Über die Story

Ein junger Mann wird in an Land gebracht. Verstohlen kann man sagen, das ganze Prozedere wirkt sehr geheimnisvoll. Der Leser weiß warum, denn das Kapitel trägt die Überschrift »Der blinde Passagier«. Der Kapitän des Schiffes »Solemdal« hatte den jungen Mann in Drontheim aufgelesen. Dort war er gestrandet, nachdem seine beiden Eltern gestorben waren, und ihn mittellos zurückgelassen hatten. La Rochelle kannte er kaum noch, seit Jahren führte er ein unstetes Leben.

Seine Ankunft wird beobachtet.

»Sagen Sie Monsieur Babin bitte, dass…«
Babin verließ seinen Platz nicht, gab seine Anweisungen, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen und schaute dann seufzend nach draußen.
Er hatte die Stirn gerunzelt, als er sah, wie sich vom schwarzen Rumpf der »Flint« ein Boot löste. Als Gilles mit seinem Koffer in der Hand vorbeiging, zog er ein wenig den Vorhang zurück, um ihn besser zu sehen.

Babin ahnt, man kann fast sagen, er weiß, dass der Vorbeigehende Gilles Mauvoisin ist. Der neunzehnjährige Gilles dagegen, weiß nicht, was ihn in der Stadt erwartet. Kaum Geld in den Taschen ist er auf der Suche nach einer Unterkunft, erschöpft von der langen Reise, die ihn in die unbekannte Heimat führte. Babin dagegen fängt an, zu telefonieren und versucht herauszubekommen, wo sich der junge Gilles aufhält.

Der steigt bei Jaja, einer Pensionswirtin, ab, die ihn äußerst fürsorglich behandelt, sich um den schwächlich und kränklich wirkenden Gilles kümmert. Der ist nicht sonderlich erbaut und schon gar nicht gewillt, viel zu erzählen. Erschöpft fällt er ins Bett und schläft wie ein Murmeltier bis zum nächsten Morgen - Allerheiligen. Er kennt die Stadt nicht, weiß aber, dass seine Wurzeln an diesem Orte liegen. Was liegt da näher, als dem Friedhof einen Besuch abzustatten? Nichts, und so tut er es. Er betrachtet die Gräber seiner Vorfahren und wird am Friedhofsausgang von einer Dame abgefangen, die er nicht kennt. Sie schleppt ihn, um es salopp zu formulieren, ab und Gilles ist mehr als irritiert, kann er sich doch nicht vorstellen, dass eine solche Dame sich gerade für IHN interessiert. In der Wohnung der Dame angekommen - jawohl, Sie haben richtig gehört - versorgt sie ihn mit Getränken und hängt sich an das Telefon, um jemanden Bescheid zu geben, dass sie den jungen Mann gefunden hat.

Der Angerufene ist niemand anders als Raoul Babin, der sich schon bei der Ankunft sehr interessiert an dem jungen Mann zeigte. Er tauchte innerhalb kürzester Zeit bei der Dame namens Armandine auf, wechselt nicht viele Worte mit dem blinden Passagier und fängt an zu telefonieren. Noch könnte man annehmen, dass Babin den jungen Mann im Visier hat, weil er mit einem von Babins Dampfern angekommen war und er nicht annehmen konnte, dass Gilles ein Ticket für die Überfahrt gelöst hatte (das war meine Vermutung). Stattdessen redet der Babin davon, dass sich einiges in La Rochelle ereignet hat und diese Ereignisse den jungen Mann unmittelbar betreffen, weshalb er es für nötig erachte, noch am selben Tage mit Gilles den Notar Hervineau aufzusuchen.

Dort darf der junge Mann aus allen Wolken fallen, als er erfährt, dass er der Universalerbe des berühmten Mauvoisin ist, der vier Monate vor seiner Ankunft verstorben ist. Der alte Mann (gut, so alt war er nun auch wieder nicht) war sehr reich, sehr bekannt und so unbeliebt, wie kein zweiter in der Gegend. Was verrucht war, er fasst es an. Wenn er die Gelegenheit hatte, sich etwas unter den Nagel zu reißen, so konnte man sich sicher sein, dass er diese Gelegenheit auch nutzte. So konnte man davon ausgehen, dass dem verstorbenen Octave Mauvoisin fast die gesamte Fischerei-Flotte in La Rochelle gehörte. Besitzer waren auf dem Papier andere, aber er hatte die Schuldscheine in der Hand.

Bei der offiziellen Verlesung des Testaments, werden noch andere Einzelheiten aus dem Testament bekannt. Gilles muss, um das Erbe antreten zu können, in das Haus des Onkels ziehen und seine Tante, die Frau des Verstorbenen, in ihrem alten Heim wohnen lassen. Dieser wiederum wurde eine Rente ausgesetzt, auf die sie aber nur Anspruch hat, solange sie in dem Haus wohnte.

Er hatte an diesem Abend den Eindruck, dass die Atmosphäre im Haus so drückend war, dass die kleinsten Bewegungen so etwas wie Wellen oder Wogen auslösten. Auch die Stille bedrückte ihn.

Das sein Onkel nicht geliebt und geschätzt wurde, bekommt der Gilles auf diese Art und Weise ziemlich schnell heraus: von dem Tod scheinen alle zu profitieren. Trotzdem gibt es Unruhe: dem Erben wird der Schlüssel für einen Tresor übergeben, aber nicht verraten, wie er den Tresor öffnen kann - das Passwort bleibt geheim. Vor diesem Tresor, so der Eindruck von Gilles, haben alle in der Stadt Angst. Auch seine Tante.

Begleiten Sie Gilles auf dem Weg zu Erwachsensein. Sehen Sie, wie er versucht, sich im Gestrüpp von Drohungen und Andeutungen zurechtzufinden und lernen muss, ein großes Unternehmen zu leiten. Was für eine Rolle spielt die Witwe seines Onkels? Was hat Barbin vor? Kann er Alice erobern? Bei diesem Roman, zittert man mit dem Helden und jeder Stein, der dem Mann in den Weg gelegt wird, lässt einen noch stärker mitfiebern. Und die Steine sind nicht Steinchen, sondern Gesteinsmassen, die wie eine Lawine auf den immer einsamer werdenden jungen Mann herabstürzen.

Wenn Sie mich fragen (und das tun Sie, wenn Sie diese Zeilen lesen), ist dieses Buch eines der besten Simenons.