Über die Story

Es beginnt eigentlich recht hoffnungsvoll, aber der Titel sollte schon Warnung genug sein. Er lässt einen an »Romeo und Julia « denken, eine Geschichte, die auch kein besonders gutes Ende nahm; und so sollte es auch sein. In bester Simenonscher Manier wird der Leser in einen Strudel gezogen, aus dem er sich genauso wenig befreien kann, wie Antoine und Julie. Wer dieses Buch in einem Zug durchliest, dem kann ich nur Respekt zollen. Ich habe es immer wieder beiseite legen müssen, Luft holen, bevor der nächste Schritt in Richtung Abgrund erfolgte.

Simenon führt mit Antoine einen Mann in seine Geschichten-Sammlung ein, der einen seltenen Beruf ausübt: Zauberer. Eine Tänzerin meint im Verlauf der Geschichte, dass es merkwürdig sei, dass ausgerechnet die Zauberer immer verheiratet seien. Meine Kenntnisse in Bezug auf Zauberer beschränken sich auf die des Zusehens, in was für Verhältnissen sie leben, ist mir nicht bekannt. Eine Erklärung, die schlüssig ist, liefert das Leben von Antoine: auf einer Tournee sitzt eine Frau im Publikum, die nach kurzer Zeit seinem Künsten erlag und ihn unbedingt kennen lernen wollte. Julie war mit ihrer Mutter im Urlaub und beachtete Antoine lange Zeit nicht, aber auch mit einer Aufführung in der Pension wurde sie gewahr, welche Kunst Antoine ausübte. Danach verliebte sich die Mittdreißigerin Hals über Kopf in den Künstler.

Das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit: Antoine, so kann man es formulieren, ließ es sich mit geschehen. Er bekam von Julie Einladungen, die er aus Höflichkeit annahm und wurde, nach mehreren Begegnungen von der alten Mutter seiner Verehrerin damit konfrontiert, dass es nun an der Zeit wäre, dass er sich zu seinen Absichten erkläre. Schwierig für jemanden, der eigentlich keine Absichten verfolgt hatte. Da war keine Liebe, aber die kam, nachdem Antoine und Julie geheiratete hatte. In der Folge lebten die beiden zusammen, waren aber nicht allein. Julies Mutter war immer mit dabei und ließ keinen Zweifel daran, dass sie von der Beziehung nichts hielt. Die gehässige alte Frau ließ es sich nehmen, ihn einen Clown zu nennen - schließlich wäre er ja in einem Zirkus aufgetreten.

Aber das spielte lange Zeit vor dem Beginn der eigentlichen Geschichte. Die Mutter war schon tot. Es war Friede in den Haushalt eingekehrt, ein Friede, der von Antoine gestört wird: er verfällt zunehmend dem Alkohol. Simenon lässt seine Geschichte mit einem Auftritt des Zauberers beginnen. Routiniert spult Antoine sein Programm in einer Ortschaft in der Nähe von Paris ab. Nachdem er seine Gage erhalten hatte, begibt er sich zum Autobus, nicht ohne vorher in eine Kneipe einzukehren und einen Cognac einzukehren. Die Planung des Heimwegs ist nicht von der Überlegung bestimmt, wie man am Schnellsten mit möglichst wenig Umsteige-Gelegenheiten nach Hause kommt. Wichtiger ist die Gelegenheit, irgendwo einzukehren, und dafür eine Rechtfertigung zu haben: es war kein Bus da.

Für Antoine sollte es ein Abend werden, an dem er viel verliert: seine Gage gibt er einem Bekannten, der ihn mit einer abenteuerlichen Geschichte übertölpelt. Er lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes abfüllen, sein Bekannter gibt ihm die beste Gelegenheit dazu. Volltrunken kommt er nach Hause und ist der Meinung, seiner Frau einen Vortrag halten zu müssen. Da es spät in der Nacht ist, hat sie keine Lust, ihm zuzuhören. Sein Vortrag, der wie er später erfahren soll, über zwei Stunden dauerte, war auch nicht der sinnigen Art. Der Alkohol verleitete ihn dazu, seiner Frau die übelsten Bemerkungen an den Kopf zu werfen (sie zum Beispiel mit ihrer Mutter zu vergleichen, eine Ungerechtigkeit, der sich Antoine im nüchternen Zustand sehr wohl im Klaren war).

Julie war keine schöne Frau. Sie war stark übergewichtig und wenn jemand behauptete, dass Antoine die letzte Gelegenheit gewesen war, konnte man ihn sicher nicht einer Lüge bezichtigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Julie als alte Jungfer ihr Leben gefristet hätte, wäre sehr groß gewesen. Eine Folge ihres starken Übergewichts war eine Herzerkrankung, die ihr sehr zu schaffen machte. Nimmt man dem Stress hinzu, der ihr durch Antoine entstand, ist es kein Wunder, dass sie einen Herzinfarkt erleidet. Ihr Arzt, Dr. Bourgeois, macht dieses Antoine sehr deutlich; eine Deutlichkeit, die nur noch durch das Verhalten der Krankenpflegerin von Julie, Madame Arnaud, übertroffen wird, die aus ihrer Verachtung keinen Hehl macht.

Simenon schildert sehr anschaulich den Alkoholismus: Antoine, der versucht seine Sucht schön zureden, sich einredet, er könnte ohne und dann nach kurzer Zeit der Abstinenz losrennen muss, um sich ein Schlückchen zu genehmigen, wohl wissend, dass es dabei nie bleibt. Seine Frau, die weiß, dass der Mann abhängig ist, aber keine klaren Worte findet, um ihn auf seine Sucht anzusprechen, sich in Andeutungen ergeht, so dass Antoine genau weiß, dass sie Bescheid weiß. Noch rätselhafter ist das Verhalten des Arztes, der bereit ist, die Krankheit Julies zu behandeln, die sicher auch von ihrem Übergewicht herrührt (kein Wort: Madame Julie, Sie müssen abnehmen!), aber den Alkoholismus Antoines als Laster betrachtet und nicht als Krankheit. Ich denke, dass man zu der Zeit schon wusste, wie man Alkoholismus zu werten hatte.

Wieder mal kein schönes Buch, aber eine realistische Schilderung des Trinker-Milieus, ein Milieu, dass Simenon selbst sehr gut beschreiben konnte, war seine Beziehung zum Alkohol nicht harmlos. Interessent ist die Behandlung des Themas Alkohol bei Simenon: ist man objektiv, so muss man sagen, dass Maigret ein Trinker ist. Ein normaler Mensch trinkt nicht so viel. Dieses Problematik wird von Simenon in den Maigrets nie thematisiert, auch nicht, wenn es Maigret mit trinkenden Menschen zu tun hat. Gestalten, die ausgestiegen sind, gab es schon früh (zum Beispiel in »Monsieur Souris«), einen ernsthaften Blick warf Simenon erst mit diesem Roman auf Trinker (Ausnahme ist die Erzählung »Der Arzt von Kirkenes«, in der die Folgen von Alkoholismus beschrieben werden). Später gab es noch »Manuela« in dem die zerstörerische Kraft eines Alkoholiker noch besser zur Geltung kam.