Über die Story

Schon nach wenigen Seiten wird klar, was für eine Kurzerzählung für diesen Roman Pate gestanden hat. Ein Thema in einer Kurzerzählung auszuprobieren, entspricht nicht nur Simenons Arbeitsweise. Mir ist bei Graham Greene aufgefallen, dass diese Methode praktizierte. Simenon hat zumindest ein Thema zweimal bearbeitet, bevor ein Roman herauskam. Aus »Selig sind die Sanftmütigen« und »Der kleine Schneider und der Hutmacher« wurde letztendlich »Die Fantome des Hutmachers«. Auch für diesen Titel finden sich Parallelen im Simenon-Universum. Große Teile der Story sind dem Maigret-Roman »Maigret und Stan der Killer« entnommen, teilweise mit den gleichen Personen. Alte Bekannte treffen wir auch wieder: ein Kommissar Lognon ermittelt und Janvier ist ebenfalls dabei - beides Figuren aus der Maigret-Welt. Von Lognon, wenn es denn der Gleiche ist, wird ein ganz anderes Bild gezeichnet, oder um es etwas präziser auszudrücken, es wird überhaupt gar kein Bild gezeichnet. Der Mann macht seinen Job, das professionell, und hat keinerlei Privatleben oder -gefühle die in dieser Geschichte zu Tage treten.

Selbst der Name Stan bleibt uns erhalten, wenn auch nicht als Killer, wie in der gleichnamigen Maigret-Erzählung, sondern als völlig verzweifelter Mensch. Wenn ein Wort zutreffend ist, dann ist es sicher »gestrandet«. Stan ist mit seiner Freundin in Paris gestrandet. Er kam aus Wilna und hatte sich dort einen kleinen Spaß erlaubt. Dieser Spaß sorgte dafür, dass sein Vater den Job verlor und sich sehen konnte, wie er sich durchschlug und er nötigte Stan, die Heimat zu verlassen. Dabei war der junge Mann noch nicht einmal der Täter - aber damals wie heute gilt die Losung: mitgehangen, mitgefangen. Stan ging nach Amerika, konnte sich dort als Assistent eines Arztes verdingen, der sein Geld mit Abtreibungen verdiente. Irgendwann bekam er mehr Appetit und dabei die dumme Idee, dass sich sein Chef vielleicht erpressen ließe. Der reagierte prompt und griff zu einem Mittel, welches drastisch war: er setzte Mafia-Killer auf Stan an. Wir wissen bereits aus »Die Brüder Rico«, dass sich diese Kollegen keinerlei Spaß verstehen. Absetzen hieß jetzt das Stichwort und so landete Stan mit seiner Freundin, die ungarischen Ursprungs war, in Paris.

Hier hatte er keinerlei Glück. Es gab keine Arbeitserlaubnis für ihn, nein, schlimmer noch. Er bekam einen Ausweisungsbescheid und wurde zu Grenze verfrachtet. Seine sofortige Wieder-Einreise war indes nicht von den französischen Behörden vorgesehen. Aber er sah die Entscheidung des Staates bezüglich seiner Ausweisung auch nicht als freundlichen Akt an. Ohne Arbeit, so sein Dilemma, hatte er keine Gelegenheit Geld zu verdienen.

Das ist die Ausgangssituation, in die der Leser gestoßen wird, wenn er anfängt zu lesen. Das Paar irrt durch die Stadt, auf der Suche nach einer Bleibe. Sie versuchen bei einem Freund unterzukommen, der lässt sie aber nicht hinein. Die Vermutung, dass er daheim ist, aber keine Lust hat, Gäste aufzunehmen, kommt den beiden auch. Die Erkenntnis macht die beiden nicht fröhlicher. Sie irren durch die Stadt, essen irgendwo günstig zwei Eier und werden gewahr, dass sie immer weniger Geld haben. Stan schickt seine Freundin in ein Hotel und verspricht, Geld zu besorgen.

Legal war das nicht möglich - allein für Verbrechen brauch man keine Arbeitsgenehmigung. Ärgerlich, dass mit Verbrechen eine Menge Unannehmlichkeiten verbunden sind: zum einen muss man erst einmal ein Opfer haben. Wenn man eines hat, und das Folgende kommt wertfrei, freut man sich als Verbrecher schon, wenn der Profit des Verbrechens auch stimmt. Das Sahnehäubchen ist ohne Zweifel, wenn man dann von der Polizei nicht erwischt wird, und die Früchte des Verbrechens genießen kann. Hat man mit seiner Methode Erfolg, steht einer soliden Verbrecherkarriere überhaupt nichts mehr im Weg.

Eine solche Methode hat zum Beispiel eine Gruppe von Polen gewählt. Sie sucht sich alle paar Monate ein einsames Bauerngehöft auf und überfällt dieses zu viert oder fünft. Diese Überfälle enden meist blutig und mit vielen Opfern. Diese Bande kennt kein Erbarmen, die Bevölkerung (und nicht nur die) hat den Eindruck, dass der Bande das Töten von Menschen Spaß macht. Die Ausbeute war meist erkläglich, dass dann Ruhe eingekehrte.

Die Verbrecherkarriere von Stan endete abrupt. Der Taxifahrer, den er sich als Opfer ausgesucht hat, steckte den Anschlag locker weg und fing dann an, Stan zu verprügeln. Demütigender kann es eigentlich nicht kommen, aber falsch: der Taxifahrer zwingt im Anschluss Stan dazu, den Reifen am Auto zu wechseln. Man liest es und denkt sich, »das kannst Du vergessen, Stan. So wird das nie was.« In seiner Verzweiflung hat Stan noch eine Idee - die auf den ersten Blick einen gewissen Charme besitzt. Ohne Geld geht er in ein Restaurant, lässt sich ordentlich bedienen, ruft den Polizisten an, der ihn an die Grenze gebracht hat, um die Ausweisung zu vollziehen und erzählt ihm, dass er wertvolle Informationen hat.

Die hat er auch, denn er weiß, was es mit der polnischen Killerbande auf sich hat. Aber Stan ist zu ungeschickt, um daraus Nutzen zu ziehen. Vielmehr sieht er sich plötzlich zwischen den Fronten: Die Polizei tut so, als würde sie ihm nicht glauben, geschweige denn helfen; und die Bande hat Wind von Stans Vorhaben bekommen und bemüht sich zu dem jungen Mann.