Agence O: Wie es begann

Es gibt Erzählungen, die sind sehr selten zu finden. Auf der Maigret-Seite zählen da sicher »Morddrohungen« und »Die Todesstrafe« zu, unter den Non-Maigrets darf man als deutschsprachige Seltenheit »Der Mann hinter dem Spiegel« zählen. Die Erzählung ist Teil der Agence O-Reihe, und erschien 1988 zum ersten Mal in deutscher Sprache (bei Ullstein). Danach wurde sie nicht wieder gesehen – bis der Kampa-Verlag 2020 einen ersten Band mit Erzählungen aus der Privatdetektei veröffentlichte.

Mit dieser Erzählung wird der Zyklus eröffnet. 

Torrence hatte die Kriminalpolizei verlassen und arbeitete nun in einer Detektei, die nichts anderes ist als die größte, beste, schönste, erfolgreiche Detektivagentur … der Welt. Natürlich! Das Bild, dass er dabei abgibt, ist ein wenig ambivalent. Torrence hat so seine Momente, keine Frage, sonst wäre er bei der Agentur nicht eingestellt worden. Andererseits wirkt er leicht trottelig, denn mit Émile kann er nicht mithalten. Dieser Émile gibt sich als Fotograf der Agentur aus, ist aber der Mastermind hinter allen Aktivitäten. Ihm gehört die Agentur auch.

Betrachtet man die Begriffsstutzigkeit, mit der Torrence in den Erzählungen agiert, seine Behäbigkeit, fragt man sich unwillkürlich, ob sich Simenon nicht ein wenig über Maigret lustig macht: Hat sich der Kommissar in seiner Zeit wirklich mit einem Inspektor umgeben, der so begriffsstutzig ist? In den Romanen machte er nicht unbedingt den Eindruck.

In dieser ersten Erzählung wird auf die Verbindungen zum Quad des Orfèvres in meinen Augen marginal eingegangen, das soll sich im Laufe des Zyklus noch vertiefen.

Im Büro

Torrence wurde mit einer neuen Klientin konfrontiert, die ihm die Geschichte ihres Vaters erzählte, der gleich eintreffen würde, sie müsste aber auf jeden Fall – so wäre es mit dem Vater verabredet – ein paar Dokumente im Tresor der Agentur unterbringen. Der Detektiv willigte ein.

Das Geschehen im Büro wurde von einem zweiten Mann beobachtet, der im Hintergrund anfing Erkundigungen einzuziehen. So schlug er im Telefonbuch die genannten Namen nach, um die Angaben der Frau zu überprüfen und rief Torrence an, um ihn bestimmte Fragen stellen zu lassen. Der gute alte Torrence war, um es vornehm auszudrücken, sehr zurückhaltend mit seinen Fragen, vielleicht wusste er auch nicht, welches die richtigen Fragen waren. 

Auf jeden Fall, das ist Fakt und wurde von dem Mann hinter dem Spiegel auch beobachtet, ließ sich Torrence ein Taschentuch entwenden. Das war nun kein dreckiges Taschentuch, welches Torrence benutzt hatte, sondern ein Beweisstück, dass die Privatdetektive an einem Tatort gefunden hatten. In dem Fall ging es um einen Fall schweren Raubes – und mit diesem Taschentuch hatten die Detektive ihr einziges Beweisstück verloren. Noch am Morgen hatten sie dieses Beweisstück an der Polizei vorbei gesichert, und nun hatte sich Torrence überrumpeln lassen, als die junge Frau einen Ohnmachtsanfall vortäuschte. Das war schon sehr ärgerlich.

Der Mastermind

Emile, der wahre Geist der Agentur, wirkte (oder war) sehr schüchtern. Er hatte sich entschieden den tollpatschigen Torrence den Vortritt zu lassen und gezielt die Mär verbreitet, dass der etwas kopulente ehemalige Polizist und Mitarbeiter Maigrets, das Hirn der Agentur sei. 

Aber während Torrence noch versuchte, zu begreifen, was im Büro eigentlich genau passiert war, hatte Émile Entscheidungen getroffen und die Mitarbeiter organisiert. Wenn man es genau nimmt: Den einen anderen Mitarbeiter.

Eine Verfolgung, wie man sie aus »Der Mann auf der Straße« kennt, wurde in Gang gesetzt. Denn die junge Frau hatte vielleicht eine Spur beseitigt, dabei aber übersehen, dass sie selbst auch eine Spur war.

Die Detektive hatten zwei Ziele: Sie wollten die Juwelen wiederbeschaffen und die Täter dingfest machen. Das Geld verdiente die Agentur in diesem Fall wird mit der Wiederbeschaffung des Schmucks – daran hatte eine Versicherungsgesellschaft großes Interesse. Die Täter auch noch dingfest zu machen, dass war für die Versicherung zweitrangig. 

Klar, dass die Juwelendiebe daran weniger Interesse hatten.

Der Beginn einer kurzen Liebe

Die Geschichte erinnert an den kleinen Doktor. Die meisten Maigret-Geschichten nehmen sich schon ernst. Es gibt Anflüge von Humor, aber er steht nicht im Hintergrund. Hier spürt man das ständige Augenzwinkern mit Simenons. Die Zahl der Geschichten ist überschaubar und es ist ein wenig schade, dass Simenon in späteren Jahren, diese hier entwickelten Ideen – eine Verknüpfung von bekannten und unbekannten Charakteren mit dem Maigret-Universum – nicht hin und wieder aufgriff. Er wäre damit ein Vorreiter gewesen, denn heute ist das gang und gäbe.