Der Autounfall

»Der Kahn mit den beiden Erhängten« und »Das Wirtshaus zu den Ertrunkenen« – das sind so zwei Erzählungen von Simenon, die einen erschaudern lassen. Aber keine Angst: Obwohl die Titel an Schaudergeschichten von E.A. Poe oder E. Wallace erinnern, handelt es sich um klassische Maigret-Erzählungen, die so gar nichts Gruseliges an sich haben. 

Vielleicht am Anfang für Maigret. Der war in Nemours, weil er einen Gendarmeriehauptmann bei einem Fall unterstützte. Das war so überhaupt nicht kompliziert und entspannend. Zumal dieser Gendarm ein guter Gastgeber war und den Pariser Gast vorzüglich bediente. Er bot dem Kommissar einen Platz zum Schlafen, was dieser annahm. Der nächste Morgen begann mit einem Anruf für den Kleinstadt-Polizisten. War es nun Höflichkeit, war es Bequemlichkeit – Maigrets Gastgeber ließ es sich nicht nehmen, den Kommissar zur Besichtigung einer Unfallstelle einzuladen.

Ein Auto war in die Loing geraten, nachdem es von einem LKW gerammt worden war. Das Wetter war ja auch nicht gut und wenn es ungünstig stand, in einer Kurve, vielleicht noch unbeleuchtet – so passieren Unfälle und deshalb stellen wir heute auch gern Warndreiecke auf, um uns vor solchen Katastrophen zu schützen. Der Lastwagenfahrer stieg aus und meinte Schreie zu hören. Ein Schiffer kam und sie stocherten im Wasser nach Ertrinkenden. Aber sie fanden niemand und konnten niemand retten. 

Der Trucker stieg in sein Fahrzeug und fuhr nach Montargis, um den Unfall zu melden. Dort informierte man die Gendarmerie in Nemours, denn die war zuständig, und als der Wachhabende der Meinung war, es wäre spät genug, um den Kommandanten zu wecken, da tat er das.

Warum sollte sich aber Maigret für einen solchen Unfall – so tragisch er sein mochte – interessieren? Das hätte er auch gern gewusst. An der Sache war erst einmal nichts, was ihn interessieren konnte. Aber seinem Gastgeber zuliebe machte er sich auf den Weg zu dem Unfallort. Die Taucher waren bei seiner Ankunft dort dabei, den Wagen aus dem Wasser zu hieven.

Ein Cabrio war es, also konnten die Leichen gut und gern Kilometer weitergetrieben worden sein. Aber ein neugieriger Typ fingerte am Kofferraum des Fahrzeugs herum. Plopp, war er offen und – Überraschung – dort lag die Leiche einer Frau. 

Das soll so nicht sein

Der Hauptmann aus Nemours war nun heilfroh, dass er am Vorabend so spendabel gewesen war. Nur dadurch hatte er den richtigen Mann am Ort und Maigret lässt sich nicht zweimal bitten. Schnell ist das Einverständnis der Sûreté eingeholt, dass er den Fall bearbeiten durfte.

In der Nähe der Unfallstelle gab es ein Wirtshaus. Dorthin verlagert sich alsbald das Geschehen, denn in dieser herbstlichen Geschichte war es draußen sehr ungemütlich. Das Wirtshaus wird nur im Volksmund so genannt, wie es der Geschichtentitel suggeriert. Der eigentliche Name spielt mehr auf die Klientel an, die man an der Stelle zu bedienen gedachte: »Auberge des Pêcheurs«.

Maigret hatte fast das Gefühl, dass sich der Wirt des Gasthauses aufdrängeln würde. Zugegebenermaßen hatte der Mann aber zwei wichtige Informationen: Der Lastwagenfahrer war an dem Abend zuvor nicht bei ihm gewesen und hatte so auch nicht mit der Gendarmerie telefoniert. Außerdem kannte er das Auto, welches aus dem Fluss geholt worden war, sehr gut. Es gehörte Gästen von ihm, die am Abend zuvor verschwunden waren. Es handelte sich um ein junges Paar, das offenbar sehr verliebt gewesen war.

Ansonsten hatte das Gasthaus nicht ganz so viel zu bieten: Die Speisen waren schlichter Natur und schmeckten dem Kommissar nicht recht.

Der Kommissar sammelte die Fakten, empfing ein paar Zeugen und machte sich dann daran, eine Rekonstruktion zu starten – um zu sehen, was nicht so war, wie es sein sollte.

Mittelkurz

Manche Maigret-Erzählung ist derart kurz, dass sie kaum, dass sie angefangen haben, sie schon zu Ende sind. So ist das bei der Ertrunkenen-Wirtshaus-Geschichte nicht. Ich würde sie als mittellang bezeichnen.

Die Handlung spielt in Montargis und Nemours beziehungsweise am Flusslauf der Loing zwischen den beiden Städtchen. Der Kommissar hat in der Geschichte nicht die beste Laune. Die Gründe dafür sind zahlreich: das Revier, das Essen, die Lügen und Dummheit. Für den Leser ist es unterhaltsam und da, wie zuvor erwähnt, kein Horror zu erwarten ist, lässt sich die Geschichte gut an einem Abend weglesen.