Carissimo Simenon


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Manche Begegnungen sind wirklich schicksalhaft - die zwischen Simenon und Fellini gehörte vielleicht mit dazu: Der eine brachte dem anderen einen bedeutenden Preis, der andere revanchierte sich dafür, in dem er die Verbindung zu einem bedeutenden deutschsprachigen Verlag herstellte. Und sie wurden Freunde.

1960 trug sich in Cannes etwas Ungeheuerliches zu. Die Jury, dazu angehalten die Löwen nach politischen und finanziellem Proporz zu vergeben, verweigerte sich diesem Trend, ignorierte die Vorschlagsliste des Außenministeriums und kürte La dolce vita zum besten Film des Festivals. An der Spitze der Jury stand Georges Simenon, der sich jahrelang gegen diesen Posten, der ihm immer und immer wieder angetragen wurde, gesträubt hatte; er war es auch, der den Film von Federico Fellini als Festivalgewinner durchsetzte.

Einem Film, den das Filmgewerbe zu ignorieren versuchte. Nun, man kann nicht alles haben: entweder eine Liste oder einen berühmten Festivalchef! 1960 war das Jahr, in dem die Freundschaft zwischen Federico Fellini und Georges Simenon begann. Anfangs zaghaft in Briefen, später durch persönlichen Kontakt. Immer wieder zogen sich die Beiden einander an – kommentierten das Werk des anderen in den Medien oder wurden zu Vermarktungszwecken herangezogen. Fellini war das immer peinlich, aber aus den Briefen von Simenon geht hervor, dass er es immer gern getan hat.

Fellini schrieb seine Briefe, bis auf wenige Ausnahmen, immer in italienisch; Simenon korrespondierte auf französisch. Ein Großteil, gerade der frühen Briefe und Telegramme, wirken belanglos und haben nur für die beiden Künstler eine Bedeutung gehabt – das gegenseitige Hochloben interessiert den Leser weniger; wirkt an manchen Stellen auch peinlich. Das ändert sich mit den Jahren. Immer häufiger berichtet Fellini detailliert über sein Schaffen. Zum Beispiel über die Dreharbeiten zu La città delle donne (dt. Fellinis Stadt der Frauen): er hatte sich lange gegen den Film gewehrt, wollte nicht. Nun, wo er ihn drehte, schien sich alles gegen ihn zu verschwören – Streiks, der Tod seines Filmmusik-Komponisten (eines guten Freundes) und zu guter Letzt zum Ende des Film, beginn der zweite Hauptdarsteller des Film, Ettore Manni, auch noch Selbstmord (erster Hauptdarsteller war, keine Überraschung Marcello Mastroianni).

Simenon ermutigt in seinen Briefen Fellini durchaus einmal ins Ausland zu wechseln, aber der Regisseur hängt an seiner Heimat und hat diesen Schritt nicht ernsthaft gewagt; Simenon bestärkt ihn, zu arbeiten, gibt dem Italiener mit auf dem Weg, dass die Leere eines so großen Künstlers keine Leere sein, sondern nur die Vorbereitung auf das Kommende, bestärkt ihn, wo er nur kann. Manchmal wirken die Briefe des Schriftstellers väterlich. Vielleicht hat Fellini das zu schätzen gewusst.

Dazwischen steht der Diogenes-Gründer Keel, der die beiden immer wieder in Verbindung bringt, dafür sorgt, dass Simenon die Werke Fellinis begutachten kann, denn das Werk Fellinis erscheint ebenfalls im Diogenes-Verlag, und Simenon wusste die Bücher von Fellini sehr zu schätzen. Auf der anderen Seite war Fellini von jeher, wie er selber behauptete, Simenon-Anhänger und las und las und las seine Simenons.

Aus Lausanne war dann zu hören, wie es Simenon erging – was seine Diktate machen, wie er sich mit den »Intime Memoiren und das Buch von Marie-Jo« quälte. Da ist zu erfahren, dass er seine Werke mit der Schreibmaschine zu schreiben pflegte; für die persönlichen Erinnerungen auf das Diktiergerät umschwenkte und nun dieses, im Deutschen immerhin über 1000 Seiten starke Buch, handschriftlich zu Papier brachte.

Das Buch wurde von Claude Gauteur und Silvia Sager herausgegeben; Claude Gauteur schrieb ein ausführliches Vorwort zu dem Briefwechsel; beschreibt die Begegnung zwischen Simenon und Fellini. Des weiteren enthält der Band ein Interview zwischen Fellini und Simenon, welches zum Start von Fellinis »Casanova« für die Zeitschrift L’Express geführt wurde. Eben dieses Gespräch enthält die bekannte Erinnerung Simenons, dass er ...

... ein größerer Casanova gewesen [ist] als Sie! Ich habe vor ein oder zwei Jahren einmal nachgerechnet. Ich habe, seit ich dreizehneinhalb war, 10 000 Frauen gehabt. und das war gar kein Laster. Ich bin sexuell nicht lasterhaft, sondern ich hatte das Bedürfnis zu kommunizieren.

Fellini, so hat man den Eindruck, war ziemlich sprachlos.