Über die Story

Jules Malétras war ein bedeutender und angesehener Bürger von Le Havre, ein Neureicher, gewiss. Aber schließlich war niemand perfekt. Man konnte auf dem Gesicht des Mannes, der sich aus einer ärmlichen Umgebung nach oben gekämpft hat, nicht ansehen, was er denkt. Malétras war kein Mann, der seiner Freunde im Gesicht Ausdruck verlieh. Er hatte erfolgreich eine Firma geführt, seine eigene Gründung nach ganz oben gebracht. Das war ihm nicht gelungen, weil er mit den Leuten, vor allem den Angestellten, freundlich umgegangen wäre. Dann hatte er die Firma verkauft und war einfach nur noch reich. Einem Mann, der sein Lebtag gearbeitet, als erster in der Firma war (um mit regungsloser Mine auf die Uhr zu schauen, wenn ein Angestellter zu Uhr kam, und dann wortlos sich umzudrehen und zu gehen), und die Firma selbstverständlich auch als Letzter verließ, der konnte nicht ohne Arbeit sein. Als es einem bekannten Fischverkäufer schlecht ging, brachte er mit einer Finanzspritze den Laden wieder auf Vordermann und stieg mit in die Geschäfte ein. So kontrollierte er den ehemaligen Selbständigen jetzt und sorgte dafür, dass der Laden lief.

Daneben hatte er sich vor kurzer Zeit ein kleines Hobby zugelegt, welches er abseits des heimischen Herdes führte. Lulu hieß sie und wunderte sich, dass der Mann, den sie sich angelacht hatte, der sie mit kleinen (wenig wertvollen Geschenken verwöhnte), ziemlich wenig sexuelles Interesse an ihr hatte. Vielmehr war er an ihrer Gesellschaft interessiert, hörte ihr zu und spielte Karten mit ihr und Joseph, zu dem es später noch etwas zu erzählen gibt.

Eigentlich war er für seine Verhältnisse glücklich, so wie es war. Er hatte ein schönes Haus, war in zweiter Ehe mit einer Frau verheiratet, die er als Freundin bezeichnen konnte, hatte eine kleine Firma, für die er Verantwortung trug, musste sich um nichts, aber auch gar nichts sorgen und hatte auch noch eine Geliebte. Die Welt hätte für Malétras wirklich nicht besser sein können.

Dann kam der Tag, an dem Lulu herausbekam, mit wem sie es zu tun hatte. Sie tobte. Malétras konnte verstehen, dass sie es als ungerecht empfand, dass er sie mit kleinen Geschenken und Aufmerksamkeiten abspeiste. Aber er hatte ihr Verhältnis, so wie es war (sie hielt ihn wohl für ein kleinen Buchhalter), gemocht. Jetzt stellte sie Forderungen. Sie wollte – mitten im Mai – einen Pelzmantel. Den verweigerte er ihr nicht, er machte ging mit ihr auch in Restaurants, die sie früher nicht gemeinsam aufsuchten, aber die Beziehung verlor für Malétras ihren Reiz und die Unschuld. Ob er schon mit dem Gedanken gespielt hatte, die Beziehung auf konventionelle Weise zu beenden. Einfach zu Lulu zu gehen, ihr etwas Geld zu geben und zu sagen: »Au revoir, das war es jetzt. Ich möchte nichts mehr mit Dir zu tun haben.«? Lulu wäre sicher enttäuscht gewesen, wenn die Aufstiegschance, die sie noch nie vorher gehabt hatte, einfach so verschwand. Aber so war das Leben, irgendwann hätte sie sich damit abgefunden.

Ob bewusst oder unbewusst, Malétras wählte eine andere Weg. In einem Anfall von Wut bringt er seine Geliebte um, nachdem sie sich ihm verweigert hatte. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn Malétras war meistens völlig desinteressiert was diese Spielchen anging. Nun hatte sie ihn an diesem Tage aber wirklich gereizt. Erst musste er in ein Restaurant mit ihr gehen, wo er sich eigentlich mit ihr gar nicht blicken lassen wollte. Zu allem Unglück trafen sie in diesem Etablissement auch noch den Schwiegersohn Malétras, der sich in Le Havre von seinem ehelichen Leben zu erholen schien und dann war Lulu noch der Meinung, sie müsste mit dem Schwiegersohn ihres Liebhabers eine Spritztour durch die Gegend machen. Man kann schon verstehen, dass Malétras an dem Abend etwas gallig gewesen war und, wie heißt es schon, überreagierte.

Hilfe bekam der alte Mann von einer Seite, von der er es nicht erwartet hatte. Joseph war ein Freund von Lulu. Der Stewart hatte sicher auch den Status eines Liebhabers. Der junge Mann bot sich an, die Leiche der jungen Frau zu bearbeiten. Neunzehn ist kein Alter, um zu sterben, aber Joseph plagten keine Zweifel daran, dass man das Verbrechen ungeschehen machen konnte. Er verlangte von Malétras keinerlei Gegenleistung, im höchsten Fall die Erstattung gewisser Kosten. Dazu war Malétras nur allzugern bereit, auch wenn er Zweifel hatte. Durch diese Angelegenheit hatte er sich in die Hände eines Mannes gewesen, dessen moralischen Werte er nur gern in Zweifel zog. Allerdings, und das musste sich der Mann eingestehen, war er es gewesen, der Lulu umgebracht hatte und nicht Joseph.

Bald meldete sich Joseph und meinte, er bräuchte ein wenig Geld, denn er müsste den Eltern von Lulu Karten und Briefe schreiben lassen, in denen vorgegaukelt wird, sie würde sich auf eine längere Reise begeben. Jules Malétras glaubte zu verstehen, und holte viel Geld von der Bank (was nicht ganz leicht war, da seine Frau die Finanzen zu überwachen pflegte – da brauchte er eine plausible Erklärung). Aber Joseph, und das war eine große Überraschung, wollte wirklich nur seine Auslagen gedeckt sehen. Eine Reise nach Paris, eine Reise nach Nizza und dann die Heimkehr nach Le Havre. (Vermutlich hätte es Malétras viel lieber gesehen, wenn Joseph auf immer verschwunden wäre.)

Der Mörder (oder meinetwegen auch Totschläger) hatte nicht viel Mitleid mit Lulu. Hin und wieder kamen die Gedanken an die junge Frau hoch, aber er sagte sich auch oft, dass es ihre eigene Schuld gewesen wäre. Schließlich ist nicht er, Malétras, mit dem Wagen des Schwiegersohns mitgefahren und er nahm an, dass ein Schwerenöter wie sein Schwiegersohn es auch geschafft hatte, Lulu zu einer kleinen Nummer zu überreden. Selber schuld, war sein Fazit, allerdings fehlte ihm die Umgebung der jungen Frau schon.

Mörder bei Simenon haben ein enormes Mitteilungsbedürfnis: auch Malétras geht durch die Straßen, unterhält sich mit Leuten und es drängt ihn zu sagen: »Hören Sie mal, ich habe da neulich eine junge Frau umgebracht. Das ist nicht angenehm, anschließend mit dem Gedanken durch die Gegend zu rennen, aber das Töten selbst, ein Kinderspiel. Müssen Sie mal ausprobieren.« Für mich ist dieses Mitteilungsbedürfnis völlig unverständlich. Tut man nicht alles, um zu vermeiden, dass man gefasst wird. Bei Simenon tun es die Mörder nicht unbedingt, irgendetwas drängt sie, sich mitzuteilen. Die Schuld? Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass der Gedanke jemanden getötet zu haben, schlaflose Nächte bereiten würde und dabei ist es völlig belanglos, ob dieses nun in voller Absicht geschah oder durch eine Fahrlässigkeit (und seien wir mal ehrlich: wie häufig waren wir nahe dran, einen Unfall zu bauen, weil wir mal kurz nicht aufgepasst haben). Der Mord hat natürlich auch bei Malétras Spuren hinterlassen. Er verändert sich und seine Umgebung bekommt es mit. Seine Frau ist sehr beunruhigt durch das Verhalten ihres Mannes, findet aber keine Erklärung.

Allerdings hat sie eine treue Seele von Köchin, die Jules Malétras auf den Tod nicht ausstehen kann und die erzählt ihrer Herrin interessante Geschichten. Die Gefahr, dass Malétras auffliegt besteht nicht, aber sein Leben sollte sich noch weiter verändern.