborerene, zwar dabei gewesen, aber nicht als Zeuge taugend, gab andere Geschichten zum Besten. 
Schule, warum nicht?
Was hätte aus dem Mann werden können? Er ging auf ein humanistischen Gymnasium und seine Mutter Henriette hatte ihn für das Priester-Beruf vorgesehen. Eine Mädchen-Geschichte sollte dafür sorgen, dass sich Simenons Bildungsweg etwas änderte. 
Meister gesucht!
Was willst'e denn werden? Die Frage dürften auch den jungen Sim genervt haben. Wie schon beim der Gymnasiums-Auswahl war es auch hier die Mutter, die den ersten Beruf für Simenon aussuchte: Nach ihrem Willen würde er als Konditor glücklich werden. Wenn das geworden wäre, hätten wir heute vielleicht eine weltberühmte Tarte Maigret und würden den Kommissar missen. 
Ein Belgier erobert Paris
Sie haben nicht auf ihn gewartet: Jeden Tag kamen an den Bahnhöfen von Paris Menschen an, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollten. Wie Simenon es selbst in seinen Romanen beschrieb, waren es oft Leute aus dem Norden: Polen, Deutsche und halt auch Belgier. Wie Simenon, der am 14. Dezember 1922 in Paris eintraf. 
Der Name Simenon zählt nicht
Als Produzent von Groschenromanen muss man in kurzer Zeit viele Worte aufs Papier bringen. Der eigene Name wird aus dem Geschäft herausgehalten. So müssen Christan Brulls und Georges Sim erst einmal herhalten. 
Unstet
Nimmt man es genau, so schrieb Simenon nur über Orte, die er schon einmal gesehen hat. Was wäre uns entgangen, wenn er nicht so häufig gereist und umgezogen wäre? Auch die dreißiger Jahre verbrachte er recht stets auf der Suche nach einer Heimat. Im Anmarsch: Der Krieg und das erste Kind. 
Im Krieg
Simenon machte um den Krieg einen großen Bogen, schließlich hatte er im ersten Weltkrieg den Einmarsch der Deutschen erlebt. Er kümmerte sich um belgische Flüchtlinge und machte Geschäfte mit deutschen Filmfirmen. Das mochte Geld bringen, aber auch Ungemach... 
Neuanfang
Ein neues Land, neue Gewohnheiten, eine neue Sprache und eine neue Frau. Simenon reist nach und durch Amerika, unstet wie immer, begibt sich in eine ungewisse und komplizierte Beziehung. Am Anfang war natürlich nur Sonnenschein. Simenon zeigt neue, nicht unbedingt positive Seiten. 
Lakeville
Glück ist immer relativ: Simenon sollte auch nach dem Leben auf der Shadow Rock Farm beruflich erfolgreich sein. Was das familiäre Glück jedoch betraf, begannen schwierige Zeiten. Ein Abriss über die letzten wirklich glücklichen Jahre Simenons, Besuche in Europa und den ersten Brüchen. 
Fortsetzung der Krise
Simenon suchte Wege, seine Frau aufzuheitern. Eine Chance sah er in der Rückkehr nach Europa, aber es wurde nicht besser sondern immer schlimmer. So begann sich bedingungslose Liebe in bedingungslosen Hass zu wandeln. Interessanterweise merkte man es den Romanen nicht an. 
Altern im Unglück
Was nützt der berufliche Erfolg, wenn das Privatleben keine Erfüllung bringt: die Frau war Weg, geblieben war nur Hass, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde; die Tochter liebte einen abgöttisch und verursachte damit neue Probleme. Der Maigret-Autor schien irgendwie merkwürdig zu sein. 

Dieser sollte unter dem Namen »Au pont des arches« erscheinen. Es ging um eine Apotheke, die sich darauf spezialisierte hatte, eine Abführmittel für Tauben herzustellen. Ehrlich gesagt: Würde mir heute jemand ein Buch mit dieser Handlung in die Hand drücken und erzählten, er hätte ein Buch mit diesem Thema geschrieben, ich würde ihn für verrückt erklären. Auch damals kam das Thema nicht so gut an. Simenon fand keinen Verleger dafür, dann aber einen Drucker, der bereit war, das Buch zu drucken, wenn Simenon dafür 300 Abnehmer finden würde. Mit seinen Verbindungen quer durch die Stadt fiel ihm das wohl nicht so schwer. »Au pont des arches« enthielt Illustrationen von befreundeten Malern und dürfte heute ganz gut bei EBay gehen.

Angestachelt durch den Erfolg, den er mit seinem Erstling hatte, machte sich Simenon daran, einen weiteren Roman zu schreiben. Dieser wurde wohl geschrieben kam aber nie auf den freien Markt. Simenon hatte den Entwurf seines Romans seinem Vorgesetzten Joseph Demarteau III. in die Hand gedrückt. Der hatte mit seiner Nachsicht, die er gegenüber Simenon hegte, über die Anspielung in dem Erstling hinweg gesehen (und nicht nur das: er war auch Abnehmer des Buches), wollte sich das aber mit dem neuen Buch von Simenon nicht erlauben. Simenon schrieb in »Jehan Pinaguet« über einen Priester, der wegen Ketzerei und Trunksucht entlassen wurde. Das war kein Thema, dass der Star-Journalist einer ultrakatholischen Zeitung veröffentlichen sollte.

Der Fertigstellung bis zum heutigen Tag harrt das Werk »Bouton de col«, das Simenon zusammen mit seinem Freund H.J. Moers schrieb. Dabei handelte es sich um eine Parodie auf Detektivgeschichten im Stile von Doyles Sherlock Holmes-Geschichten.

Dann kam mal was ganz Neues, und Henriette Simenon zuckte zusammen, als die das Ergebnis sah bzw. las und meinte, sie müsste sich dafür schämen. Ein rumänischer Investor kam in die Stadt und hatte Geld in den Taschen, um eine neue Zeitschrift auf den Markt zu bringen. Ein Freund von Simenon, Ferdinand Deblauwe, trat an den Gazette-Journalisten heran und fragte, ob er nicht für die neue Zeitschrift namens Nanesse schreiben möchte. Er würde doppelt soviel verdienen wie bei der altehrwürdigen Zeitung. Simenon war Feuer und Flamme. In der Zeitschrift sollten alte Rechnungen, unter anderem die des rumänischen Investors beglichen werden, und Simenon machte sich gleich frohgemut ans Werk. Der Erfolg der Zeitschrift in Lüttich war überragend. Allerdings mochten nicht alle die Artikel über sich lesen. Wieder trat Demarteau III. auf den Plan und bat seinen Angestellten, sich zurückzuziehen. Ein weiser Rat, denn der Investor zog sich alsbald zurück, seine Ziele hatte er mit der Zeitschrift wohl erreicht; und die Zeitschrift entwickelte sich zu einer Erpresser-Zeitschrift. Marnham stellt dazu fest, dass es wohl die einzige Zeitschrift in Europa und Amerika war, die es schaffte, zwei Chefredakteure zu haben, die später wegen Mordes verurteilt wurden.

Demarteau brachte Simenon also auf den rechten Weg. Aber es gab noch jemand, der etwas mehr Struktur in das Leben des jungen Simenons brachte: Am Silvesterabend des Jahres 1920 fiel er im Haus eines Freundes Régine Renchon vor die Füße. Und damit seiner späteren Frau.

Simeon mochte mit dem Namen Régine nicht leben und benannte seine Freundin um: Tigy war der Name, den er ihr verpasste, und mit dem sie bekannt wurde. Sie war Malerin, war drei Jahre älter und einiges mehr reifer als Simenon. Tigy war der festen Überzeugung, dass sie die erste Liebe Simenons gewesen wäre. Simenon schildert dies distanzierter:

War es die erste Liebe? Ich glaube nicht. Ich glaube nicht einmal, dass ich wirklich in sie verliebt war, und ich bin mir dessen fast sicher. Es war kein Gefühl des Verliebtseins, aber ich suchte ihre Gesellschaft.

Andererseits beschreibt Simenon an anderer Stelle, wie er mit steifgefrorenen Fingern jeden Morgen Liebesbriefe an Tigy schrieb. Wozu denn diese Mühe, wenn da nicht eine gewisse Verliebtheit gewesen wäre.

Eine Bekannte aus Simenons Umgebung, Andrée Piéteur, die zu dem Künstlerkreis gehörte, stellte nach Simenons fest, dass Simenon nie an ernsthaften Mädchen interessiert gewesen sein. Er holte sich seine Befriedigung bei Huren. Insofern war die Beziehung zu Tigy eine Zäsur, denn jetzt hatte er jemanden an seiner Seite, den er mochte und mit dem er Pläne schmiedete. Und sie hatten alsbald konkrete Pläne und galten inoffiziell als verlobt. Der Status sollte sich recht schnell ändern, denn der Vater von Régine entdeckte recht eindeutige Briefe und stellte Simenon zur Rede.

In der Planung des gemeinsamen Lebens war man so verblieben, dass Simenon sich zuerst um den Broterwerb kümmern sollte und Régine, die mit ihrer Ausstellung schon einen größeren Erfolg vorzuweisen hatte, sich um ihre Karriere als Malerin kümmern sollte. Kinder waren nicht geplant, aber der Ort der Karriere stand schon fest: In Lüttich konnten die beiden nichts werden und sie wollten nicht in der Provinz versauern. Paris sollte es werden.

Und geheiratet sollte erst werden, wenn Simenon in Paris eigenes Geld verdient hätte, um Tigy versorgen zu können. Da wurden Nägel mit Köpfen gemacht. So mancher ist der Meinung, dass Tigy eine Rettung für Simenon war: Sie brachte ihn auf den rechten Weg, hielt ihn von zu massivem Alkoholgenuss ab und von Drogen fern.

Simenon hatte schon alles fix gemacht, um seinen Fortgang nach Paris beschleunigen zu können. So hatte er beantragt, seinen Militärdienst eher ableisten zu dürfen.

Am 28. November 1921 hatte sich Simenon einen schönen Tag in Antwerpen gemacht. Schön hieß für den Journalisten: Er hatte ein wenig gearbeitet und sich dann mit einem Vetter in einem Stundenhotel amüsiert. Ernsthaftigkeit in seinern Planungen war das eine, das hieß allerdings nicht, dass Tigy Simenon von seinen sexuellen Vorlieben abgebracht hätte. Bei seiner Rückkehr nach Lüttich erwarteten ihn am Bahnhof Tigy und ihr Vater: Sie mussten dem Rückkehrenden mitteilen, dass sein Vater im Büro gestorben wäre.

Was nun folgte war gänzlich unerfreulich. Im Hause Simenon war kaum Bargeld vorhanden, die Finanzierung der Beerdigung stand auf wackligen Füßen. Georges Simenon fragte bei wohlhabenden Verwandten an, ob sie ihm Geld für die Beerdigung leihen würden. Er bekam eine dreifache Abfuhr und wandte sich schließlich an Demarteau, seinen Arbeitgeber, und einmal mehr half er ihm aus der Patsche.

Nun ist es gemeinerweise so, dass man nie weiß, was aus den Kindern wird. Weder die Eltern noch die Onkel und Tanten können abschätzen, ob sie es mit einem Versager oder mit einem Gewinner zu tun haben - wenn man in diesen Kategorien denkt. Insofern kann man den Verwandten, bei denen sich Simenon eine Abfuhr holte, nicht Vorwurf machen, sie hätten nicht genügend Weitblick aufgewiesen. Wer konnte denn damals ahnen, dass über den Jungen Biographien geschrieben würden und Webseiten existieren würden? Geschweige denn davon, dass der Junge das Thema immer wieder in seinen eigenen Büchern aufs Tablett bringen würde? Hätten sie sich allerdings anständig verhalten, so müsste man nicht heute noch mit dem Kopf schütteln…

Der Tod seines Vaters, so wenig unerwartet er kam, nahm Simenon sehr mit. Das ließ ihn aber nicht seinen klaren Kopf verlieren. Um einer Bevormundung seiner Mutter auszuweichen (Stichwort: Volljährigkeit mit 21) ging er zum Standesamt und ließ sich seine Mündigkeit bestätigen. Nun war er sein eigener Herr und konnte sein »Eigener-Herr-sein«-Gehabe aber gleich wieder abgeben, denn er trat kurz nach der Beerdigung seinen Militärdienst an.

Er kam zuerst nach Deutschland, zu den dortigen belgischen Besatzungstruppen. Dies verdankte er seinem Können im Motorradfahren, schließlich hatte er über Motorräder für seine Zeitung berichtet. Von dort aus schickte er auch weiterhin Berichte an seine Zeitung. Die Entfernung von zu Hause war aber lästig und hinderlich und so reichte Simenon ein Versetzungsgesuch ein, denn schließlich wäre gerade sein Vater gestorben und er müsste sich um seine Mutter kümmern. Diesem Gesuch gab man nach und alsbald konnte Simenon auch wieder Kolumnen als Mr. de Coq unterschreiben.

Am 4. Dezember 1922 endete Simenons Militärzeit.